Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

statt haben, als jener Organismus gestört und ein
unsicheres Schwanken eingetreten war. Eine gewisse
Aehnlichkeit hat allerdings das Römische Tribunat in
seiner Entstehung mit der Ephorenwürde 1, doch war
jenes ein wesentlicheres Bedürfniß, indem durch das-
selbe ein ganzes Volk, die Plebs Romana, eine nöthige
und billige Repräsentation erhielt: in Sparta dagegen
gehörte die Gerusie, obgleich aus den angesehensten
Bürgern erwählt, doch dem ganzen Spartiatischen
Volke an, und die Demokratie war in der Volksver-
sammlung selbst als die Grundlage der ganzen Ver-
fassung gesetzt 2.

Wenn sonach die größere politische Gewalt der
Ephoren nicht Lykurgisch ist: so behaupte ich auch, daß
sie nicht von Theopompos Zeit herrührt. Denn es
verdient Glauben, daß Theopompos und Polydoros
zur oben angeführten Rhetra die Worte hinzufügten:
"Wenn aber das Volk eine vom geraden Wege abge-
hende Meinung ergreifen sollte, sollen die Geronten
und Fürsten Abwender sein." Hier sind nun erstens
die Ephoren ganz unerwähnt geblieben, welche doch
im Peloponnesischen Kriege das Volk stimmen ließen
und besonders häufig den Vortrag hatten; und zwei-
tens ist die Tendenz dieser Clausel offenbar Beschrän-
kung der Demokratie; daß die Macht der Ephorie aber
auf demokratischen Principen beruht, wird weiter un-
ten noch klarer werden.

Es ist deutlich, daß jene angeblich historischen
Traditionen uns, statt zu klarer Entwickelung, auf
Widersprüche führen; und wir werden, um zu einer

1 Cie. de legg. u. de rep. a. O. Valer. Max. 4, 1.
2 Vgl. Niebuhr Röm. Gesch. 1. S. 420., von dessen Ansicht über
die Ephoren wie Spartas Staatsleben überhaupt die hier darge-
legte öfter abweicht.

ſtatt haben, als jener Organismus geſtoͤrt und ein
unſicheres Schwanken eingetreten war. Eine gewiſſe
Aehnlichkeit hat allerdings das Roͤmiſche Tribunat in
ſeiner Entſtehung mit der Ephorenwuͤrde 1, doch war
jenes ein weſentlicheres Beduͤrfniß, indem durch das-
ſelbe ein ganzes Volk, die Plebs Romana, eine noͤthige
und billige Repraͤſentation erhielt: in Sparta dagegen
gehoͤrte die Geruſie, obgleich aus den angeſehenſten
Buͤrgern erwaͤhlt, doch dem ganzen Spartiatiſchen
Volke an, und die Demokratie war in der Volksver-
ſammlung ſelbſt als die Grundlage der ganzen Ver-
faſſung geſetzt 2.

Wenn ſonach die groͤßere politiſche Gewalt der
Ephoren nicht Lykurgiſch iſt: ſo behaupte ich auch, daß
ſie nicht von Theopompos Zeit herruͤhrt. Denn es
verdient Glauben, daß Theopompos und Polydoros
zur oben angefuͤhrten Rhetra die Worte hinzufuͤgten:
“Wenn aber das Volk eine vom geraden Wege abge-
hende Meinung ergreifen ſollte, ſollen die Geronten
und Fuͤrſten Abwender ſein.” Hier ſind nun erſtens
die Ephoren ganz unerwaͤhnt geblieben, welche doch
im Peloponneſiſchen Kriege das Volk ſtimmen ließen
und beſonders haͤufig den Vortrag hatten; und zwei-
tens iſt die Tendenz dieſer Clauſel offenbar Beſchraͤn-
kung der Demokratie; daß die Macht der Ephorie aber
auf demokratiſchen Principen beruht, wird weiter un-
ten noch klarer werden.

Es iſt deutlich, daß jene angeblich hiſtoriſchen
Traditionen uns, ſtatt zu klarer Entwickelung, auf
Widerſpruͤche fuͤhren; und wir werden, um zu einer

