Soviel über das Lokal, wo die Hyperboreerfabel wirklich existirte und sich erhalten hat; wir kommen nun zu dem, in welches Sage und Dichtung das hei- lige Volk selbst hinaufschiebt. Der Name an sich ist die Hauptquelle. Er bezeichnet erstens ein nördli- ches Volk: weil vom Norden der Dienst des Gottes herabkam. Man kann dabei an die Gegend von Tempe denken, was der alten einfachen Beschränktheit der Sage am angemessensten: will man kühnerer Vermu- thung Raum geben, so erinnere ich an die Illyrischen Hylleer, deren Verwandtschaft mit den Doriern und dem Apollodienst ich oben nachgewiesen 1. Sonst lasse man sich das ideale Bild genügen, womit Sophokles 2 uns
Jenseits des Pontos zu dem fernsten Erdenland, Thorweg des Uranos und Quellenborn der Nacht, Und Phöbos alten Garten
entführt. -- Aber die Hyperboreer wohnen zweitens über dem Boreas, damit das glückselige Volk der kalte Nordwind nicht treffe, so wie nach Homer das Haupt des Olympos, weil es über den Schneewolken sich erhebt, nie Schnee umstöbert, sondern ewig milde Heitre umgiebt.
5.
Mehr gehört kaum zur ursprünglichen Vorstellung des Fabelvolks; aber damit unbegnügt wetteiferten Dich- ter und Erdbeschreiber, dem ideellen Volke in der Reihen- folge der Nationen ein bestimmteres Lokal auszumitteln. Und dies zwar auf doppelte Weise, entweder in den Westgegenden oder am Nordrande der Erde.
Pindaros, der doch weder zu Schiffe noch zu Fuße den wunderbaren Weg zu ihnen aufzufinden mög-
1 So der treffliche Bayer de Hyperboreis. Commentr. Petrop. T. 11. p. 334., der überhaupt die nördlichen Griechen am Pontos und Adriat. Meer darunter versteht; die Etrusker von Spi- na Voß mit Beziehung auf Dion. Hal. Arch. 1, 18.
2 bei Str. 7, 204.
II. 18
4.
Soviel uͤber das Lokal, wo die Hyperboreerfabel wirklich exiſtirte und ſich erhalten hat; wir kommen nun zu dem, in welches Sage und Dichtung das hei- lige Volk ſelbſt hinaufſchiebt. Der Name an ſich iſt die Hauptquelle. Er bezeichnet erſtens ein noͤrdli- ches Volk: weil vom Norden der Dienſt des Gottes herabkam. Man kann dabei an die Gegend von Tempe denken, was der alten einfachen Beſchraͤnktheit der Sage am angemeſſenſten: will man kuͤhnerer Vermu- thung Raum geben, ſo erinnere ich an die Illyriſchen Hylleer, deren Verwandtſchaft mit den Doriern und dem Apollodienſt ich oben nachgewieſen 1. Sonſt laſſe man ſich das ideale Bild genuͤgen, womit Sophokles 2 uns
Jenſeits des Pontos zu dem fernſten Erdenland, Thorweg des Uranos und Quellenborn der Nacht, Und Phoͤbos alten Garten
entfuͤhrt. — Aber die Hyperboreer wohnen zweitens uͤber dem Boreas, damit das gluͤckſelige Volk der kalte Nordwind nicht treffe, ſo wie nach Homer das Haupt des Olympos, weil es uͤber den Schneewolken ſich erhebt, nie Schnee umſtoͤbert, ſondern ewig milde Heitre umgiebt.
5.
Mehr gehoͤrt kaum zur urſpruͤnglichen Vorſtellung des Fabelvolks; aber damit unbegnuͤgt wetteiferten Dich- ter und Erdbeſchreiber, dem ideellen Volke in der Reihen- folge der Nationen ein beſtimmteres Lokal auszumitteln. Und dies zwar auf doppelte Weiſe, entweder in den Weſtgegenden oder am Nordrande der Erde.
Pindaros, der doch weder zu Schiffe noch zu Fuße den wunderbaren Weg zu ihnen aufzufinden moͤg-
1 So der treffliche Bayer de Hyperboreis. Commentr. Petrop. T. 11. p. 334., der uͤberhaupt die noͤrdlichen Griechen am Pontos und Adriat. Meer darunter verſteht; die Etrusker von Spi- na Voß mit Beziehung auf Dion. Hal. Arch. 1, 18.
2 bei Str. 7, 204.
