Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

nismus ist daher nur ein Theil von der Physiologie
im weitern Sinne des Wortes. Dieser Theil heißt im
Gegensatz der Physiologie im engern Sinne Psycho-
logie. Allein, was wir gewöhnlich Psychologie nennen,
verhält sich zu der künftigen Lehre von dem Leben der
Seele wie die gewöhnliche Physiologie der Verrichtungen
oder Functionen zur wahren physiologischen Wissenschaft.
Sollte der Verfasser in kurzem sich darüber erklä-
ren, was ihm eine wissenschaftliche physiologische Be-
handlung der Psychologie sey, so würde er, wenn-
gleich gegen den Verdacht des Spinozismus sich wohl
verwahrend, doch keinen Anstand nehmen die drei
letzten Bücher der Ethik des Spinoza, welche von den
Leidenschaften handeln und deren psychologischer In-
halt von den übrigen Lehren dieses Mannes als unab-
hängig angesehen werden kann, nahmhaft zu machen.
Denn wenn diese Lehren auch nicht die rechten über
das Leben in den Leidenschaften wären, wenn sie auch
nicht die wahre Erklärung des Lebens in dieser Form
wären, so erleidet es doch keinen Zweifel, daß sie
wenigstens wirklich Erklärung des Lebens der Methode
und dem Inhalt nach sind; was man von den meisten
psychologischen Untersuchungen nicht sagen kann. Der

nismus iſt daher nur ein Theil von der Phyſiologie
im weitern Sinne des Wortes. Dieſer Theil heißt im
Gegenſatz der Phyſiologie im engern Sinne Pſycho-
logie. Allein, was wir gewoͤhnlich Pſychologie nennen,
verhaͤlt ſich zu der kuͤnftigen Lehre von dem Leben der
Seele wie die gewoͤhnliche Phyſiologie der Verrichtungen
oder Functionen zur wahren phyſiologiſchen Wiſſenſchaft.
Sollte der Verfaſſer in kurzem ſich daruͤber erklaͤ-
ren, was ihm eine wiſſenſchaftliche phyſiologiſche Be-
handlung der Pſychologie ſey, ſo wuͤrde er, wenn-
gleich gegen den Verdacht des Spinozismus ſich wohl
verwahrend, doch keinen Anſtand nehmen die drei
letzten Buͤcher der Ethik des Spinoza, welche von den
Leidenſchaften handeln und deren pſychologiſcher In-
halt von den uͤbrigen Lehren dieſes Mannes als unab-
haͤngig angeſehen werden kann, nahmhaft zu machen.
Denn wenn dieſe Lehren auch nicht die rechten uͤber
das Leben in den Leidenſchaften waͤren, wenn ſie auch
nicht die wahre Erklaͤrung des Lebens in dieſer Form
waͤren, ſo erleidet es doch keinen Zweifel, daß ſie
wenigſtens wirklich Erklaͤrung des Lebens der Methode
und dem Inhalt nach ſind; was man von den meiſten
pſychologiſchen Unterſuchungen nicht ſagen kann. Der

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0010" n="IV"/>
nismus i&#x017F;t daher nur ein Theil von der Phy&#x017F;iologie<lb/>
im weitern Sinne des Wortes. Die&#x017F;er Theil heißt im<lb/>
Gegen&#x017F;atz der Phy&#x017F;iologie im engern Sinne P&#x017F;ycho-<lb/>
logie. Allein, was wir gewo&#x0364;hnlich P&#x017F;ychologie nennen,<lb/>
verha&#x0364;lt &#x017F;ich zu der ku&#x0364;nftigen Lehre von dem Leben der<lb/>
Seele wie die gewo&#x0364;hnliche Phy&#x017F;iologie der Verrichtungen<lb/>
oder Functionen zur wahren phy&#x017F;iologi&#x017F;chen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft.<lb/>
Sollte der Verfa&#x017F;&#x017F;er in kurzem &#x017F;ich daru&#x0364;ber erkla&#x0364;-<lb/>
ren, was ihm eine wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche phy&#x017F;iologi&#x017F;che Be-<lb/>
handlung der P&#x017F;ychologie &#x017F;ey, &#x017F;o wu&#x0364;rde er, wenn-<lb/>
gleich gegen den Verdacht des Spinozismus &#x017F;ich wohl<lb/>
verwahrend, doch keinen An&#x017F;tand nehmen die drei<lb/>
letzten Bu&#x0364;cher der Ethik des Spinoza, welche von den<lb/>
Leiden&#x017F;chaften handeln und deren p&#x017F;ychologi&#x017F;cher In-<lb/>
halt von den u&#x0364;brigen Lehren die&#x017F;es Mannes als unab-<lb/>
ha&#x0364;ngig ange&#x017F;ehen werden kann, nahmhaft zu machen.<lb/>
Denn wenn die&#x017F;e Lehren auch nicht die rechten u&#x0364;ber<lb/>
das Leben in den Leiden&#x017F;chaften wa&#x0364;ren, wenn &#x017F;ie auch<lb/>
nicht die <hi rendition="#g">wahre</hi> Erkla&#x0364;rung des Lebens in die&#x017F;er Form<lb/>
wa&#x0364;ren, &#x017F;o erleidet es doch keinen Zweifel, daß &#x017F;ie<lb/>
wenig&#x017F;tens wirklich Erkla&#x0364;rung des Lebens der Methode<lb/>
und dem Inhalt nach &#x017F;ind; was man von den mei&#x017F;ten<lb/>
p&#x017F;ychologi&#x017F;chen Unter&#x017F;uchungen nicht &#x017F;agen kann. Der<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[IV/0010] nismus iſt daher nur ein Theil von der Phyſiologie im weitern Sinne des Wortes. Dieſer Theil heißt im Gegenſatz der Phyſiologie im engern Sinne Pſycho- logie. Allein, was wir gewoͤhnlich Pſychologie nennen, verhaͤlt ſich zu der kuͤnftigen Lehre von dem Leben der Seele wie die gewoͤhnliche Phyſiologie der Verrichtungen oder Functionen zur wahren phyſiologiſchen Wiſſenſchaft. Sollte der Verfaſſer in kurzem ſich daruͤber erklaͤ- ren, was ihm eine wiſſenſchaftliche phyſiologiſche Be- handlung der Pſychologie ſey, ſo wuͤrde er, wenn- gleich gegen den Verdacht des Spinozismus ſich wohl verwahrend, doch keinen Anſtand nehmen die drei letzten Buͤcher der Ethik des Spinoza, welche von den Leidenſchaften handeln und deren pſychologiſcher In- halt von den uͤbrigen Lehren dieſes Mannes als unab- haͤngig angeſehen werden kann, nahmhaft zu machen. Denn wenn dieſe Lehren auch nicht die rechten uͤber das Leben in den Leidenſchaften waͤren, wenn ſie auch nicht die wahre Erklaͤrung des Lebens in dieſer Form waͤren, ſo erleidet es doch keinen Zweifel, daß ſie wenigſtens wirklich Erklaͤrung des Lebens der Methode und dem Inhalt nach ſind; was man von den meiſten pſychologiſchen Unterſuchungen nicht ſagen kann. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/10
Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/10>, abgerufen am 24.04.2024.