1 Cie. de legg. u. de rep. a. O. Valer. Max. 4, 1.
2 Vgl. Niebuhr Roͤm. Geſch. 1. S. 420., von deſſen Anſicht uͤber
die Ephoren wie Spartas Staatsleben uͤberhaupt die hier darge-
legte oͤfter abweicht.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0120" n="114"/>
&#x017F;tatt haben, als jener Organismus ge&#x017F;to&#x0364;rt und ein<lb/>
un&#x017F;icheres Schwanken eingetreten war. Eine gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Aehnlichkeit hat allerdings das Ro&#x0364;mi&#x017F;che Tribunat in<lb/>
&#x017F;einer Ent&#x017F;tehung mit der Ephorenwu&#x0364;rde <note place="foot" n="1">Cie. <hi rendition="#aq">de legg.</hi> u. <hi rendition="#aq">de rep.</hi> a. O. Valer. Max. 4, 1.</note>, doch war<lb/>
jenes ein we&#x017F;entlicheres Bedu&#x0364;rfniß, indem durch das-<lb/>
&#x017F;elbe ein ganzes Volk, die <hi rendition="#aq">Plebs Romana,</hi> eine no&#x0364;thige<lb/>
und billige Repra&#x0364;&#x017F;entation erhielt: in Sparta dagegen<lb/>
geho&#x0364;rte die Geru&#x017F;ie, obgleich aus den ange&#x017F;ehen&#x017F;ten<lb/>
Bu&#x0364;rgern erwa&#x0364;hlt, doch dem ganzen Spartiati&#x017F;chen<lb/>
Volke an, und die Demokratie war in der Volksver-<lb/>
&#x017F;ammlung &#x017F;elb&#x017F;t als die Grundlage der ganzen Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung ge&#x017F;etzt <note place="foot" n="2">Vgl. Niebuhr Ro&#x0364;m. Ge&#x017F;ch. 1. S. 420., von de&#x017F;&#x017F;en An&#x017F;icht u&#x0364;ber<lb/>
die Ephoren wie Spartas Staatsleben u&#x0364;berhaupt die hier darge-<lb/>
legte o&#x0364;fter abweicht.</note>.</p><lb/>
            <p>Wenn &#x017F;onach die gro&#x0364;ßere politi&#x017F;che Gewalt der<lb/>
Ephoren nicht Lykurgi&#x017F;ch i&#x017F;t: &#x017F;o behaupte ich auch, daß<lb/>
&#x017F;ie nicht von Theopompos Zeit herru&#x0364;hrt. Denn es<lb/>
verdient Glauben, daß Theopompos und Polydoros<lb/>
zur oben angefu&#x0364;hrten Rhetra die Worte hinzufu&#x0364;gten:<lb/>
&#x201C;Wenn aber das Volk eine vom geraden Wege abge-<lb/>
hende Meinung ergreifen &#x017F;ollte, &#x017F;ollen die Geronten<lb/>
und Fu&#x0364;r&#x017F;ten Abwender &#x017F;ein.&#x201D; Hier &#x017F;ind nun er&#x017F;tens<lb/>
die Ephoren ganz unerwa&#x0364;hnt geblieben, welche doch<lb/>
im Peloponne&#x017F;i&#x017F;chen Kriege das Volk &#x017F;timmen ließen<lb/>
und be&#x017F;onders ha&#x0364;ufig den Vortrag hatten; und zwei-<lb/>
tens i&#x017F;t die Tendenz die&#x017F;er Clau&#x017F;el offenbar Be&#x017F;chra&#x0364;n-<lb/>
kung der Demokratie; daß die Macht der Ephorie aber<lb/>
auf demokrati&#x017F;chen Principen beruht, wird weiter un-<lb/>
ten noch klarer werden.</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t deutlich, daß jene angeblich hi&#x017F;tori&#x017F;chen<lb/>
Traditionen uns, &#x017F;tatt zu klarer Entwickelung, auf<lb/>
Wider&#x017F;pru&#x0364;che fu&#x0364;hren; und wir werden, um zu einer<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0120] ſtatt haben, als jener Organismus geſtoͤrt und ein unſicheres Schwanken eingetreten war. Eine gewiſſe Aehnlichkeit hat allerdings das Roͤmiſche Tribunat in ſeiner Entſtehung mit der Ephorenwuͤrde 1, doch war jenes ein weſentlicheres Beduͤrfniß, indem durch das- ſelbe ein ganzes Volk, die Plebs Romana, eine noͤthige und billige Repraͤſentation erhielt: in Sparta dagegen gehoͤrte die Geruſie, obgleich aus den angeſehenſten Buͤrgern erwaͤhlt, doch dem ganzen Spartiatiſchen Volke an, und die Demokratie war in der Volksver- ſammlung ſelbſt als die Grundlage der ganzen Ver- faſſung geſetzt 2. Wenn ſonach die groͤßere politiſche Gewalt der Ephoren nicht Lykurgiſch iſt: ſo behaupte ich auch, daß ſie nicht von Theopompos Zeit herruͤhrt. Denn es verdient Glauben, daß Theopompos und Polydoros zur oben angefuͤhrten Rhetra die Worte hinzufuͤgten: “Wenn aber das Volk eine vom geraden Wege abge- hende Meinung ergreifen ſollte, ſollen die Geronten und Fuͤrſten Abwender ſein.” Hier ſind nun erſtens die Ephoren ganz unerwaͤhnt geblieben, welche doch im Peloponneſiſchen Kriege das Volk ſtimmen ließen und beſonders haͤufig den Vortrag hatten; und zwei- tens iſt die Tendenz dieſer Clauſel offenbar Beſchraͤn- kung der Demokratie; daß die Macht der Ephorie aber auf demokratiſchen Principen beruht, wird weiter un- ten noch klarer werden. Es iſt deutlich, daß jene angeblich hiſtoriſchen Traditionen uns, ſtatt zu klarer Entwickelung, auf Widerſpruͤche fuͤhren; und wir werden, um zu einer 1 Cie. de legg. u. de rep. a. O. Valer. Max. 4, 1. 2 Vgl. Niebuhr Roͤm. Geſch. 1. S. 420., von deſſen Anſicht uͤber die Ephoren wie Spartas Staatsleben uͤberhaupt die hier darge- legte oͤfter abweicht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/120
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/120>, abgerufen am 03.12.2024.