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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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Sophrons Mimen öffentlich dargestellt wurden oder
nicht, ist eine schwer zu beantwortende Frage; befrem-
dend wäre ein Werk der Poesie, das blos zur Lektüre
bestimmt, in einer Epoche, wo alle andern aus dem
Leben hervorgehend eben so unmittelbar in das Leben
eintraten. Wahrscheinlicher auf jeden Fall ist, daß
auch die Mimen in ihrer ursprünglichen Gestalt zu den
Lustbarkeiten mancher Feste gehörten, wie es mit Spar-
ta's Deikelisten der Fall war, denen jene mehr als ir-
gend einer andern Gattung entsprechen. Dergleichen
Spiele, hervorgegangen aus der lebhaften Auffassung
des Eigenthümlichen und Absonderlichen in verschiednen
Kreisen des menschlichen Lebens, improvisirt von denen,
die am meisten Lust und Talent zur Nachbildung in
sich trugen, mag es eben so bei den Doriern in Sici-
lien, wie bei den Lakonen gegeben haben, um so mehr,
da die erstern von Natur zu possierlicher Nachahmung
der Geberde und des Benehmens Andrer gemacht wa-
ren 1. Brachte doch selbst Agathokles der Tyrann
nicht blos Tischgesellschaften sondern Volksversammlun-
gen zum lauten Gelächter, wenn er bekannte Leute
nach Art eines Ethologen auf das possierlichste dar-
stellte 2. Der Sophronische Mimos nun, der solche
nationale Anfänge zur Kunstgattung veredelte, zeichnete
sich einerseits durch treue Abschilderung des Lebens
aus, welche auch das Unedle in der Sitte, das Solöke
in der Sprache darzustellen nicht verschmähte, und be-
sonders die Rede des gemeinen Mannes mit der größ-
ten Wahrheit wiedergab 3 -- daher auch die erstau-

1 sikelizein to atereuesthai bei Epicharm, to ponereue-
sthai nach Aa. Photios p. 378.
2 Diod. 20, 63.
3 S.
darüber besonders Valcken. ad Adon. p. 200 sq.

Sophrons Mimen oͤffentlich dargeſtellt wurden oder
nicht, iſt eine ſchwer zu beantwortende Frage; befrem-
dend waͤre ein Werk der Poëſie, das blos zur Lektuͤre
beſtimmt, in einer Epoche, wo alle andern aus dem
Leben hervorgehend eben ſo unmittelbar in das Leben
eintraten. Wahrſcheinlicher auf jeden Fall iſt, daß
auch die Mimen in ihrer urſpruͤnglichen Geſtalt zu den
Luſtbarkeiten mancher Feſte gehoͤrten, wie es mit Spar-
ta’s Deikeliſten der Fall war, denen jene mehr als ir-
gend einer andern Gattung entſprechen. Dergleichen
Spiele, hervorgegangen aus der lebhaften Auffaſſung
des Eigenthuͤmlichen und Abſonderlichen in verſchiednen
Kreiſen des menſchlichen Lebens, improviſirt von denen,
die am meiſten Luſt und Talent zur Nachbildung in
ſich trugen, mag es eben ſo bei den Doriern in Sici-
lien, wie bei den Lakonen gegeben haben, um ſo mehr,
da die erſtern von Natur zu poſſierlicher Nachahmung
der Geberde und des Benehmens Andrer gemacht wa-
ren 1. Brachte doch ſelbſt Agathokles der Tyrann
nicht blos Tiſchgeſellſchaften ſondern Volksverſammlun-
gen zum lauten Gelaͤchter, wenn er bekannte Leute
nach Art eines Ethologen auf das poſſierlichſte dar-
ſtellte 2. Der Sophroniſche Mimos nun, der ſolche
nationale Anfaͤnge zur Kunſtgattung veredelte, zeichnete
ſich einerſeits durch treue Abſchilderung des Lebens
aus, welche auch das Unedle in der Sitte, das Soloͤke
in der Sprache darzuſtellen nicht verſchmaͤhte, und be-
ſonders die Rede des gemeinen Mannes mit der groͤß-
ten Wahrheit wiedergab 3 — daher auch die erſtau-

1 σικελίζειν τὸ ἀτηϱεύεσϑαι bei Epicharm, τὸ πονηϱεύε-
σϑαι nach Aa. Photios p. 378.
2 Diod. 20, 63.
3 S.
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[362/0368] Sophrons Mimen oͤffentlich dargeſtellt wurden oder nicht, iſt eine ſchwer zu beantwortende Frage; befrem- dend waͤre ein Werk der Poëſie, das blos zur Lektuͤre beſtimmt, in einer Epoche, wo alle andern aus dem Leben hervorgehend eben ſo unmittelbar in das Leben eintraten. Wahrſcheinlicher auf jeden Fall iſt, daß auch die Mimen in ihrer urſpruͤnglichen Geſtalt zu den Luſtbarkeiten mancher Feſte gehoͤrten, wie es mit Spar- ta’s Deikeliſten der Fall war, denen jene mehr als ir- gend einer andern Gattung entſprechen. Dergleichen Spiele, hervorgegangen aus der lebhaften Auffaſſung des Eigenthuͤmlichen und Abſonderlichen in verſchiednen Kreiſen des menſchlichen Lebens, improviſirt von denen, die am meiſten Luſt und Talent zur Nachbildung in ſich trugen, mag es eben ſo bei den Doriern in Sici- lien, wie bei den Lakonen gegeben haben, um ſo mehr, da die erſtern von Natur zu poſſierlicher Nachahmung der Geberde und des Benehmens Andrer gemacht wa- ren 1. Brachte doch ſelbſt Agathokles der Tyrann nicht blos Tiſchgeſellſchaften ſondern Volksverſammlun- gen zum lauten Gelaͤchter, wenn er bekannte Leute nach Art eines Ethologen auf das poſſierlichſte dar- ſtellte 2. Der Sophroniſche Mimos nun, der ſolche nationale Anfaͤnge zur Kunſtgattung veredelte, zeichnete ſich einerſeits durch treue Abſchilderung des Lebens aus, welche auch das Unedle in der Sitte, das Soloͤke in der Sprache darzuſtellen nicht verſchmaͤhte, und be- ſonders die Rede des gemeinen Mannes mit der groͤß- ten Wahrheit wiedergab 3 — daher auch die erſtau- 1 σικελίζειν τὸ ἀτηϱεύεσϑαι bei Epicharm, τὸ πονηϱεύε- σϑαι nach Aa. Photios p. 378. 2 Diod. 20, 63. 3 S. daruͤber beſonders Valcken. ad Adon. p. 200 sq.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/368>, abgerufen am 26.11.2024.