des Staats mit dem Delphischen Heiligthum unterhiel- ten, die Pythier ernannten, und mit ihnen zusammen die Orakel lasen und aufbewahrten 1. Wie hiernach das Ansehn des Königthums religiös begründet war, so war es auch durch Religion beschränkt, obgleich was wir davon wissen, uns mehr als eine in der Regel bedeutungslose Antiquität zugekommen ist, denn als eine Einrichtung von Einfluß und Kraft. Alle acht Jahre (di eton ennea) wählten die Ephoren eine reine und mondlose Nacht, und setzten sich in aller Stille gegen den Himmel schauend. Wenn nun eine Stern- schnuppe sich zeigte, glaubte man, daß die Könige ir- gend wie gegen die Gottheit gesündigt, und suspendirte sie, bis ein Orakel aus Delphoi oder von den Opfer- priestern zu Olympia sie von der Schuld reinigte 2. Vergleicht man diese im Wesentlichen gewiß uralte Sitte mit der Bedeutsamkeit der ennaeterischen Periode für altes Staatsleben, und besonders mit der in einem Homerischen Verse aufbewahrten Sage "von dem in neunjährigen Zeiträumen herrschenden und mit Zeus redenden Minos" 3: so sieht man ein, daß die Herrschaft der altdorischen Fürsten mit jeder En- naeteris gleichsam von neuem anhub und neuer religiö- ser Bestätigung bedurfte. So innig verschmolzen waren in uralter Zeit Religion und Politik.
So ist aus dem Gesagten klar, daß die Dorier das Königthum als von der Gottheit stammend, und keinesweges als vom Volke ausgehend ansahen, so wenig wie sie sich auf der andern Seite des Volkes Freiheit als vom Könige abhängig denken konnten. Sondern sie wußten wohl, daß die Elemente der Ver-
1 oben S. 18.
2 Plut. Agis 11.
3 von welchem Hoeck über Kreta genauer handeln wird.
des Staats mit dem Delphiſchen Heiligthum unterhiel- ten, die Pythier ernannten, und mit ihnen zuſammen die Orakel laſen und aufbewahrten 1. Wie hiernach das Anſehn des Koͤnigthums religioͤs begruͤndet war, ſo war es auch durch Religion beſchraͤnkt, obgleich was wir davon wiſſen, uns mehr als eine in der Regel bedeutungsloſe Antiquitaͤt zugekommen iſt, denn als eine Einrichtung von Einfluß und Kraft. Alle acht Jahre (δἰ ἐτῶν ἐννέα) waͤhlten die Ephoren eine reine und mondloſe Nacht, und ſetzten ſich in aller Stille gegen den Himmel ſchauend. Wenn nun eine Stern- ſchnuppe ſich zeigte, glaubte man, daß die Koͤnige ir- gend wie gegen die Gottheit geſuͤndigt, und ſuspendirte ſie, bis ein Orakel aus Delphoi oder von den Opfer- prieſtern zu Olympia ſie von der Schuld reinigte 2. Vergleicht man dieſe im Weſentlichen gewiß uralte Sitte mit der Bedeutſamkeit der ennaeteriſchen Periode fuͤr altes Staatsleben, und beſonders mit der in einem Homeriſchen Verſe aufbewahrten Sage “von dem in neunjaͤhrigen Zeitraͤumen herrſchenden und mit Zeus redenden Minos” 3: ſo ſieht man ein, daß die Herrſchaft der altdoriſchen Fuͤrſten mit jeder En- naeteris gleichſam von neuem anhub und neuer religioͤ- ſer Beſtaͤtigung bedurfte. So innig verſchmolzen waren in uralter Zeit Religion und Politik.
So iſt aus dem Geſagten klar, daß die Dorier das Koͤnigthum als von der Gottheit ſtammend, und keinesweges als vom Volke ausgehend anſahen, ſo wenig wie ſie ſich auf der andern Seite des Volkes Freiheit als vom Koͤnige abhaͤngig denken konnten. Sondern ſie wußten wohl, daß die Elemente der Ver-
1 oben S. 18.
2 Plut. Agis 11.
3 von welchem Hoeck uͤber Kreta genauer handeln wird.
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des Staats mit dem Delphiſchen Heiligthum unterhiel-
ten, die Pythier ernannten, und mit ihnen zuſammen
die Orakel laſen und aufbewahrten 1. Wie hiernach
das Anſehn des Koͤnigthums religioͤs begruͤndet war,
ſo war es auch durch Religion beſchraͤnkt, obgleich was
wir davon wiſſen, uns mehr als eine in der Regel
bedeutungsloſe Antiquitaͤt zugekommen iſt, denn als
eine Einrichtung von Einfluß und Kraft. Alle acht
Jahre (δἰ ἐτῶν ἐννέα) waͤhlten die Ephoren eine reine
und mondloſe Nacht, und ſetzten ſich in aller Stille
gegen den Himmel ſchauend. Wenn nun eine Stern-
ſchnuppe ſich zeigte, glaubte man, daß die Koͤnige ir-
gend wie gegen die Gottheit geſuͤndigt, und ſuspendirte
ſie, bis ein Orakel aus Delphoi oder von den Opfer-
prieſtern zu Olympia ſie von der Schuld reinigte 2.
Vergleicht man dieſe im Weſentlichen gewiß uralte
Sitte mit der Bedeutſamkeit der ennaeteriſchen Periode
fuͤr altes Staatsleben, und beſonders mit der in einem
Homeriſchen Verſe aufbewahrten Sage “von dem in
neunjaͤhrigen Zeitraͤumen herrſchenden und
mit Zeus redenden Minos” 3: ſo ſieht man ein, daß
die Herrſchaft der altdoriſchen Fuͤrſten mit jeder En-
naeteris gleichſam von neuem anhub und neuer religioͤ-
ſer Beſtaͤtigung bedurfte. So innig verſchmolzen waren
in uralter Zeit Religion und Politik.
So iſt aus dem Geſagten klar, daß die Dorier
das Koͤnigthum als von der Gottheit ſtammend, und
keinesweges als vom Volke ausgehend anſahen, ſo
wenig wie ſie ſich auf der andern Seite des Volkes
Freiheit als vom Koͤnige abhaͤngig denken konnten.
Sondern ſie wußten wohl, daß die Elemente der Ver-
1 oben S. 18.
2 Plut. Agis 11.
3 von welchem
Hoeck uͤber Kreta genauer handeln wird.
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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/106>, abgerufen am 22.11.2024.
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