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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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angehörig, ehe dieser Staat sich demokratisirte. Die
Homerische Rathsversammlung, durchaus aristokratisch,
heißt boule geronton oder auch gerousia 1, sie be-
steht aus ältern Männern der herrschenden Familien,
und leitet, sammt den eigentlich so genannten Köni-
gen 2, doch oft im Beisein einer agora, sowohl die
öffentlichen Geschäfte als die Gerichte. In ihr liegen,
aber noch unentwickelt, die politischen Elemente der Do-
rischen Gerusia. In Sparta war der Name im ei-
gentlichsten Sinne genommen; die nationale Sitte
legte auf das Alter auch in politischen Verhältnissen
die größte Bedeutung, die Jugend war auf den Krieg
angewiesen 3; darum hatten blos Männer von sechzig
Jahren Zutritt zu dieser Würde 4. -- Es war aber
das Amt eines Geron, nach Aristoteles und Demosthe-
nes übereinstimmendem Ausdruck 5, der Kampfpreis
der Tugend und mit allgemeiner Ehre verknüpft 6;
nur Männer von geachteten Familien, tadellosem Le-
ben, ausgezeichneter Würde 7 konnten dazu gelangen.
Da es lebenslänglich 8 war, so waren nur immer Ein-
zelne an die Stelle Gestorbener zu wählen, und auf

1 Diese Benennung steckt in gerousion orkon Il. 22, 119.
gerontes bouleutai, Il. 6, 113.
2 Die selbst zu den Ge-
ronten gebören, Od. 21, 21. vgl. oben S. 9.
3 Was
am schönsten Pindar ausspricht bei Plut. Lyk. 21. an seni 10.
(Fragm. p. 663
Böckh).
4 Plut. Lyk. 26. vgl. Xen. vom
Staat 10, 1.
5 Pol. 2, 6, 15. -- Leptin. 489. vgl. Xen.
a. O.
6 auch bezeugt durch die Geschenke des Königs, Plut.
Ages. 4. die doppelte Portion bei den Syssitien, Plut. Lyk. 26. vgl.
von den öffentlichen Speisungen Homerischer Geronten, Il. 4, 344.
9, 70.
7 omoioi, kaloi kagathoi, oben S. 83, 23.
8 Arist. a. O. Plut. Lyk. 26. Ages. 4. Polyb. 6, 45, 5. Wenn
in einer spätern Inschr. ein viermaliger Geront vorkommt (Cyriae.
11. 257. 268.): so war damals das ganze Institut ganz verändert
worden.

angehoͤrig, ehe dieſer Staat ſich demokratiſirte. Die
Homeriſche Rathsverſammlung, durchaus ariſtokratiſch,
heißt βουλὴ γεϱόντων oder auch γεϱουσία 1, ſie be-
ſteht aus aͤltern Maͤnnern der herrſchenden Familien,
und leitet, ſammt den eigentlich ſo genannten Koͤni-
gen 2, doch oft im Beiſein einer ἀγορὰ, ſowohl die
oͤffentlichen Geſchaͤfte als die Gerichte. In ihr liegen,
aber noch unentwickelt, die politiſchen Elemente der Do-
riſchen Geruſia. In Sparta war der Name im ei-
gentlichſten Sinne genommen; die nationale Sitte
legte auf das Alter auch in politiſchen Verhaͤltniſſen
die groͤßte Bedeutung, die Jugend war auf den Krieg
angewieſen 3; darum hatten blos Maͤnner von ſechzig
Jahren Zutritt zu dieſer Wuͤrde 4. — Es war aber
das Amt eines Geron, nach Ariſtoteles und Demoſthe-
nes uͤbereinſtimmendem Ausdruck 5, der Kampfpreis
der Tugend und mit allgemeiner Ehre verknuͤpft 6;
nur Maͤnner von geachteten Familien, tadelloſem Le-
ben, ausgezeichneter Wuͤrde 7 konnten dazu gelangen.
Da es lebenslaͤnglich 8 war, ſo waren nur immer Ein-
zelne an die Stelle Geſtorbener zu waͤhlen, und auf

