Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Bruchstücke und Anführungen aus seinen Liedern
können uns allein zu einer richtigen Kunde helfen. Und
schon in diesen allein erscheint mancher Umstand in ei-
nem andern Lichte, als in dem Roman des Pausanias.
In diesem sind nur die Spartiaten die Angreifenden,
nur die Messenier die Angegriffenen, aber auch jene
führten den Krieg für den Besitz der eigenen Heimat:

Muthvoll stehet im Kampf für die heimischen Fluren und sinket
Niemals kargend mit Blut hin für die Kinder zum Tod 1.

Aber da auch das Alterthum nicht sehr viel von Tyr-
täos besaß, und des Geschichtlichen darin kaum viel
mehr gewesen zu sein scheint, als wir noch daraus
haben: woher nun die ganze Fülle der Erzählung, die
Pausanias vor uns ausschüttet? Aus alten epischen
Gedichten? Allein von diesen ist keine Meldung; und
überhaupt lag der geschichtliche Stoff, wenn man ihn
nicht ganz mythisch umbilden konnte, wie manche Grün-
dungsgeschichten, durchaus außer dem Bereich der äl-
teren Poesie. Wir mögen wohl zugeben, daß in den
Naupaktien, die für die Mythengeschichte des Landes
erwähnt werden 2, auch beiläufig geschichtliche Andeu-
tungen gegeben sein konnten; vielleicht auch in Kinäthon,
Eumelos: aber die Alten, die sehr aus ganzem Holz
zu schneiden liebten, mühten sich wohl kaum derglei-
chen heraus zu finden. Dagegen gab es eine Reihe tra-
ditioneller Sagen, deren Charakter ein hohes Alter
verbürgt. So die Messenische, daß Aristomenes drei
Hekatomphonien oder Opfer für hundert erschlagene
Feinde dargebracht 3; ob dabei Menschenopfer verrich-

1 Frank Callinus S. 153. leugnet die Aechtheit dieses Frag-
ments bei Lykurg, aber höchst grundlos.
2 Paus. 4, 2, 1.
3 Plutarch Romul. 25. Sympos. Qu. 4, 1, 1. VII Sap. Conv.
16. Polyän 2, 31, 2. Plinius H. N. 11, 70.

Die Bruchſtuͤcke und Anfuͤhrungen aus ſeinen Liedern
koͤnnen uns allein zu einer richtigen Kunde helfen. Und
ſchon in dieſen allein erſcheint mancher Umſtand in ei-
nem andern Lichte, als in dem Roman des Pauſanias.
In dieſem ſind nur die Spartiaten die Angreifenden,
nur die Meſſenier die Angegriffenen, aber auch jene
fuͤhrten den Krieg fuͤr den Beſitz der eigenen Heimat:

Muthvoll ſtehet im Kampf fuͤr die heimiſchen Fluren und ſinket
Niemals kargend mit Blut hin fuͤr die Kinder zum Tod 1.

Aber da auch das Alterthum nicht ſehr viel von Tyr-
taͤos beſaß, und des Geſchichtlichen darin kaum viel
mehr geweſen zu ſein ſcheint, als wir noch daraus
haben: woher nun die ganze Fuͤlle der Erzaͤhlung, die
Pauſanias vor uns ausſchuͤttet? Aus alten epiſchen
Gedichten? Allein von dieſen iſt keine Meldung; und
uͤberhaupt lag der geſchichtliche Stoff, wenn man ihn
nicht ganz mythiſch umbilden konnte, wie manche Gruͤn-
dungsgeſchichten, durchaus außer dem Bereich der aͤl-
teren Poëſie. Wir moͤgen wohl zugeben, daß in den
Naupaktien, die fuͤr die Mythengeſchichte des Landes
erwaͤhnt werden 2, auch beilaͤufig geſchichtliche Andeu-
tungen gegeben ſein konnten; vielleicht auch in Kinaͤthon,
Eumelos: aber die Alten, die ſehr aus ganzem Holz
zu ſchneiden liebten, muͤhten ſich wohl kaum derglei-
chen heraus zu finden. Dagegen gab es eine Reihe tra-
ditioneller Sagen, deren Charakter ein hohes Alter
verbuͤrgt. So die Meſſeniſche, daß Ariſtomenes drei
Hekatomphonien oder Opfer fuͤr hundert erſchlagene
Feinde dargebracht 3; ob dabei Menſchenopfer verrich-

