Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Mensch strebt nach Einheit, aber so lange er un-
ter dieser etwas Geringeres versteht, als die unendliche Ver-
einigung, ist er in seinem Thun und Denken allen Täuschungen
der Welt preis gegeben. Gesetz, Maaß, Maaßstab, Standard,
Gewicht und Münze, wie sie gemeiniglich zur Sicherstellung
der irrdischen Geschäfte begehrt werden, sind auf dem Wege
der Vereinigung nichts weiter als bestimmte Stationen, durch
die der Weg selbst zum Bewußtseyn des Menschen gelangt;
die einzelnen Punete, durch welche die Linie; das arithmeti-
sche, wodurch das geometrische; das Endliche, durch welches
das Unendliche -- das Wissen, wodurch das Glauben zur
Anschauung kommt. In dem Verlangen nach diesen Einhei-
ten, versteckt sich überall das höhere und unendliche Verlan-
gen nach dem Credit: es muß endliche und scheinbare Be-
friedigungen dieses Verlangens geben, damit durch vielfäl-
tige Täuschung das überschwengliche Wesen der Wahrheit
selbst zum Bewußtseyn komme.

Alle jene Einheiten sind nichts als einzelne Glieder einer
unendlichen Progression, deren zwey auf einander folgende zwar
den Exponenten ergeben, von denen aber Eines für sich,
oder auch der absolute Exponent für sich, das Gesetz des
Lebens keineswegs auszudrücken im Stande ist.

Wie oft soll es gesagt werden, daß es ein Gesetz nur
gibt, in wie fern man einen Fall -- den Exponenten nur,
in wie fern man ein Glied der Progression dazu erhält; daß
alle Versuche der Menschen den Exponenten an sich, oder
ein ewiges Gesetz, Maaß, Standard etc. zu ergreifen und
festzustellen, vergeblich sind; daß die bloße Forderung einen

Der Menſch ſtrebt nach Einheit, aber ſo lange er un-
ter dieſer etwas Geringeres verſteht, als die unendliche Ver-
einigung, iſt er in ſeinem Thun und Denken allen Taͤuſchungen
der Welt preis gegeben. Geſetz, Maaß, Maaßſtab, Standard,
Gewicht und Muͤnze, wie ſie gemeiniglich zur Sicherſtellung
der irrdiſchen Geſchaͤfte begehrt werden, ſind auf dem Wege
der Vereinigung nichts weiter als beſtimmte Stationen, durch
die der Weg ſelbſt zum Bewußtſeyn des Menſchen gelangt;
die einzelnen Punete, durch welche die Linie; das arithmeti-
ſche, wodurch das geometriſche; das Endliche, durch welches
das Unendliche — das Wiſſen, wodurch das Glauben zur
Anſchauung kommt. In dem Verlangen nach dieſen Einhei-
ten, verſteckt ſich uͤberall das hoͤhere und unendliche Verlan-
gen nach dem Credit: es muß endliche und ſcheinbare Be-
friedigungen dieſes Verlangens geben, damit durch vielfaͤl-
tige Taͤuſchung das uͤberſchwengliche Weſen der Wahrheit
ſelbſt zum Bewußtſeyn komme.

Alle jene Einheiten ſind nichts als einzelne Glieder einer
unendlichen Progreſſion, deren zwey auf einander folgende zwar
den Exponenten ergeben, von denen aber Eines fuͤr ſich,
oder auch der abſolute Exponent fuͤr ſich, das Geſetz des
Lebens keineswegs auszudruͤcken im Stande iſt.

