Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

Gränze und Ziel setzte, und eine stetige Ordnung hier-
in einführte 1. Wer im gymnastischen Agon und öf-
fentlichen Kämpfen unvorsätzlich getödtet hatte, war
nach dem von Delphi gekommenen Gesetz, wie Platon
sagt 2, wenn er gereinigt worden war, ohne weiteres
rein; es ist aber wahrscheinlich, daß von dem, was
der Philosoph weiterhin für andere Fälle verordnet,
wie auch von den Drakontischen Thesmen, sehr viel
aus eben dem Delphischen Gesetze abstammt, das am
Orte selbst durch den Pythischen Gerichtshof executirt
wurde 3. Wie weit darin Versöhnung mit den Ver-
wandten durch Erlegung von Bußen gestattet war, und
wann der Staat nothwendig die Todesstrafe verhängte,
läßt sich schwerlich mehr bestimmen: der Delphische
Gerichtshof selbst, als er Aesopos ungerechter Weise
zum Tode verurtheilt hatte, erkannte sich schuldig eine
Buße zu zahlen, und forderte etwaige Nachkommen
oder Anverwandte des Hingerichteten auf, sich zum
Empfange derselben zu melden 4.

6.

Wir haben im Vorigen mehreremal gelegentlich
der Gesetzgebung des Zaleukos gedacht -- der älte-
sten geschriebenen, die Griechenland kannte 5 -- von
der Ansicht geleitet, daß sie im Ursprunge Dorisch sei.
Die Epizephyrischen Lokrer, denen diese Gesetze galten,
waren freilich größtentheils Nachkommen der Ozolischen
und Opuntischen Lokrer 6 (wenn Aristoteles sie als ein

1 Hierüber s. Bd. 2. S. 332 ff.
2 Ges. 9, 865. Die
Schol. (p. 235 Ruhnk. 454 Bekk.) bringen dazu ein Orakel bei,
welches indeß Platon nicht eigentlich meinen kann.
3 Bd. 2.
S. 211.
4 Plut. de sera 12. p. 244.
5 Strabo 6.
p. 397 d. Skymnos 313. Beide haben den Ephoros vor sich.
6 Heyne Opuscc. Acc. 2. p. 46. Für die letztern spricht noch
die Tradition von den Sühnjungfrauen für Ajas Oileus S. Schand-
that. S. ehd. p. 53. Orchom. S. 167.
15 *

Graͤnze und Ziel ſetzte, und eine ſtetige Ordnung hier-
in einfuͤhrte 1. Wer im gymnaſtiſchen Agon und oͤf-
fentlichen Kaͤmpfen unvorſaͤtzlich getoͤdtet hatte, war
nach dem von Delphi gekommenen Geſetz, wie Platon
ſagt 2, wenn er gereinigt worden war, ohne weiteres
rein; es iſt aber wahrſcheinlich, daß von dem, was
der Philoſoph weiterhin fuͤr andere Faͤlle verordnet,
wie auch von den Drakontiſchen Thesmen, ſehr viel
aus eben dem Delphiſchen Geſetze abſtammt, das am
Orte ſelbſt durch den Pythiſchen Gerichtshof executirt
wurde 3. Wie weit darin Verſoͤhnung mit den Ver-
wandten durch Erlegung von Bußen geſtattet war, und
wann der Staat nothwendig die Todesſtrafe verhaͤngte,
laͤßt ſich ſchwerlich mehr beſtimmen: der Delphiſche
Gerichtshof ſelbſt, als er Aeſopos ungerechter Weiſe
zum Tode verurtheilt hatte, erkannte ſich ſchuldig eine
Buße zu zahlen, und forderte etwaige Nachkommen
oder Anverwandte des Hingerichteten auf, ſich zum
Empfange derſelben zu melden 4.

6.