II. 18
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0303"n="273"/><divn="4"><head>4.</head><lb/><p>Soviel uͤber das Lokal, wo die Hyperboreerfabel<lb/>
wirklich exiſtirte und ſich erhalten hat; wir kommen<lb/>
nun zu dem, in welches Sage und Dichtung das hei-<lb/>
lige Volk ſelbſt hinaufſchiebt. Der Name an ſich iſt<lb/>
die Hauptquelle. Er bezeichnet erſtens ein <hirendition="#g">noͤrdli-<lb/>
ches</hi> Volk: weil vom Norden der Dienſt des Gottes<lb/>
herabkam. Man kann dabei an die Gegend von Tempe<lb/>
denken, was der alten einfachen Beſchraͤnktheit der<lb/>
Sage am angemeſſenſten: will man kuͤhnerer Vermu-<lb/>
thung Raum geben, ſo erinnere ich an die Illyriſchen<lb/>
Hylleer, deren Verwandtſchaft mit den Doriern und dem<lb/>
Apollodienſt ich oben nachgewieſen <noteplace="foot"n="1">So der treffliche Bayer <hirendition="#aq">de Hyperboreis. Commentr.<lb/>
Petrop. T. 11. p.</hi> 334., der uͤberhaupt die noͤrdlichen Griechen am<lb/>
Pontos und Adriat. Meer darunter verſteht; die Etrusker von Spi-<lb/>
na Voß mit Beziehung auf Dion. Hal. Arch. 1, 18.</note>. Sonſt laſſe man<lb/>ſich das ideale Bild genuͤgen, womit Sophokles <noteplace="foot"n="2">bei Str. 7, 204.</note> uns</p><lb/><lgtype="poem"><l>Jenſeits des Pontos zu dem fernſten Erdenland,</l><lb/><l>Thorweg des Uranos und Quellenborn der Nacht,</l><lb/><l>Und <hirendition="#g">Phoͤbos alten Garten</hi></l></lg><lb/><p>entfuͤhrt. — Aber die Hyperboreer wohnen zweitens<lb/><hirendition="#g">uͤber dem Boreas,</hi> damit das gluͤckſelige Volk der<lb/>
kalte Nordwind nicht treffe, ſo wie nach Homer das<lb/>
Haupt des Olympos, weil es uͤber den Schneewolken<lb/>ſich erhebt, nie Schnee umſtoͤbert, ſondern ewig milde<lb/>
Heitre umgiebt.</p></div><lb/><divn="4"><head>5.</head><lb/><p>Mehr gehoͤrt kaum zur urſpruͤnglichen Vorſtellung<lb/>
des Fabelvolks; aber damit unbegnuͤgt wetteiferten Dich-<lb/>
ter und Erdbeſchreiber, dem ideellen Volke in der Reihen-<lb/>
folge der Nationen ein beſtimmteres Lokal auszumitteln.<lb/>
Und dies zwar auf doppelte Weiſe, entweder in den<lb/><hirendition="#g">Weſtgegenden</hi> oder am <hirendition="#g">Nordrande</hi> der Erde.</p><lb/><p>Pindaros, der doch weder zu Schiffe noch zu<lb/>
Fuße den wunderbaren Weg zu ihnen aufzufinden moͤg-<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">II.</hi> 18</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[273/0303]
4.
Soviel uͤber das Lokal, wo die Hyperboreerfabel
wirklich exiſtirte und ſich erhalten hat; wir kommen
nun zu dem, in welches Sage und Dichtung das hei-
lige Volk ſelbſt hinaufſchiebt. Der Name an ſich iſt
die Hauptquelle. Er bezeichnet erſtens ein noͤrdli-
ches Volk: weil vom Norden der Dienſt des Gottes
herabkam. Man kann dabei an die Gegend von Tempe
denken, was der alten einfachen Beſchraͤnktheit der
Sage am angemeſſenſten: will man kuͤhnerer Vermu-
thung Raum geben, ſo erinnere ich an die Illyriſchen
Hylleer, deren Verwandtſchaft mit den Doriern und dem
Apollodienſt ich oben nachgewieſen 1. Sonſt laſſe man
ſich das ideale Bild genuͤgen, womit Sophokles 2 uns
Jenſeits des Pontos zu dem fernſten Erdenland,
Thorweg des Uranos und Quellenborn der Nacht,
Und Phoͤbos alten Garten
entfuͤhrt. — Aber die Hyperboreer wohnen zweitens
uͤber dem Boreas, damit das gluͤckſelige Volk der
kalte Nordwind nicht treffe, ſo wie nach Homer das
Haupt des Olympos, weil es uͤber den Schneewolken
ſich erhebt, nie Schnee umſtoͤbert, ſondern ewig milde
Heitre umgiebt.
5.
Mehr gehoͤrt kaum zur urſpruͤnglichen Vorſtellung
des Fabelvolks; aber damit unbegnuͤgt wetteiferten Dich-
ter und Erdbeſchreiber, dem ideellen Volke in der Reihen-
folge der Nationen ein beſtimmteres Lokal auszumitteln.
Und dies zwar auf doppelte Weiſe, entweder in den
Weſtgegenden oder am Nordrande der Erde.
Pindaros, der doch weder zu Schiffe noch zu
Fuße den wunderbaren Weg zu ihnen aufzufinden moͤg-
1 So der treffliche Bayer de Hyperboreis. Commentr.
Petrop. T. 11. p. 334., der uͤberhaupt die noͤrdlichen Griechen am
Pontos und Adriat. Meer darunter verſteht; die Etrusker von Spi-
na Voß mit Beziehung auf Dion. Hal. Arch. 1, 18.
2 bei Str. 7, 204.
II. 18
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/303>, abgerufen am 18.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.