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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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4.

Soviel über das Lokal, wo die Hyperboreerfabel
wirklich existirte und sich erhalten hat; wir kommen
nun zu dem, in welches Sage und Dichtung das hei-
lige Volk selbst hinaufschiebt. Der Name an sich ist
die Hauptquelle. Er bezeichnet erstens ein nördli-
ches
Volk: weil vom Norden der Dienst des Gottes
herabkam. Man kann dabei an die Gegend von Tempe
denken, was der alten einfachen Beschränktheit der
Sage am angemessensten: will man kühnerer Vermu-
thung Raum geben, so erinnere ich an die Illyrischen
Hylleer, deren Verwandtschaft mit den Doriern und dem
Apollodienst ich oben nachgewiesen 1. Sonst lasse man
sich das ideale Bild genügen, womit Sophokles 2 uns

Jenseits des Pontos zu dem fernsten Erdenland,
Thorweg des Uranos und Quellenborn der Nacht,
Und Phöbos alten Garten

entführt. -- Aber die Hyperboreer wohnen zweitens
über dem Boreas, damit das glückselige Volk der
kalte Nordwind nicht treffe, so wie nach Homer das
Haupt des Olympos, weil es über den Schneewolken
sich erhebt, nie Schnee umstöbert, sondern ewig milde
Heitre umgiebt.

5.

Mehr gehört kaum zur ursprünglichen Vorstellung
des Fabelvolks; aber damit unbegnügt wetteiferten Dich-
ter und Erdbeschreiber, dem ideellen Volke in der Reihen-
folge der Nationen ein bestimmteres Lokal auszumitteln.
Und dies zwar auf doppelte Weise, entweder in den
Westgegenden oder am Nordrande der Erde.

Pindaros, der doch weder zu Schiffe noch zu
Fuße den wunderbaren Weg zu ihnen aufzufinden mög-

1 So der treffliche Bayer de Hyperboreis. Commentr.
Petrop. T. 11. p.
334., der überhaupt die nördlichen Griechen am
Pontos und Adriat. Meer darunter versteht; die Etrusker von Spi-
na Voß mit Beziehung auf Dion. Hal. Arch. 1, 18.
2 bei Str. 7, 204.
II. 18
4.

Soviel uͤber das Lokal, wo die Hyperboreerfabel
wirklich exiſtirte und ſich erhalten hat; wir kommen
nun zu dem, in welches Sage und Dichtung das hei-
lige Volk ſelbſt hinaufſchiebt. Der Name an ſich iſt
die Hauptquelle. Er bezeichnet erſtens ein noͤrdli-
ches
Volk: weil vom Norden der Dienſt des Gottes
herabkam. Man kann dabei an die Gegend von Tempe
denken, was der alten einfachen Beſchraͤnktheit der
Sage am angemeſſenſten: will man kuͤhnerer Vermu-
thung Raum geben, ſo erinnere ich an die Illyriſchen
Hylleer, deren Verwandtſchaft mit den Doriern und dem
Apollodienſt ich oben nachgewieſen 1. Sonſt laſſe man
ſich das ideale Bild genuͤgen, womit Sophokles 2 uns

Jenſeits des Pontos zu dem fernſten Erdenland,
Thorweg des Uranos und Quellenborn der Nacht,
Und Phoͤbos alten Garten

entfuͤhrt. — Aber die Hyperboreer wohnen zweitens
uͤber dem Boreas, damit das gluͤckſelige Volk der
kalte Nordwind nicht treffe, ſo wie nach Homer das
Haupt des Olympos, weil es uͤber den Schneewolken
ſich erhebt, nie Schnee umſtoͤbert, ſondern ewig milde
Heitre umgiebt.

5.

Mehr gehoͤrt kaum zur urſpruͤnglichen Vorſtellung
des Fabelvolks; aber damit unbegnuͤgt wetteiferten Dich-
ter und Erdbeſchreiber, dem ideellen Volke in der Reihen-
folge der Nationen ein beſtimmteres Lokal auszumitteln.
Und dies zwar auf doppelte Weiſe, entweder in den
Weſtgegenden oder am Nordrande der Erde.

Pindaros, der doch weder zu Schiffe noch zu
Fuße den wunderbaren Weg zu ihnen aufzufinden moͤg-

1 So der treffliche Bayer de Hyperboreis. Commentr.
Petrop. T. 11. p.
334., der uͤberhaupt die noͤrdlichen Griechen am
Pontos und Adriat. Meer darunter verſteht; die Etrusker von Spi-
na Voß mit Beziehung auf Dion. Hal. Arch. 1, 18.
2 bei Str. 7, 204.
II. 18
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[273/0303] 4. Soviel uͤber das Lokal, wo die Hyperboreerfabel wirklich exiſtirte und ſich erhalten hat; wir kommen nun zu dem, in welches Sage und Dichtung das hei- lige Volk ſelbſt hinaufſchiebt. Der Name an ſich iſt die Hauptquelle. Er bezeichnet erſtens ein noͤrdli- ches Volk: weil vom Norden der Dienſt des Gottes herabkam. Man kann dabei an die Gegend von Tempe denken, was der alten einfachen Beſchraͤnktheit der Sage am angemeſſenſten: will man kuͤhnerer Vermu- thung Raum geben, ſo erinnere ich an die Illyriſchen Hylleer, deren Verwandtſchaft mit den Doriern und dem Apollodienſt ich oben nachgewieſen 1. Sonſt laſſe man ſich das ideale Bild genuͤgen, womit Sophokles 2 uns Jenſeits des Pontos zu dem fernſten Erdenland, Thorweg des Uranos und Quellenborn der Nacht, Und Phoͤbos alten Garten entfuͤhrt. — Aber die Hyperboreer wohnen zweitens uͤber dem Boreas, damit das gluͤckſelige Volk der kalte Nordwind nicht treffe, ſo wie nach Homer das Haupt des Olympos, weil es uͤber den Schneewolken ſich erhebt, nie Schnee umſtoͤbert, ſondern ewig milde Heitre umgiebt. 5. Mehr gehoͤrt kaum zur urſpruͤnglichen Vorſtellung des Fabelvolks; aber damit unbegnuͤgt wetteiferten Dich- ter und Erdbeſchreiber, dem ideellen Volke in der Reihen- folge der Nationen ein beſtimmteres Lokal auszumitteln. Und dies zwar auf doppelte Weiſe, entweder in den Weſtgegenden oder am Nordrande der Erde. Pindaros, der doch weder zu Schiffe noch zu Fuße den wunderbaren Weg zu ihnen aufzufinden moͤg- 1 So der treffliche Bayer de Hyperboreis. Commentr. Petrop. T. 11. p. 334., der uͤberhaupt die noͤrdlichen Griechen am Pontos und Adriat. Meer darunter verſteht; die Etrusker von Spi- na Voß mit Beziehung auf Dion. Hal. Arch. 1, 18. 2 bei Str. 7, 204. II. 18

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/303>, abgerufen am 25.11.2024.