1 Dieſe Benennung ſteckt in γεϱούσιον ὅϱκον Il. 22, 119.
γέϱοντες βουλευταὶ, Il. 6, 113.
2 Die ſelbſt zu den Ge-
ronten geboͤren, Od. 21, 21. vgl. oben S. 9.
3 Was
am ſchoͤnſten Pindar ausſpricht bei Plut. Lyk. 21. an seni 10.
(Fragm. p. 663
Boͤckh).
4 Plut. Lyk. 26. vgl. Xen. vom
Staat 10, 1.
5 Pol. 2, 6, 15. — Leptin. 489. vgl. Xen.
a. O.
6 auch bezeugt durch die Geſchenke des Koͤnigs, Plut.
Ageſ. 4. die doppelte Portion bei den Syſſitien, Plut. Lyk. 26. vgl.
von den oͤffentlichen Speiſungen Homeriſcher Geronten, Il. 4, 344.
9, 70.
7 ὅμοιοι, καλοὶ κἀγαϑοί, oben S. 83, 23.
8 Ariſt. a. O. Plut. Lyk. 26. Ageſ. 4. Polyb. 6, 45, 5. Wenn
in einer ſpaͤtern Inſchr. ein viermaliger Geront vorkommt (Cyriae.
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[92/0098] angehoͤrig, ehe dieſer Staat ſich demokratiſirte. Die Homeriſche Rathsverſammlung, durchaus ariſtokratiſch, heißt βουλὴ γεϱόντων oder auch γεϱουσία 1, ſie be- ſteht aus aͤltern Maͤnnern der herrſchenden Familien, und leitet, ſammt den eigentlich ſo genannten Koͤni- gen 2, doch oft im Beiſein einer ἀγορὰ, ſowohl die oͤffentlichen Geſchaͤfte als die Gerichte. In ihr liegen, aber noch unentwickelt, die politiſchen Elemente der Do- riſchen Geruſia. In Sparta war der Name im ei- gentlichſten Sinne genommen; die nationale Sitte legte auf das Alter auch in politiſchen Verhaͤltniſſen die groͤßte Bedeutung, die Jugend war auf den Krieg angewieſen 3; darum hatten blos Maͤnner von ſechzig Jahren Zutritt zu dieſer Wuͤrde 4. — Es war aber das Amt eines Geron, nach Ariſtoteles und Demoſthe- nes uͤbereinſtimmendem Ausdruck 5, der Kampfpreis der Tugend und mit allgemeiner Ehre verknuͤpft 6; nur Maͤnner von geachteten Familien, tadelloſem Le- ben, ausgezeichneter Wuͤrde 7 konnten dazu gelangen. Da es lebenslaͤnglich 8 war, ſo waren nur immer Ein- zelne an die Stelle Geſtorbener zu waͤhlen, und auf 1 Dieſe Benennung ſteckt in γεϱούσιον ὅϱκον Il. 22, 119. γέϱοντες βουλευταὶ, Il. 6, 113. 2 Die ſelbſt zu den Ge- ronten geboͤren, Od. 21, 21. vgl. oben S. 9. 3 Was am ſchoͤnſten Pindar ausſpricht bei Plut. Lyk. 21. an seni 10. (Fragm. p. 663 Boͤckh). 4 Plut. Lyk. 26. vgl. Xen. vom Staat 10, 1. 5 Pol. 2, 6, 15. — Leptin. 489. vgl. Xen. a. O. 6 auch bezeugt durch die Geſchenke des Koͤnigs, Plut. Ageſ. 4. die doppelte Portion bei den Syſſitien, Plut. Lyk. 26. vgl. von den oͤffentlichen Speiſungen Homeriſcher Geronten, Il. 4, 344. 9, 70. 7 ὅμοιοι, καλοὶ κἀγαϑοί, oben S. 83, 23. 8 Ariſt. a. O. Plut. Lyk. 26. Ageſ. 4. Polyb. 6, 45, 5. Wenn in einer ſpaͤtern Inſchr. ein viermaliger Geront vorkommt (Cyriae. 11. 257. 268.): ſo war damals das ganze Inſtitut ganz veraͤndert worden.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/98>, abgerufen am 21.11.2024.