Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

die Alten sehr fabelhafte Vorstellungen hegten 1. Es
mag zur Schärfung dieser Maaßregeln wohl leicht, wie
Plutarch meint, der aus dem entgegengesetzten Verfah-
ren hervorgegangene Verfall aller Zucht und Sitte un-
ter den Joniern beigetragen haben; bei denen schon in
den frühesten Zeiten Verkehr mit den asiatischen Nach-
barn die größte Verweichlichung und Erschlaffung her-
beigeführt hatte. Denn in wie alten Zeiten war hier schon
das Hellenische Familienverhältniß zur Sklaverei des
Weibes herabgesunken; wie feig, weichlich und luxu-
riös stellen sie schon ihre alten Poeten, Kallinos 2 und
Asios 3, dar; und wenn die Sage schon die Tochter des
Kolonieenführers Neleus so überaus sittenlos schildert 4,
wie mochte es sein, da die Frauen der Jonier unter
Lydischen Dirnen gebuhlt hatten! Solcher Beispiele
warnende Stimme konnte die alten Gesetzgeber wohl
anmahnen, das eherne Band der Sitte nur desto fester
anzuziehen.


1 Aus Th. 1, 144. vgl. mit Plut. Agis sieht man, daß die
xenelasia blos gegen Stämme von fremdartigen Sitten, fremder
diaita, galt, z. B. meist gegen Athener. Doch war Sparta an
den Gymnopädien (Plut. Ages. 29. vgl. Kimon 10. Xenoph. Denkw.
Sokr. 1, 2, 61.) und andern Festen voll von Fremden. Cragius
de rep. 3. p. 213. Dichter, wie Thaletas, Terpandros, Nym-
phäos von Kydonia, Theognis (der die freundliche Aufnahme in dem
aglaon aotu rühmt, V. 785.), Philosophen, wie Pherekydes und
Anaximandros und der Skythe Anacharsis, wurden gern aufgenom-
men; andere Classen von Geschäften ausgeschlossen. So gab es
über Personen und Zeit Bestimmungen. Vgl. noch Plut. Lyk. 27.
der sich auf Th. 2, 44. bezieht. Arist. Vögel 1013. und Schol.
(aus Theopomp.) und zu Frieden 622. Suid. dieironoxenoi, xene-
latein. Theophil. Instit. l. 1. tit. 2. vgl. de la Nauze Mem.
de l'Ac. d. I. T. 12. p.
159.
2 p. 100. bei Franck.
3 S.
Näke's Choerilus p. 74.
4 Archiloch. p. 226 Liebel. Lykophr.
1385 u. Tzetz. Etym. s. v. aselgainein. ElegeIs. Ueber die
Weichlichkeit der Kodriden, Herakl. Pont. 1.

die Alten ſehr fabelhafte Vorſtellungen hegten 1. Es
mag zur Schaͤrfung dieſer Maaßregeln wohl leicht, wie
Plutarch meint, der aus dem entgegengeſetzten Verfah-
ren hervorgegangene Verfall aller Zucht und Sitte un-
ter den Joniern beigetragen haben; bei denen ſchon in
den fruͤheſten Zeiten Verkehr mit den aſiatiſchen Nach-
barn die groͤßte Verweichlichung und Erſchlaffung her-
beigefuͤhrt hatte. Denn in wie alten Zeiten war hier ſchon
das Helleniſche Familienverhaͤltniß zur Sklaverei des
Weibes herabgeſunken; wie feig, weichlich und luxu-
rioͤs ſtellen ſie ſchon ihre alten Poëten, Kallinos 2 und
Aſios 3, dar; und wenn die Sage ſchon die Tochter des
Kolonieenfuͤhrers Neleus ſo uͤberaus ſittenlos ſchildert 4,
wie mochte es ſein, da die Frauen der Jonier unter
Lydiſchen Dirnen gebuhlt hatten! Solcher Beiſpiele
warnende Stimme konnte die alten Geſetzgeber wohl
anmahnen, das eherne Band der Sitte nur deſto feſter
anzuziehen.


1 Aus Th. 1, 144. vgl. mit Plut. Agis ſieht man, daß die
ξενηλασὶα blos gegen Staͤmme von fremdartigen Sitten, fremder
δὶαιτα, galt, z. B. meiſt gegen Athener. Doch war Sparta an
den Gymnopaͤdien (Plut. Ageſ. 29. vgl. Kimon 10. Xenoph. Denkw.