Wir haben im Vorigen mehreremal gelegentlich
der Geſetzgebung des Zaleukos gedacht — der aͤlte-
ſten geſchriebenen, die Griechenland kannte 5 — von
der Anſicht geleitet, daß ſie im Urſprunge Doriſch ſei.
Die Epizephyriſchen Lokrer, denen dieſe Geſetze galten,
waren freilich groͤßtentheils Nachkommen der Ozoliſchen
und Opuntiſchen Lokrer 6 (wenn Ariſtoteles ſie als ein

1 Hieruͤber ſ. Bd. 2. S. 332 ff.
2 Geſ. 9, 865. Die
Schol. (p. 235 Ruhnk. 454 Bekk.) bringen dazu ein Orakel bei,
welches indeß Platon nicht eigentlich meinen kann.
3 Bd. 2.
S. 211.
4 Plut. de sera 12. p. 244.
5 Strabo 6.
p. 397 d. Skymnos 313. Beide haben den Ephoros vor ſich.
6 Heyne Opuscc. Acc. 2. p. 46. Fuͤr die letztern ſpricht noch
die Tradition von den Suͤhnjungfrauen fuͤr Ajas Oileus S. Schand-
that. S. ehd. p. 53. Orchom. S. 167.
15 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0233" n="227"/>
Gra&#x0364;nze und Ziel &#x017F;etzte, und eine &#x017F;tetige Ordnung hier-<lb/>
in einfu&#x0364;hrte <note place="foot" n="1">Hieru&#x0364;ber &#x017F;. Bd. 2. S. 332 ff.</note>. Wer im gymna&#x017F;ti&#x017F;chen Agon und o&#x0364;f-<lb/>
fentlichen Ka&#x0364;mpfen unvor&#x017F;a&#x0364;tzlich geto&#x0364;dtet hatte, war<lb/>
nach dem von Delphi gekommenen Ge&#x017F;etz, wie Platon<lb/>
&#x017F;agt <note place="foot" n="2">Ge&#x017F;. 9, 865. Die<lb/>
Schol. (<hi rendition="#aq">p.</hi> 235 Ruhnk. 454 Bekk.) bringen dazu ein Orakel bei,<lb/>
welches indeß Platon nicht eigentlich meinen kann.</note>, wenn er gereinigt worden war, ohne weiteres<lb/>
rein; es i&#x017F;t aber wahr&#x017F;cheinlich, daß von dem, was<lb/>
der Philo&#x017F;oph weiterhin fu&#x0364;r andere Fa&#x0364;lle verordnet,<lb/>
wie auch von den Drakonti&#x017F;chen Thesmen, &#x017F;ehr viel<lb/>
aus eben dem Delphi&#x017F;chen Ge&#x017F;etze ab&#x017F;tammt, das am<lb/>
Orte &#x017F;elb&#x017F;t durch den Pythi&#x017F;chen Gerichtshof executirt<lb/>
wurde <note place="foot" n="3">Bd. 2.<lb/>
S. 211.</note>. Wie weit darin Ver&#x017F;o&#x0364;hnung mit den Ver-<lb/>
wandten durch Erlegung von Bußen ge&#x017F;tattet war, und<lb/>
wann der Staat nothwendig die Todes&#x017F;trafe verha&#x0364;ngte,<lb/>
la&#x0364;ßt &#x017F;ich &#x017F;chwerlich mehr be&#x017F;timmen: der Delphi&#x017F;che<lb/>
Gerichtshof &#x017F;elb&#x017F;t, als er Ae&#x017F;opos ungerechter Wei&#x017F;e<lb/>
zum Tode verurtheilt hatte, erkannte &#x017F;ich &#x017F;chuldig eine<lb/>
Buße zu zahlen, und forderte etwaige Nachkommen<lb/>
oder Anverwandte des Hingerichteten auf, &#x017F;ich zum<lb/>
Empfange der&#x017F;elben zu melden <note place="foot" n="4">Plut. <hi rendition="#aq">de sera 12. p.</hi> 244.</note>.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>6.</head><lb/>
            <p>Wir haben im Vorigen mehreremal gelegentlich<lb/>
der Ge&#x017F;etzgebung des <hi rendition="#g">Zaleukos</hi> gedacht &#x2014; der a&#x0364;lte-<lb/>