Wie oft ſoll es geſagt werden, daß es ein Geſetz nur
gibt, in wie fern man einen Fall — den Exponenten nur,
in wie fern man ein Glied der Progreſſion dazu erhaͤlt; daß
alle Verſuche der Menſchen den Exponenten an ſich, oder
ein ewiges Geſetz, Maaß, Standard ꝛc. zu ergreifen und
feſtzuſtellen, vergeblich ſind; daß die bloße Forderung einen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0235" n="221"/>
          <p>Der Men&#x017F;ch &#x017F;trebt nach Einheit, aber &#x017F;o lange er un-<lb/>
ter die&#x017F;er etwas Geringeres ver&#x017F;teht, als die unendliche Ver-<lb/>
einigung, i&#x017F;t er in &#x017F;einem Thun und Denken allen Ta&#x0364;u&#x017F;chungen<lb/>
der Welt preis gegeben. Ge&#x017F;etz, Maaß, Maaß&#x017F;tab, Standard,<lb/>
Gewicht und Mu&#x0364;nze, wie &#x017F;ie gemeiniglich zur Sicher&#x017F;tellung<lb/>
der irrdi&#x017F;chen Ge&#x017F;cha&#x0364;fte begehrt werden, &#x017F;ind auf dem Wege<lb/>
der Vereinigung nichts weiter als be&#x017F;timmte Stationen, durch<lb/>
die der Weg &#x017F;elb&#x017F;t zum Bewußt&#x017F;eyn des Men&#x017F;chen gelangt;<lb/>
die einzelnen Punete, durch welche die Linie; das arithmeti-<lb/>
&#x017F;che, wodurch das geometri&#x017F;che; das Endliche, durch welches<lb/>
das Unendliche &#x2014; das Wi&#x017F;&#x017F;en, wodurch das Glauben zur<lb/>
An&#x017F;chauung kommt. In dem Verlangen nach die&#x017F;en Einhei-<lb/>
ten, ver&#x017F;teckt &#x017F;ich u&#x0364;berall das ho&#x0364;here und unendliche Verlan-<lb/>
gen nach dem Credit: es muß endliche und &#x017F;cheinbare Be-<lb/>
friedigungen die&#x017F;es Verlangens geben, damit durch vielfa&#x0364;l-<lb/>
tige Ta&#x0364;u&#x017F;chung das u&#x0364;ber&#x017F;chwengliche We&#x017F;en der Wahrheit<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zum Bewußt&#x017F;eyn komme.</p><lb/>
          <p>Alle jene Einheiten &#x017F;ind nichts als einzelne Glieder einer<lb/>
unendlichen Progre&#x017F;&#x017F;ion, deren zwey auf einander folgende zwar<lb/>
den Exponenten ergeben, von denen aber Eines fu&#x0364;r &#x017F;ich,<lb/>
oder auch der ab&#x017F;olute Exponent fu&#x0364;r &#x017F;ich, das Ge&#x017F;etz des<lb/>
Lebens keineswegs auszudru&#x0364;cken im Stande i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Wie oft &#x017F;oll es ge&#x017F;agt werden, daß es ein Ge&#x017F;etz nur<lb/>
gibt, in wie fern man einen Fall &#x2014; den Exponenten nur,<lb/>
in wie fern man ein Glied der Progre&#x017F;&#x017F;ion dazu erha&#x0364;lt; daß<lb/>
alle Ver&#x017F;uche der Men&#x017F;chen den Exponenten an &#x017F;ich, oder<lb/>
ein ewiges Ge&#x017F;etz, Maaß, Standard &#xA75B;c. zu ergreifen und<lb/>
fe&#x017F;tzu&#x017F;tellen, vergeblich &#x017F;ind; daß die bloße Forderung einen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221/0235] Der Menſch ſtrebt nach Einheit, aber ſo lange er un- ter dieſer etwas Geringeres verſteht, als die unendliche Ver- einigung, iſt er in ſeinem Thun und Denken allen Taͤuſchungen der Welt preis gegeben. Geſetz, Maaß, Maaßſtab, Standard, Gewicht und Muͤnze, wie ſie gemeiniglich zur Sicherſtellung der irrdiſchen Geſchaͤfte begehrt werden, ſind auf dem Wege der Vereinigung nichts weiter als beſtimmte Stationen, durch die der Weg ſelbſt zum Bewußtſeyn des Menſchen gelangt; die einzelnen Punete, durch welche die Linie; das arithmeti- ſche, wodurch das geometriſche; das Endliche, durch welches das Unendliche — das Wiſſen, wodurch das Glauben zur Anſchauung kommt. In dem Verlangen nach dieſen Einhei- ten, verſteckt ſich uͤberall das hoͤhere und unendliche Verlan- gen nach dem Credit: es muß endliche und ſcheinbare Be- friedigungen dieſes Verlangens geben, damit durch vielfaͤl- tige Taͤuſchung das uͤberſchwengliche Weſen der Wahrheit ſelbſt zum Bewußtſeyn komme. Alle jene Einheiten ſind nichts als einzelne Glieder einer unendlichen Progreſſion, deren zwey auf einander folgende zwar den Exponenten ergeben, von denen aber Eines fuͤr ſich, oder auch der abſolute Exponent fuͤr ſich, das Geſetz des Lebens keineswegs auszudruͤcken im Stande iſt. Wie oft ſoll es geſagt werden, daß es ein Geſetz nur gibt, in wie fern man einen Fall — den Exponenten nur, in wie fern man ein Glied der Progreſſion dazu erhaͤlt; daß alle Verſuche der Menſchen den Exponenten an ſich, oder ein ewiges Geſetz, Maaß, Standard ꝛc. zu ergreifen und feſtzuſtellen, vergeblich ſind; daß die bloße Forderung einen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/235
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/235>, abgerufen am 22.11.2024.