Sokr. 1, 2, 61.) und andern Feſten voll von Fremden. Cragius
de rep. 3. p. 213. Dichter, wie Thaletas, Terpandros, Nym-
phaͤos von Kydonia, Theognis (der die freundliche Aufnahme in dem
ἀγλαὸν ἄοτυ ruͤhmt, V. 785.), Philoſophen, wie Pherekydes und
Anaximandros und der Skythe Anacharſis, wurden gern aufgenom-
men; andere Claſſen von Geſchaͤften ausgeſchloſſen. So gab es
uͤber Perſonen und Zeit Beſtimmungen. Vgl. noch Plut. Lyk. 27.
der ſich auf Th. 2, 44. bezieht. Ariſt. Voͤgel 1013. und Schol.
(aus Theopomp.) und zu Frieden 622. Suid. διειϱωνόξενοι, ξενη-
λατεῖν. Theophil. Instit. l. 1. tit. 2. vgl. de la Nauze Mem.
de l’Ac. d. I. T. 12. p.
159.
2 p. 100. bei Franck.
3 S.
Naͤke’s Choerilus p. 74.
4 Archiloch. p. 226 Liebel. Lykophr.
1385 u. Tzetz. Etym. s. v. ἀσελγαὶνειν. Ἐλεγηΐς. Ueber die
Weichlichkeit der Kodriden, Herakl. Pont. 1.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0014" n="8"/>
die Alten &#x017F;ehr fabelhafte Vor&#x017F;tellungen hegten <note place="foot" n="1">Aus Th. 1, 144. vgl. mit Plut. Agis &#x017F;ieht man, daß die<lb/>
&#x03BE;&#x03B5;&#x03BD;&#x03B7;&#x03BB;&#x03B1;&#x03C3;&#x1F76;&#x03B1; blos gegen Sta&#x0364;mme von fremdartigen Sitten, fremder<lb/>
&#x03B4;&#x1F76;&#x03B1;&#x03B9;&#x03C4;&#x03B1;, galt, z. B. mei&#x017F;t gegen Athener. Doch war Sparta an<lb/>
den Gymnopa&#x0364;dien (Plut. Age&#x017F;. 29. vgl. Kimon 10. Xenoph. Denkw.<lb/>
Sokr. 1, 2, 61.) und andern Fe&#x017F;ten voll von Fremden. Cragius<lb/><hi rendition="#aq">de rep. 3. p.</hi> 213. Dichter, wie Thaletas, Terpandros, Nym-<lb/>
pha&#x0364;os von Kydonia, Theognis (der die freundliche Aufnahme in dem<lb/>
&#x1F00;&#x03B3;&#x03BB;&#x03B1;&#x1F78;&#x03BD; &#x1F04;&#x03BF;&#x03C4;&#x03C5; ru&#x0364;hmt, V. 785.), Philo&#x017F;ophen, wie Pherekydes und<lb/>
Anaximandros und der Skythe Anachar&#x017F;is, wurden gern aufgenom-<lb/>
men; andere Cla&#x017F;&#x017F;en von Ge&#x017F;cha&#x0364;ften ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. So gab es<lb/>
u&#x0364;ber Per&#x017F;onen und Zeit Be&#x017F;timmungen. Vgl. noch Plut. Lyk. 27.<lb/>
der &#x017F;ich auf Th. 2, 44. bezieht. Ari&#x017F;t. Vo&#x0364;gel 1013. und Schol.<lb/>
(aus Theopomp.) und zu Frieden 622. Suid. &#x03B4;&#x03B9;&#x03B5;&#x03B9;&#x03F1;&#x03C9;&#x03BD;&#x03CC;&#x03BE;&#x03B5;&#x03BD;&#x03BF;&#x03B9;, &#x03BE;&#x03B5;&#x03BD;&#x03B7;-<lb/>
&#x03BB;&#x03B1;&#x03C4;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03BD;. Theophil. <hi rendition="#aq">Instit. l. 1. tit.</hi> 2. vgl. de la Nauze <hi rendition="#aq">Mem.<lb/>
de l&#x2019;Ac. d. I. T. 12. p.</hi> 159.</note>. Es<lb/>
mag zur Scha&#x0364;rfung die&#x017F;er Maaßregeln wohl leicht, wie<lb/>
Plutarch meint, der aus dem entgegenge&#x017F;etzten Verfah-<lb/>
ren hervorgegangene Verfall aller Zucht und Sitte un-<lb/>
ter den Joniern beigetragen haben; bei denen &#x017F;chon in<lb/>
den fru&#x0364;he&#x017F;ten Zeiten Verkehr mit den a&#x017F;iati&#x017F;chen Nach-<lb/>
barn die gro&#x0364;ßte Verweichlichung und Er&#x017F;chlaffung her-<lb/>
beigefu&#x0364;hrt hatte. Denn in wie alten Zeiten war hier &#x017F;chon<lb/>
das Helleni&#x017F;che Familienverha&#x0364;ltniß zur Sklaverei des<lb/>
Weibes herabge&#x017F;unken; wie feig, weichlich und luxu-<lb/>
