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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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fast für minder wichtig als eine andre Classe dersel-
ben, die den Körper durch Mühseeligkeiten und Stra-
pazen zu stählen und stärken beabsichtigte. Der Knabe
mußte Hitze und Frost -- und beides bot die Natur
in dem engen Thale von Sparta im Uebermaaß dar 1
-- er mußte Hunger, Durst und allerlei Noth ertra-
gen lernen. Darin übten die häufigen Jagden im Ge-
birge, die in Kreta auch schon der Knabe mit dem
Liebenden 2, so wie in den Agelen mit dem Age-
laten 3, unternahm; darin das Herumstreifen in den
abgelegensten Gegenden des weiten Lakonikas, bei
völliger Entbehrung aller fremden Hilfe und Dienste,
bei dem der Jüngling Sparta's zum Manne heran-
reifte 4. Ein Analogon dieser Kryptie war für die
Knaben die Zeit, in der sie sich ihre tägliche Nahrung
durch Stehlen gewinnen mußten; denn auch diese war
auf eine bestimmte Epoche in der Erziehung der Söhne
der Homöen 5 beschränkt. Man hat sich von dieser
eigenthümlichen Sitte gewiß meist eine sehr einseitige
Vorstellung gemacht, eine hervorspringende Singulari-
tät herausnehmend aus einem innerlich verbundnen
Ganzen, und an dieser eine Critik übend, die entwe-
der den Geist der nationalen Sitte überhaupt treffen
sollte oder gar nichts. Nach einzelnen Andeutungen
verhielt sich die Sache so 6: Die Knaben wurden auf
eine bestimmte Zeit aus der Stadt und der Gemein-

1 Bd. 2. S. 69.
2 Oben S. 292.
3 Oben
S. 304. Nikol. Damask.
4 S. 42.
5 Xen. Anab.
4, 6, 14.
6 Herakl. Pont. 2. Xen. Staat 2, 6. vgl. Cic.
bei Nonius s. v. elepere. Gell. N. A. 11, 18. Aa. Plut. Lyk.
17. handelt nicht genau von der Sache, vgl. Inst. Lac. p. 249.
Lac. ap. p. 239. Die Schol. Plat. Ges. 1. p. 225 N. 450 B.
verwechseln die Kryptie damit.

faſt fuͤr minder wichtig als eine andre Claſſe derſel-
ben, die den Koͤrper durch Muͤhſeeligkeiten und Stra-
pazen zu ſtaͤhlen und ſtaͤrken beabſichtigte. Der Knabe
mußte Hitze und Froſt — und beides bot die Natur
in dem engen Thale von Sparta im Uebermaaß dar 1
— er mußte Hunger, Durſt und allerlei Noth ertra-
gen lernen. Darin uͤbten die haͤufigen Jagden im Ge-
birge, die in Kreta auch ſchon der Knabe mit dem
Liebenden 2, ſo wie in den Agelen mit dem Age-
laten 3, unternahm; darin das Herumſtreifen in den
abgelegenſten Gegenden des weiten Lakonikas, bei
voͤlliger Entbehrung aller fremden Hilfe und Dienſte,
bei dem der Juͤngling Sparta’s zum Manne heran-
reifte 4. Ein Analogon dieſer Kryptie war fuͤr die
Knaben die Zeit, in der ſie ſich ihre taͤgliche Nahrung
durch Stehlen gewinnen mußten; denn auch dieſe war
auf eine beſtimmte Epoche in der Erziehung der Soͤhne
der Homoͤen 5 beſchraͤnkt. Man hat ſich von dieſer
eigenthuͤmlichen Sitte gewiß meiſt eine ſehr einſeitige
Vorſtellung gemacht, eine hervorſpringende Singulari-
taͤt herausnehmend aus einem innerlich verbundnen
Ganzen, und an dieſer eine Critik uͤbend, die entwe-
der den Geiſt der nationalen Sitte uͤberhaupt treffen
ſollte oder gar nichts. Nach einzelnen Andeutungen
verhielt ſich die Sache ſo 6: Die Knaben wurden auf
eine beſtimmte Zeit aus der Stadt und der Gemein-

1 Bd. 2. S. 69.
2 Oben S. 292.
3 Oben
S. 304. Nikol. Damaſk.
4 S. 42.
5 Xen. Anab.
4, 6, 14.
6 Herakl. Pont. 2. Xen. Staat 2, 6. vgl. Cic.
bei Nonius s. v. elepere. Gell. N. A. 11, 18. Aa. Plut. Lyk.
17. handelt nicht genau von der Sache, vgl. Inst. Lac. p. 249.
Lac. ap. p. 239. Die Schol. Plat. Geſ. 1. p. 225 N. 450 B.
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[310/0316] faſt fuͤr minder wichtig als eine andre Claſſe derſel- ben, die den Koͤrper durch Muͤhſeeligkeiten und Stra- pazen zu ſtaͤhlen und ſtaͤrken beabſichtigte. Der Knabe mußte Hitze und Froſt — und beides bot die Natur in dem engen Thale von Sparta im Uebermaaß dar 1 — er mußte Hunger, Durſt und allerlei Noth ertra- gen lernen. Darin uͤbten die haͤufigen Jagden im Ge- birge, die in Kreta auch ſchon der Knabe mit dem Liebenden 2, ſo wie in den Agelen mit dem Age- laten 3, unternahm; darin das Herumſtreifen in den abgelegenſten Gegenden des weiten Lakonikas, bei voͤlliger Entbehrung aller fremden Hilfe und Dienſte, bei dem der Juͤngling Sparta’s zum Manne heran- reifte 4. Ein Analogon dieſer Kryptie war fuͤr die Knaben die Zeit, in der ſie ſich ihre taͤgliche Nahrung durch Stehlen gewinnen mußten; denn auch dieſe war auf eine beſtimmte Epoche in der Erziehung der Soͤhne der Homoͤen 5 beſchraͤnkt. Man hat ſich von dieſer eigenthuͤmlichen Sitte gewiß meiſt eine ſehr einſeitige Vorſtellung gemacht, eine hervorſpringende Singulari- taͤt herausnehmend aus einem innerlich verbundnen Ganzen, und an dieſer eine Critik uͤbend, die entwe- der den Geiſt der nationalen Sitte uͤberhaupt treffen ſollte oder gar nichts. Nach einzelnen Andeutungen verhielt ſich die Sache ſo 6: Die Knaben wurden auf eine beſtimmte Zeit aus der Stadt und der Gemein- 1 Bd. 2. S. 69. 2 Oben S. 292. 3 Oben S. 304. Nikol. Damaſk. 4 S. 42. 5 Xen. Anab. 4, 6, 14. 6 Herakl. Pont. 2. Xen. Staat 2, 6. vgl. Cic. bei Nonius s. v. elepere. Gell. N. A. 11, 18. Aa. Plut. Lyk. 17. handelt nicht genau von der Sache, vgl. Inst. Lac. p. 249. Lac. ap. p. 239. Die Schol. Plat. Geſ. 1. p. 225 N. 450 B. verwechſeln die Kryptie damit.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/316>, abgerufen am 18.05.2024.