1 Frank Callinus S. 153. leugnet die Aechtheit dieſes Frag-
ments bei Lykurg, aber hoͤchſt grundlos.
2 Pauſ. 4, 2, 1.
3 Plutarch Romul. 25. Sympos. Qu. 4, 1, 1. VII Sap. Conv.
16. Polyaͤn 2, 31, 2. Plinius H. N. 11, 70.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0171" n="141"/>
Die Bruch&#x017F;tu&#x0364;cke und Anfu&#x0364;hrungen aus &#x017F;einen Liedern<lb/>
ko&#x0364;nnen uns allein zu einer richtigen Kunde helfen. Und<lb/>
&#x017F;chon in die&#x017F;en allein er&#x017F;cheint mancher Um&#x017F;tand in ei-<lb/>
nem andern Lichte, als in dem Roman des Pau&#x017F;anias.<lb/>
In die&#x017F;em &#x017F;ind nur die Spartiaten die Angreifenden,<lb/>
nur die Me&#x017F;&#x017F;enier die Angegriffenen, aber auch jene<lb/>
fu&#x0364;hrten den Krieg fu&#x0364;r den Be&#x017F;itz der eigenen Heimat:<lb/><lg type="poem"><l>Muthvoll &#x017F;tehet im Kampf fu&#x0364;r die heimi&#x017F;chen Fluren und &#x017F;inket</l><lb/><l>Niemals kargend mit Blut hin fu&#x0364;r die Kinder zum Tod <note place="foot" n="1">Frank <hi rendition="#aq">Callinus</hi> S. 153. leugnet die Aechtheit die&#x017F;es Frag-<lb/>
ments bei Lykurg, aber ho&#x0364;ch&#x017F;t grundlos.</note>.</l></lg><lb/>
Aber da auch das Alterthum nicht &#x017F;ehr viel von Tyr-<lb/>
ta&#x0364;os be&#x017F;aß, und des Ge&#x017F;chichtlichen darin kaum viel<lb/>
mehr gewe&#x017F;en zu &#x017F;ein &#x017F;cheint, als wir noch daraus<lb/>
haben: woher nun die ganze Fu&#x0364;lle der Erza&#x0364;hlung, <choice><sic>dle</sic><corr>die</corr></choice><lb/>
Pau&#x017F;anias vor uns aus&#x017F;chu&#x0364;ttet? Aus alten epi&#x017F;chen<lb/>
Gedichten? Allein von die&#x017F;en i&#x017F;t keine Meldung; und<lb/>
u&#x0364;berhaupt lag der ge&#x017F;chichtliche Stoff, wenn man ihn<lb/>
nicht ganz mythi&#x017F;ch umbilden konnte, wie manche Gru&#x0364;n-<lb/>
dungsge&#x017F;chichten, durchaus außer dem Bereich der a&#x0364;l-<lb/>
teren Poë&#x017F;ie. Wir mo&#x0364;gen wohl zugeben, daß in den<lb/>
Naupaktien, die fu&#x0364;r die Mythenge&#x017F;chichte des Landes<lb/>
erwa&#x0364;hnt werden <note place="foot" n="2">Pau&#x017F;. 4, 2, 1.</note>, auch beila&#x0364;ufig ge&#x017F;chichtliche Andeu-<lb/>
tungen gegeben &#x017F;ein konnten; vielleicht auch in Kina&#x0364;thon,<lb/>
Eumelos: aber die Alten, die &#x017F;ehr aus ganzem Holz<lb/>
zu &#x017F;chneiden liebten, mu&#x0364;hten &#x017F;ich wohl kaum derglei-<lb/>
chen heraus zu finden. Dagegen gab es eine Reihe tra-<lb/>
ditioneller Sagen, deren Charakter ein hohes Alter<lb/>
verbu&#x0364;rgt. So die Me&#x017F;&#x017F;eni&#x017F;che, daß Ari&#x017F;tomenes <hi rendition="#g">drei</hi><lb/>
Hekatomphonien oder Opfer fu&#x0364;r hundert er&#x017F;chlagene<lb/>
Feinde dargebracht <note place="foot" n="3">Plutarch Romul. 25. <hi rendition="#aq">Sympos. Qu. 4, 1, 1. VII Sap. Conv.</hi><lb/>
16. Polya&#x0364;n 2, 31, 2. Plinius <hi rendition="#aq">H. N.</hi> 11, 70.</note>; ob dabei Men&#x017F;chenopfer verrich-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[141/0171] Die Bruchſtuͤcke und Anfuͤhrungen aus ſeinen Liedern koͤnnen uns allein zu einer richtigen Kunde helfen. Und ſchon in dieſen allein erſcheint mancher Umſtand in ei- nem andern Lichte, als in dem Roman des Pauſanias. In dieſem ſind nur die Spartiaten die Angreifenden, nur die Meſſenier die Angegriffenen, aber auch jene fuͤhrten den Krieg fuͤr den Beſitz der eigenen Heimat: Muthvoll ſtehet im Kampf fuͤr die heimiſchen Fluren und ſinket Niemals kargend mit Blut hin fuͤr die Kinder zum Tod 1. Aber da auch das Alterthum nicht ſehr viel von Tyr- taͤos beſaß, und des Geſchichtlichen darin kaum viel mehr geweſen zu ſein ſcheint, als wir noch daraus haben: woher nun die ganze Fuͤlle der Erzaͤhlung, die Pauſanias vor uns ausſchuͤttet? Aus alten epiſchen Gedichten? Allein von dieſen iſt keine Meldung; und uͤberhaupt lag der geſchichtliche Stoff, wenn man ihn nicht ganz mythiſch umbilden konnte, wie manche Gruͤn- dungsgeſchichten, durchaus außer dem Bereich der aͤl- teren Poëſie. Wir moͤgen wohl zugeben, daß in den Naupaktien, die fuͤr die Mythengeſchichte des Landes erwaͤhnt werden 2, auch beilaͤufig geſchichtliche Andeu- tungen gegeben ſein konnten; vielleicht auch in Kinaͤthon, Eumelos: aber die Alten, die ſehr aus ganzem Holz zu ſchneiden liebten, muͤhten ſich wohl kaum derglei- chen heraus zu finden. Dagegen gab es eine Reihe tra- ditioneller Sagen, deren Charakter ein hohes Alter verbuͤrgt. So die Meſſeniſche, daß Ariſtomenes drei Hekatomphonien oder Opfer fuͤr hundert erſchlagene Feinde dargebracht 3; ob dabei Menſchenopfer verrich- 1 Frank Callinus S. 153. leugnet die Aechtheit dieſes Frag- ments bei Lykurg, aber hoͤchſt grundlos. 2 Pauſ. 4, 2, 1. 3 Plutarch Romul. 25. Sympos. Qu. 4, 1, 1. VII Sap. Conv. 16. Polyaͤn 2, 31, 2. Plinius H. N. 11, 70.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/171
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/171>, abgerufen am 03.12.2024.