rio&#x0364;s &#x017F;tellen &#x017F;ie &#x017F;chon ihre alten Poëten, Kallinos <note place="foot" n="2"><hi rendition="#aq">p.</hi> 100. bei Franck.</note> und<lb/>
A&#x017F;ios <note place="foot" n="3">S.<lb/>
Na&#x0364;ke&#x2019;s <hi rendition="#aq">Choerilus p.</hi> 74.</note>, dar; und wenn die Sage &#x017F;chon die Tochter des<lb/>
Kolonieenfu&#x0364;hrers Neleus &#x017F;o u&#x0364;beraus &#x017F;ittenlos &#x017F;childert <note place="foot" n="4">Archiloch. <hi rendition="#aq">p.</hi> 226 Liebel. Lykophr.<lb/>
1385 u. Tzetz. Etym. <hi rendition="#aq">s. v.</hi> &#x1F00;&#x03C3;&#x03B5;&#x03BB;&#x03B3;&#x03B1;&#x1F76;&#x03BD;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BD;. &#x1F18;&#x03BB;&#x03B5;&#x03B3;&#x03B7;&#x0390;&#x03C2;. Ueber die<lb/>
Weichlichkeit der Kodriden, Herakl. Pont. 1.</note>,<lb/>
wie mochte es &#x017F;ein, da die Frauen der Jonier unter<lb/>
Lydi&#x017F;chen Dirnen gebuhlt hatten! Solcher Bei&#x017F;piele<lb/>
warnende Stimme konnte die alten Ge&#x017F;etzgeber wohl<lb/>
anmahnen, das eherne Band der Sitte nur de&#x017F;to fe&#x017F;ter<lb/>
anzuziehen.</p>
          </div><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0014] die Alten ſehr fabelhafte Vorſtellungen hegten 1. Es mag zur Schaͤrfung dieſer Maaßregeln wohl leicht, wie Plutarch meint, der aus dem entgegengeſetzten Verfah- ren hervorgegangene Verfall aller Zucht und Sitte un- ter den Joniern beigetragen haben; bei denen ſchon in den fruͤheſten Zeiten Verkehr mit den aſiatiſchen Nach- barn die groͤßte Verweichlichung und Erſchlaffung her- beigefuͤhrt hatte. Denn in wie alten Zeiten war hier ſchon das Helleniſche Familienverhaͤltniß zur Sklaverei des Weibes herabgeſunken; wie feig, weichlich und luxu- rioͤs ſtellen ſie ſchon ihre alten Poëten, Kallinos 2 und Aſios 3, dar; und wenn die Sage ſchon die Tochter des Kolonieenfuͤhrers Neleus ſo uͤberaus ſittenlos ſchildert 4, wie mochte es ſein, da die Frauen der Jonier unter Lydiſchen Dirnen gebuhlt hatten! Solcher Beiſpiele warnende Stimme konnte die alten Geſetzgeber wohl anmahnen, das eherne Band der Sitte nur deſto feſter anzuziehen. 1 Aus Th. 1, 144. vgl. mit Plut. Agis ſieht man, daß die ξενηλασὶα blos gegen Staͤmme von fremdartigen Sitten, fremder δὶαιτα, galt, z. B. meiſt gegen Athener. Doch war Sparta an den Gymnopaͤdien (Plut. Ageſ. 29. vgl. Kimon 10. Xenoph. Denkw. Sokr. 1, 2, 61.) und andern Feſten voll von Fremden. Cragius de rep. 3. p. 213. Dichter, wie Thaletas, Terpandros, Nym- phaͤos von Kydonia, Theognis (der die freundliche Aufnahme in dem ἀγλαὸν ἄοτυ ruͤhmt, V. 785.), Philoſophen, wie Pherekydes und Anaximandros und der Skythe Anacharſis, wurden gern aufgenom- men; andere Claſſen von Geſchaͤften ausgeſchloſſen. So gab es uͤber Perſonen und Zeit Beſtimmungen. Vgl. noch Plut. Lyk. 27. der ſich auf Th. 2, 44. bezieht. Ariſt. Voͤgel 1013. und Schol. (aus Theopomp.) und zu Frieden 622. Suid. διειϱωνόξενοι, ξενη- λατεῖν. Theophil. Instit. l. 1. tit. 2. vgl. de la Nauze Mem. de l’Ac. d. I. T. 12. p. 159. 2 p. 100. bei Franck. 3 S. Naͤke’s Choerilus p. 74. 4 Archiloch. p. 226 Liebel. Lykophr. 1385 u. Tzetz. Etym. s. v. ἀσελγαὶνειν. Ἐλεγηΐς. Ueber die Weichlichkeit der Kodriden, Herakl. Pont. 1.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/14
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/14>, abgerufen am 23.11.2024.