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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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recht dunkel, bin ich nur geistig ganz ruhig, ohne leiden-
schaftliche Stimmung, hab ich nur eben nicht gegessen oder
geistiges Getränk genommen, so darf ich, wenn gleich an
Schlaf gar nicht zu denken ist, der Erscheinung gewiß seyn.

37.

Häufig erscheint das lichte Bild im dunkeln Sehfelde,
häufig auch erhellt sich vor dem Erscheinen der einzelnen
Bilder nach und nach die Dunkelheit des Sehfeldes zu ei-
ner Art von innerem mattem Tageslicht. Gleich darauf
erscheinen dann auch die Bilder. Eben so merkwürdig als
das Erscheinen der leuchtenden Bilder war mir, seit ich
diesen Phaenomenen beobachtend folge, das allmählige
Hellerwerden des Sehfeldes. Denn am Tage bei ge-
schlossenen Augen nach und nach den lichten Tag von in-
nen eintreten sehen, und in dem Tag des Auges leuchten-
de Gestalten als Producte des Eigenlebens des Sinnes
wandeln sehen, und alles dieß im wachenden Zustande,
fern von allem Aberglauben, von aller Schwärmerei, bei
nüchterner Reflexion, ist dem Beobachter etwas höchst Wun-
derbares.

38.

Wie freute ich mich nun, als ich in den Wahlver-
wandtschaften
wiederfand, wie einer der sinnlich kräf-
tigsten Menschen aus reicher Selbstbeobachtung die Lebens-
wahrheit auch dem kunstreichen Gebilde mitzugeben weiß. Es
heißt nämlich dort von Ottilie: "Wenn sie sich Abends
zur Ruhe gelegt und im süßen Gefühl zwischen Schlaf und
Wachen lebte, schien es ihr, als wenn sie in einen ganz
hellen, doch mild erleuchteten Raum hinein blickte. In
diesem sah sie Eduard ganz deutlich und zwar nicht geklei-
det, wie sie ihn sonst gesehen, sondern im kriegerischen An-
zug, jedesmal in einer andern Stellung, die aber vollkom-

recht dunkel, bin ich nur geiſtig ganz ruhig, ohne leiden-
ſchaftliche Stimmung, hab ich nur eben nicht gegeſſen oder
geiſtiges Getraͤnk genommen, ſo darf ich, wenn gleich an
Schlaf gar nicht zu denken iſt, der Erſcheinung gewiß ſeyn.

37.

Haͤufig erſcheint das lichte Bild im dunkeln Sehfelde,
haͤufig auch erhellt ſich vor dem Erſcheinen der einzelnen
Bilder nach und nach die Dunkelheit des Sehfeldes zu ei-
ner Art von innerem mattem Tageslicht. Gleich darauf
erſcheinen dann auch die Bilder. Eben ſo merkwuͤrdig als
das Erſcheinen der leuchtenden Bilder war mir, ſeit ich
dieſen Phaenomenen beobachtend folge, das allmaͤhlige
Hellerwerden des Sehfeldes. Denn am Tage bei ge-
ſchloſſenen Augen nach und nach den lichten Tag von in-
nen eintreten ſehen, und in dem Tag des Auges leuchten-
de Geſtalten als Producte des Eigenlebens des Sinnes
wandeln ſehen, und alles dieß im wachenden Zuſtande,
fern von allem Aberglauben, von aller Schwaͤrmerei, bei
nuͤchterner Reflexion, iſt dem Beobachter etwas hoͤchſt Wun-
derbares.

38.

Wie freute ich mich nun, als ich in den Wahlver-
wandtſchaften
wiederfand, wie einer der ſinnlich kraͤf-
tigſten Menſchen aus reicher Selbſtbeobachtung die Lebens-
wahrheit auch dem kunſtreichen Gebilde mitzugeben weiß. Es
heißt naͤmlich dort von Ottilie: »Wenn ſie ſich Abends
zur Ruhe gelegt und im ſuͤßen Gefuͤhl zwiſchen Schlaf und
Wachen lebte, ſchien es ihr, als wenn ſie in einen ganz
hellen, doch mild erleuchteten Raum hinein blickte. In
dieſem ſah ſie Eduard ganz deutlich und zwar nicht geklei-
det, wie ſie ihn ſonſt geſehen, ſondern im kriegeriſchen An-
zug, jedesmal in einer andern Stellung, die aber vollkom-

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[22/0038] recht dunkel, bin ich nur geiſtig ganz ruhig, ohne leiden- ſchaftliche Stimmung, hab ich nur eben nicht gegeſſen oder geiſtiges Getraͤnk genommen, ſo darf ich, wenn gleich an Schlaf gar nicht zu denken iſt, der Erſcheinung gewiß ſeyn. 37. Haͤufig erſcheint das lichte Bild im dunkeln Sehfelde, haͤufig auch erhellt ſich vor dem Erſcheinen der einzelnen Bilder nach und nach die Dunkelheit des Sehfeldes zu ei- ner Art von innerem mattem Tageslicht. Gleich darauf erſcheinen dann auch die Bilder. Eben ſo merkwuͤrdig als das Erſcheinen der leuchtenden Bilder war mir, ſeit ich dieſen Phaenomenen beobachtend folge, das allmaͤhlige Hellerwerden des Sehfeldes. Denn am Tage bei ge- ſchloſſenen Augen nach und nach den lichten Tag von in- nen eintreten ſehen, und in dem Tag des Auges leuchten- de Geſtalten als Producte des Eigenlebens des Sinnes wandeln ſehen, und alles dieß im wachenden Zuſtande, fern von allem Aberglauben, von aller Schwaͤrmerei, bei nuͤchterner Reflexion, iſt dem Beobachter etwas hoͤchſt Wun- derbares. 38. Wie freute ich mich nun, als ich in den Wahlver- wandtſchaften wiederfand, wie einer der ſinnlich kraͤf- tigſten Menſchen aus reicher Selbſtbeobachtung die Lebens- wahrheit auch dem kunſtreichen Gebilde mitzugeben weiß. Es heißt naͤmlich dort von Ottilie: »Wenn ſie ſich Abends zur Ruhe gelegt und im ſuͤßen Gefuͤhl zwiſchen Schlaf und Wachen lebte, ſchien es ihr, als wenn ſie in einen ganz hellen, doch mild erleuchteten Raum hinein blickte. In dieſem ſah ſie Eduard ganz deutlich und zwar nicht geklei- det, wie ſie ihn ſonſt geſehen, ſondern im kriegeriſchen An- zug, jedesmal in einer andern Stellung, die aber vollkom-

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/38>, abgerufen am 28.03.2024.