Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

welchen Umständen sie mir dieses Thema niederschrieb!

Fanny hatte sich nämlich den boshaften Spaß mit ihrem poetischen Anbeter erlaubt, ihm jenes Thema in einer Stunde zu übergeben, als ihm eben in einer plötzlichen Entrüstung über ihre neckische Laune die drohende Aeußerung entschlüpft war, er wolle morgen abreisen. Arthur, viel zu gutmüthig und eitel, um die Mystification durchzusehen, hatte das Thema als eine Liebeserklärung der endlich Bezwungenen mit einer so überschwänglichen Fülle von Glut und Dampf glossirt, daß er nicht zweifelte, sie selbst werde, ergriffen von ihrer durch ihn ausgesprochenen Leidenschaft, ihm gleich nach der ersten Strophe in die Arme stürzen und ihre Aufgabe lebendig darstellen.

Von solchen übermüthigen Hoffnungen trunken gemacht, zog Arthur mit ungestümer Hast die Klingel an dem großen Hausthore, welches ihm jetzt die einzige Schranke zu bilden schien, die seine Sehnsucht von dem ihr winkenden Ziele trennte. Knarrend öffnete sich durch einen unsichtbaren Druck der schwere Thorflügel, ließ ihn eintreten und schlug hinter ihm mit lautem Getöse wieder zu. Er eilte mit beschwingten Schritten die Treppe hinauf, aber schon auf den ersten Stufen legten sich bleierne Gewichte unter seine Sohlen und über sein Herz, als das an ihm vorbeischlüpfende Kammermädchen die Worte fallen ließ: Madame werden gleich ausgehn. -- Heute? Heute? frug er sich

welchen Umständen sie mir dieses Thema niederschrieb!

Fanny hatte sich nämlich den boshaften Spaß mit ihrem poetischen Anbeter erlaubt, ihm jenes Thema in einer Stunde zu übergeben, als ihm eben in einer plötzlichen Entrüstung über ihre neckische Laune die drohende Aeußerung entschlüpft war, er wolle morgen abreisen. Arthur, viel zu gutmüthig und eitel, um die Mystification durchzusehen, hatte das Thema als eine Liebeserklärung der endlich Bezwungenen mit einer so überschwänglichen Fülle von Glut und Dampf glossirt, daß er nicht zweifelte, sie selbst werde, ergriffen von ihrer durch ihn ausgesprochenen Leidenschaft, ihm gleich nach der ersten Strophe in die Arme stürzen und ihre Aufgabe lebendig darstellen.

Von solchen übermüthigen Hoffnungen trunken gemacht, zog Arthur mit ungestümer Hast die Klingel an dem großen Hausthore, welches ihm jetzt die einzige Schranke zu bilden schien, die seine Sehnsucht von dem ihr winkenden Ziele trennte. Knarrend öffnete sich durch einen unsichtbaren Druck der schwere Thorflügel, ließ ihn eintreten und schlug hinter ihm mit lautem Getöse wieder zu. Er eilte mit beschwingten Schritten die Treppe hinauf, aber schon auf den ersten Stufen legten sich bleierne Gewichte unter seine Sohlen und über sein Herz, als das an ihm vorbeischlüpfende Kammermädchen die Worte fallen ließ: Madame werden gleich ausgehn. — Heute? Heute? frug er sich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0020"/>
welchen Umständen sie mir                dieses Thema niederschrieb!</p><lb/>
        <p>Fanny hatte sich nämlich den boshaften Spaß mit ihrem poetischen Anbeter erlaubt, ihm                jenes Thema in einer Stunde zu übergeben, als ihm eben in einer plötzlichen                Entrüstung über ihre neckische Laune die drohende Aeußerung entschlüpft war, er wolle                morgen abreisen. Arthur, viel zu gutmüthig und eitel, um die Mystification                durchzusehen, hatte das Thema als eine Liebeserklärung der endlich Bezwungenen mit                einer so überschwänglichen Fülle von Glut und Dampf glossirt, daß er nicht zweifelte,                sie selbst werde, ergriffen von ihrer durch ihn ausgesprochenen Leidenschaft, ihm                gleich nach der ersten Strophe in die Arme stürzen und ihre Aufgabe lebendig                darstellen.</p><lb/>
        <p>Von solchen übermüthigen Hoffnungen trunken gemacht, zog Arthur mit ungestümer Hast                die Klingel an dem großen Hausthore, welches ihm jetzt die einzige Schranke zu bilden                schien, die seine Sehnsucht von dem ihr winkenden Ziele trennte. Knarrend öffnete                sich durch einen unsichtbaren Druck der schwere Thorflügel, ließ ihn eintreten und                schlug hinter ihm mit lautem Getöse wieder zu. Er eilte mit beschwingten Schritten                die Treppe hinauf, aber schon auf den ersten Stufen legten sich bleierne Gewichte                unter seine Sohlen und über sein Herz, als das an ihm vorbeischlüpfende Kammermädchen                die Worte fallen ließ: Madame werden gleich ausgehn. &#x2014; Heute? Heute? frug er sich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0020] welchen Umständen sie mir dieses Thema niederschrieb! Fanny hatte sich nämlich den boshaften Spaß mit ihrem poetischen Anbeter erlaubt, ihm jenes Thema in einer Stunde zu übergeben, als ihm eben in einer plötzlichen Entrüstung über ihre neckische Laune die drohende Aeußerung entschlüpft war, er wolle morgen abreisen. Arthur, viel zu gutmüthig und eitel, um die Mystification durchzusehen, hatte das Thema als eine Liebeserklärung der endlich Bezwungenen mit einer so überschwänglichen Fülle von Glut und Dampf glossirt, daß er nicht zweifelte, sie selbst werde, ergriffen von ihrer durch ihn ausgesprochenen Leidenschaft, ihm gleich nach der ersten Strophe in die Arme stürzen und ihre Aufgabe lebendig darstellen. Von solchen übermüthigen Hoffnungen trunken gemacht, zog Arthur mit ungestümer Hast die Klingel an dem großen Hausthore, welches ihm jetzt die einzige Schranke zu bilden schien, die seine Sehnsucht von dem ihr winkenden Ziele trennte. Knarrend öffnete sich durch einen unsichtbaren Druck der schwere Thorflügel, ließ ihn eintreten und schlug hinter ihm mit lautem Getöse wieder zu. Er eilte mit beschwingten Schritten die Treppe hinauf, aber schon auf den ersten Stufen legten sich bleierne Gewichte unter seine Sohlen und über sein Herz, als das an ihm vorbeischlüpfende Kammermädchen die Worte fallen ließ: Madame werden gleich ausgehn. — Heute? Heute? frug er sich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/20
Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/20>, abgerufen am 24.11.2024.