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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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der Seeherrschaft zu streben 1, so würden wir gewiß eine
sehr tiefbegründete Ansicht der Dinge von Spartani-
scher Seite erhalten, die wir jetzt gewohnt sind, ganz
mit Athenischem Auge anzusehn. So existirte auch der
der Begriff eines Ueberganges der Hegenomie an Athen
nur für Athen. Denn Sparta behielt ja fortwährend
sein Ansehen und Recht im Peloponnes, fortwährend
schlossen sich die meisten Völker des Mutterlandes an
dasselbe an; nur die vorher den Persern unterthänigen,
jetzt theilweise befreiten Griechen Asiens und der
Inseln, die Sparta fast zusehr verachtete, folgten
Athen 2.

8.

Eine völlige Befreiung aber des Griechischen
Vorlandes vom Persischen Joch, die man meist auf die
Liste der Großthaten Athens setzt, hat nie statt gefun-
den. Ohne die Untersuchung über den problematischen
Friedensschluß des Kimon aufnehmen zu wollen 3, mö-
gen wir nur durch einige Züge den faktischen Zu-
stand dieser Gegend bezeichnen. Herodot erzählt, daß
Artaphernes, Satrap zu Sarden unter Dareios, den
Joniern die Tribute setzte, welche von da an bis auf
die Zeit des Schriftstellers, d. h. bis gegen Ende des
Peloponnesischen Krieges, so fortbestanden hätten 4.
Daß hier nur Tribute an den Großkönig verstanden
werden können, zweifelt kein Verständiger; die Atheni-
schen Eintreibungen richteten sich wahrhaftig nach kei-
nem Persischen Kadaster. Weiter: im neunzehnten

1 Diod. 11, 50.
2 Sehr deutlich Th. 6, 82.
3 Ueber
diesen hat nach Eichstädt zu Midfort und Mosche de eo quod in
Cornelii vit. faciendum restat. Francof.
1802. zuletzt mit gro-
ßer Klarheit und Gründlichkeit Dahlmann gehandelt: "Forschungen
auf dem Gebiet der Gesch." 1, 1 -- 148. Einige Momente habe
ich hier noch beigefügt.
4 Her. 6, 42. Vgl. meine Rec. einer
Schrift von Fr. Kortüm, Götting. Anz. 1822. S. 117.

der Seeherrſchaft zu ſtreben 1, ſo wuͤrden wir gewiß eine
ſehr tiefbegruͤndete Anſicht der Dinge von Spartani-
ſcher Seite erhalten, die wir jetzt gewohnt ſind, ganz
mit Atheniſchem Auge anzuſehn. So exiſtirte auch der
der Begriff eines Ueberganges der Hegenomie an Athen
nur fuͤr Athen. Denn Sparta behielt ja fortwaͤhrend
ſein Anſehen und Recht im Peloponnes, fortwaͤhrend
ſchloſſen ſich die meiſten Voͤlker des Mutterlandes an
daſſelbe an; nur die vorher den Perſern unterthaͤnigen,
jetzt theilweiſe befreiten Griechen Aſiens und der
Inſeln, die Sparta faſt zuſehr verachtete, folgten
Athen 2.

8.

Eine voͤllige Befreiung aber des Griechiſchen
Vorlandes vom Perſiſchen Joch, die man meiſt auf die
Liſte der Großthaten Athens ſetzt, hat nie ſtatt gefun-
den. Ohne die Unterſuchung uͤber den problematiſchen
Friedensſchluß des Kimon aufnehmen zu wollen 3, moͤ-
gen wir nur durch einige Zuͤge den faktiſchen Zu-
ſtand dieſer Gegend bezeichnen. Herodot erzaͤhlt, daß
Artaphernes, Satrap zu Sarden unter Dareios, den
Joniern die Tribute ſetzte, welche von da an bis auf
die Zeit des Schriftſtellers, d. h. bis gegen Ende des
Peloponneſiſchen Krieges, ſo fortbeſtanden haͤtten 4.
Daß hier nur Tribute an den Großkoͤnig verſtanden
werden koͤnnen, zweifelt kein Verſtaͤndiger; die Atheni-
ſchen Eintreibungen richteten ſich wahrhaftig nach kei-
nem Perſiſchen Kadaſter. Weiter: im neunzehnten

1 Diod. 11, 50.
2 Sehr deutlich Th. 6, 82.
3 Ueber
dieſen hat nach Eichſtaͤdt zu Midfort und Moſche de eo quod in
Cornelii vit. faciendum restat. Francof.
1802. zuletzt mit gro-
ßer Klarheit und Gruͤndlichkeit Dahlmann gehandelt: “Forſchungen
auf dem Gebiet der Geſch.” 1, 1 — 148. Einige Momente habe
ich hier noch beigefuͤgt.
4 Her. 6, 42. Vgl. meine Rec. einer
Schrift von Fr. Kortuͤm, Goͤtting. Anz. 1822. S. 117.
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[186/0216] der Seeherrſchaft zu ſtreben 1, ſo wuͤrden wir gewiß eine ſehr tiefbegruͤndete Anſicht der Dinge von Spartani- ſcher Seite erhalten, die wir jetzt gewohnt ſind, ganz mit Atheniſchem Auge anzuſehn. So exiſtirte auch der der Begriff eines Ueberganges der Hegenomie an Athen nur fuͤr Athen. Denn Sparta behielt ja fortwaͤhrend ſein Anſehen und Recht im Peloponnes, fortwaͤhrend ſchloſſen ſich die meiſten Voͤlker des Mutterlandes an daſſelbe an; nur die vorher den Perſern unterthaͤnigen, jetzt theilweiſe befreiten Griechen Aſiens und der Inſeln, die Sparta faſt zuſehr verachtete, folgten Athen 2. 8. Eine voͤllige Befreiung aber des Griechiſchen Vorlandes vom Perſiſchen Joch, die man meiſt auf die Liſte der Großthaten Athens ſetzt, hat nie ſtatt gefun- den. Ohne die Unterſuchung uͤber den problematiſchen Friedensſchluß des Kimon aufnehmen zu wollen 3, moͤ- gen wir nur durch einige Zuͤge den faktiſchen Zu- ſtand dieſer Gegend bezeichnen. Herodot erzaͤhlt, daß Artaphernes, Satrap zu Sarden unter Dareios, den Joniern die Tribute ſetzte, welche von da an bis auf die Zeit des Schriftſtellers, d. h. bis gegen Ende des Peloponneſiſchen Krieges, ſo fortbeſtanden haͤtten 4. Daß hier nur Tribute an den Großkoͤnig verſtanden werden koͤnnen, zweifelt kein Verſtaͤndiger; die Atheni- ſchen Eintreibungen richteten ſich wahrhaftig nach kei- nem Perſiſchen Kadaſter. Weiter: im neunzehnten 1 Diod. 11, 50. 2 Sehr deutlich Th. 6, 82. 3 Ueber dieſen hat nach Eichſtaͤdt zu Midfort und Moſche de eo quod in Cornelii vit. faciendum restat. Francof. 1802. zuletzt mit gro- ßer Klarheit und Gruͤndlichkeit Dahlmann gehandelt: “Forſchungen auf dem Gebiet der Geſch.” 1, 1 — 148. Einige Momente habe ich hier noch beigefuͤgt. 4 Her. 6, 42. Vgl. meine Rec. einer Schrift von Fr. Kortuͤm, Goͤtting. Anz. 1822. S. 117.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/216>, abgerufen am 09.11.2024.