&#x017F;ten ge&#x017F;chriebenen, die Griechenland kannte <note place="foot" n="5">Strabo 6.<lb/><hi rendition="#aq">p. 397 d.</hi> Skymnos 313. Beide haben den Ephoros vor &#x017F;ich.</note> &#x2014; von<lb/>
der An&#x017F;icht geleitet, daß &#x017F;ie im Ur&#x017F;prunge Dori&#x017F;ch &#x017F;ei.<lb/>
Die Epizephyri&#x017F;chen Lokrer, denen die&#x017F;e Ge&#x017F;etze galten,<lb/>
waren freilich gro&#x0364;ßtentheils Nachkommen der Ozoli&#x017F;chen<lb/>
und Opunti&#x017F;chen Lokrer <note place="foot" n="6">Heyne <hi rendition="#aq">Opuscc. Acc. 2. p.</hi> 46. Fu&#x0364;r die letztern &#x017F;pricht noch<lb/>
die Tradition von den Su&#x0364;hnjungfrauen fu&#x0364;r Ajas Oileus S. Schand-<lb/>
that. S. ehd. <hi rendition="#aq">p.</hi> 53. Orchom. S. 167.</note> (wenn Ari&#x017F;toteles &#x017F;ie als ein<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">15 *</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0233] Graͤnze und Ziel ſetzte, und eine ſtetige Ordnung hier- in einfuͤhrte 1. Wer im gymnaſtiſchen Agon und oͤf- fentlichen Kaͤmpfen unvorſaͤtzlich getoͤdtet hatte, war nach dem von Delphi gekommenen Geſetz, wie Platon ſagt 2, wenn er gereinigt worden war, ohne weiteres rein; es iſt aber wahrſcheinlich, daß von dem, was der Philoſoph weiterhin fuͤr andere Faͤlle verordnet, wie auch von den Drakontiſchen Thesmen, ſehr viel aus eben dem Delphiſchen Geſetze abſtammt, das am Orte ſelbſt durch den Pythiſchen Gerichtshof executirt wurde 3. Wie weit darin Verſoͤhnung mit den Ver- wandten durch Erlegung von Bußen geſtattet war, und wann der Staat nothwendig die Todesſtrafe verhaͤngte, laͤßt ſich ſchwerlich mehr beſtimmen: der Delphiſche Gerichtshof ſelbſt, als er Aeſopos ungerechter Weiſe zum Tode verurtheilt hatte, erkannte ſich ſchuldig eine Buße zu zahlen, und forderte etwaige Nachkommen oder Anverwandte des Hingerichteten auf, ſich zum Empfange derſelben zu melden 4. 6. Wir haben im Vorigen mehreremal gelegentlich der Geſetzgebung des Zaleukos gedacht — der aͤlte- ſten geſchriebenen, die Griechenland kannte 5 — von der Anſicht geleitet, daß ſie im Urſprunge Doriſch ſei. Die Epizephyriſchen Lokrer, denen dieſe Geſetze galten, waren freilich groͤßtentheils Nachkommen der Ozoliſchen und Opuntiſchen Lokrer 6 (wenn Ariſtoteles ſie als ein 1 Hieruͤber ſ. Bd. 2. S. 332 ff. 2 Geſ. 9, 865. Die Schol. (p. 235 Ruhnk. 454 Bekk.) bringen dazu ein Orakel bei, welches indeß Platon nicht eigentlich meinen kann. 3 Bd. 2. S. 211. 4 Plut. de sera 12. p. 244. 5 Strabo 6. p. 397 d. Skymnos 313. Beide haben den Ephoros vor ſich. 6 Heyne Opuscc. Acc. 2. p. 46. Fuͤr die letztern ſpricht noch die Tradition von den Suͤhnjungfrauen fuͤr Ajas Oileus S. Schand- that. S. ehd. p. 53. Orchom. S. 167. 15 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/233
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/233>, abgerufen am 03.12.2024.