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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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die sie wieder von den meisten Heroen unterschei-
det. Im Ganzen wissen wir so viel: Die Dorier
fanden Religion und Mythus der Tyndariden schon in
Amyklä, Therapne, Pephnos und andern Orten an-
sässig vor; sie eigneten sie sich an, Manches in ihrem
Sinne ummodelnd und wenig um den Zusammenhang
und die Einheit der Idee bekümmert, immer blieb die-
sen ein gewisser Schimmer einer wunderbaren und gött-
lichen Natur, der die Veranlassung gab, die Religion
der Großen Götter an sie anzuknüpfen.

9.

Ehe wir von hier zur eigentlichen heroischen My-
thologie der Dorier, die sich ganz um Herakles dreht,
fortschreiten: versuchen wir vorher, den allgemeinen
Charakter Dorischer Religiosität, hauptsächlich
aus den gegebenen einzelnen Culten, zusammenzufassen.
Sowohl in der Ausbildung der diesem Volke eigen-
thümlichen, als in der Annahme und Umbildung an-
derer Götterdienste zeigt sich durchgehends eine ideali-
stische Geistesrichtung, die die Gottheit weniger in Be-
zug auf das Leben der Natur, als auf menschliche freie
Thätigkeit faßt, und ihr Wesen und Sein sich mehr nach
der Analogie der letztern als des erstern vorstellt. Dar-
um wird alles Mystische in den Hintergrund gedrängt,
welches im religiösen Gefühl aus der Erkenntniß der
absoluten Differenz des Göttlichen hervorgeht, und da-
her in Naturculten vorwiegt; dagegen wird die Gott-
heit menschlicher, heroischer gedacht, wenn auch dies
noch nicht so sehr als in der epischen Poesie. Sonach
hatte die Frömmigkeit bei diesem Stamme etwas be-
sonders Energisches, weil die Vorstellung von den Göt-
tern klar, bestimmt, persönlich war, und bestand wohl
mit einer gewissen heitern Freisinnigkeit zusammen,
weil das Niederdrückende überschwenglicher, so wie das
Düstre auflösender Gefühle ziemlich entfernt blieb.

die ſie wieder von den meiſten Heroen unterſchei-
det. Im Ganzen wiſſen wir ſo viel: Die Dorier
fanden Religion und Mythus der Tyndariden ſchon in
Amyklaͤ, Therapne, Pephnos und andern Orten an-
ſaͤſſig vor; ſie eigneten ſie ſich an, Manches in ihrem
Sinne ummodelnd und wenig um den Zuſammenhang
und die Einheit der Idee bekuͤmmert, immer blieb die-
ſen ein gewiſſer Schimmer einer wunderbaren und goͤtt-
lichen Natur, der die Veranlaſſung gab, die Religion
der Großen Goͤtter an ſie anzuknuͤpfen.

9.

Ehe wir von hier zur eigentlichen heroiſchen My-
thologie der Dorier, die ſich ganz um Herakles dreht,
fortſchreiten: verſuchen wir vorher, den allgemeinen
Charakter Doriſcher Religioſitaͤt, hauptſaͤchlich
aus den gegebenen einzelnen Culten, zuſammenzufaſſen.
Sowohl in der Ausbildung der dieſem Volke eigen-
thuͤmlichen, als in der Annahme und Umbildung an-
derer Goͤtterdienſte zeigt ſich durchgehends eine ideali-
ſtiſche Geiſtesrichtung, die die Gottheit weniger in Be-
zug auf das Leben der Natur, als auf menſchliche freie
Thaͤtigkeit faßt, und ihr Weſen und Sein ſich mehr nach
der Analogie der letztern als des erſtern vorſtellt. Dar-
um wird alles Myſtiſche in den Hintergrund gedraͤngt,
welches im religioͤſen Gefuͤhl aus der Erkenntniß der
abſoluten Differenz des Goͤttlichen hervorgeht, und da-
her in Naturculten vorwiegt; dagegen wird die Gott-
heit menſchlicher, heroiſcher gedacht, wenn auch dies
noch nicht ſo ſehr als in der epiſchen Poëſie. Sonach
hatte die Froͤmmigkeit bei dieſem Stamme etwas be-
ſonders Energiſches, weil die Vorſtellung von den Goͤt-
tern klar, beſtimmt, perſoͤnlich war, und beſtand wohl
mit einer gewiſſen heitern Freiſinnigkeit zuſammen,
weil das Niederdruͤckende uͤberſchwenglicher, ſo wie das
Duͤſtre aufloͤſender Gefuͤhle ziemlich entfernt blieb.

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[409/0439] die ſie wieder von den meiſten Heroen unterſchei- det. Im Ganzen wiſſen wir ſo viel: Die Dorier fanden Religion und Mythus der Tyndariden ſchon in Amyklaͤ, Therapne, Pephnos und andern Orten an- ſaͤſſig vor; ſie eigneten ſie ſich an, Manches in ihrem Sinne ummodelnd und wenig um den Zuſammenhang und die Einheit der Idee bekuͤmmert, immer blieb die- ſen ein gewiſſer Schimmer einer wunderbaren und goͤtt- lichen Natur, der die Veranlaſſung gab, die Religion der Großen Goͤtter an ſie anzuknuͤpfen. 9. Ehe wir von hier zur eigentlichen heroiſchen My- thologie der Dorier, die ſich ganz um Herakles dreht, fortſchreiten: verſuchen wir vorher, den allgemeinen Charakter Doriſcher Religioſitaͤt, hauptſaͤchlich aus den gegebenen einzelnen Culten, zuſammenzufaſſen. Sowohl in der Ausbildung der dieſem Volke eigen- thuͤmlichen, als in der Annahme und Umbildung an- derer Goͤtterdienſte zeigt ſich durchgehends eine ideali- ſtiſche Geiſtesrichtung, die die Gottheit weniger in Be- zug auf das Leben der Natur, als auf menſchliche freie Thaͤtigkeit faßt, und ihr Weſen und Sein ſich mehr nach der Analogie der letztern als des erſtern vorſtellt. Dar- um wird alles Myſtiſche in den Hintergrund gedraͤngt, welches im religioͤſen Gefuͤhl aus der Erkenntniß der abſoluten Differenz des Goͤttlichen hervorgeht, und da- her in Naturculten vorwiegt; dagegen wird die Gott- heit menſchlicher, heroiſcher gedacht, wenn auch dies noch nicht ſo ſehr als in der epiſchen Poëſie. Sonach hatte die Froͤmmigkeit bei dieſem Stamme etwas be- ſonders Energiſches, weil die Vorſtellung von den Goͤt- tern klar, beſtimmt, perſoͤnlich war, und beſtand wohl mit einer gewiſſen heitern Freiſinnigkeit zuſammen, weil das Niederdruͤckende uͤberſchwenglicher, ſo wie das Duͤſtre aufloͤſender Gefuͤhle ziemlich entfernt blieb.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/439>, abgerufen am 22.11.2024.