Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.eine reiche Seelandschaft, belebt von singenden Fischerinnen, unter denen sich die ehrwürdige Gestalt eines alten salernitanischen Doctors langsam vorübertrug. Dazu trat auch die Erinnerung an seinen verstorbenen Vater, der ihm noch auf seinem letzten Krankenlager in demselben Sinne, wie der Marquis, wenn auch in andern Worten, das unstete und oberflächliche Wesen mit drohenden Aussichten vorgestellt hatte, welches ihn schon seit dem Anfange seiner medicinischen Studien befangen hielt, und seine guten Anlagen in der Uebung leichter Künste ohne Nutzen für sich und Andere zersplitterte. Er fühlte damals und auch jetzt, nachdem er um fünf Jahre älter geworden war, die Wahrheit dieser Vorstellungen, aber doch nur mit sehr beschränkenden Bedingungen, welche seine Eigenliebe vorgeschrieben hatte. Denn diese träumte in manchen seligen Stunden davon, daß er einmal ein großer Dichter und nebenher auch wohl noch ein geschmackvoller Gelehrter werden möchte, oder daß er es gar schon wäre, wenn die Leute außer ihm es nur anerkennen wollten. Diese Träume wurden ihm am günstigsten in dem Hause der Geheimeräthin gedeutet, und daher kam es, daß er sich dort wohler fühlte, als irgend wo. Die ungefähr vierzigjährige Wittewe des Geheimeraths Flügel, zware nicht aus Berlin gebürtig gehörte doch zu der in dieser Stadt vorzüglich heimisch und eigenthümlich gearteten Classe von Frauen des eine reiche Seelandschaft, belebt von singenden Fischerinnen, unter denen sich die ehrwürdige Gestalt eines alten salernitanischen Doctors langsam vorübertrug. Dazu trat auch die Erinnerung an seinen verstorbenen Vater, der ihm noch auf seinem letzten Krankenlager in demselben Sinne, wie der Marquis, wenn auch in andern Worten, das unstete und oberflächliche Wesen mit drohenden Aussichten vorgestellt hatte, welches ihn schon seit dem Anfange seiner medicinischen Studien befangen hielt, und seine guten Anlagen in der Uebung leichter Künste ohne Nutzen für sich und Andere zersplitterte. Er fühlte damals und auch jetzt, nachdem er um fünf Jahre älter geworden war, die Wahrheit dieser Vorstellungen, aber doch nur mit sehr beschränkenden Bedingungen, welche seine Eigenliebe vorgeschrieben hatte. Denn diese träumte in manchen seligen Stunden davon, daß er einmal ein großer Dichter und nebenher auch wohl noch ein geschmackvoller Gelehrter werden möchte, oder daß er es gar schon wäre, wenn die Leute außer ihm es nur anerkennen wollten. Diese Träume wurden ihm am günstigsten in dem Hause der Geheimeräthin gedeutet, und daher kam es, daß er sich dort wohler fühlte, als irgend wo. Die ungefähr vierzigjährige Wittewe des Geheimeraths Flügel, zware nicht aus Berlin gebürtig gehörte doch zu der in dieser Stadt vorzüglich heimisch und eigenthümlich gearteten Classe von Frauen des <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0016"/> eine reiche Seelandschaft, belebt von singenden Fischerinnen, unter denen sich die ehrwürdige Gestalt eines alten salernitanischen Doctors langsam vorübertrug. Dazu trat auch die Erinnerung an seinen verstorbenen Vater, der ihm noch auf seinem letzten Krankenlager in demselben Sinne, wie der Marquis, wenn auch in andern Worten, das unstete und oberflächliche Wesen mit drohenden Aussichten vorgestellt hatte, welches ihn schon seit dem Anfange seiner medicinischen Studien befangen hielt, und seine guten Anlagen in der Uebung leichter Künste ohne Nutzen für sich und Andere zersplitterte. Er fühlte damals und auch jetzt, nachdem er um fünf Jahre älter geworden war, die Wahrheit dieser Vorstellungen, aber doch nur mit sehr beschränkenden Bedingungen, welche seine Eigenliebe vorgeschrieben hatte. Denn diese träumte in manchen seligen Stunden davon, daß er einmal ein großer Dichter und nebenher auch wohl noch ein geschmackvoller Gelehrter werden möchte, oder daß er es gar schon wäre, wenn die Leute außer ihm es nur anerkennen wollten. Diese Träume wurden ihm am günstigsten in dem Hause der Geheimeräthin gedeutet, und daher kam es, daß er sich dort wohler fühlte, als irgend wo.</p><lb/> <p>Die ungefähr vierzigjährige Wittewe des Geheimeraths Flügel, zware nicht aus Berlin gebürtig gehörte doch zu der in dieser Stadt vorzüglich heimisch und eigenthümlich gearteten Classe von Frauen des<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0016]
eine reiche Seelandschaft, belebt von singenden Fischerinnen, unter denen sich die ehrwürdige Gestalt eines alten salernitanischen Doctors langsam vorübertrug. Dazu trat auch die Erinnerung an seinen verstorbenen Vater, der ihm noch auf seinem letzten Krankenlager in demselben Sinne, wie der Marquis, wenn auch in andern Worten, das unstete und oberflächliche Wesen mit drohenden Aussichten vorgestellt hatte, welches ihn schon seit dem Anfange seiner medicinischen Studien befangen hielt, und seine guten Anlagen in der Uebung leichter Künste ohne Nutzen für sich und Andere zersplitterte. Er fühlte damals und auch jetzt, nachdem er um fünf Jahre älter geworden war, die Wahrheit dieser Vorstellungen, aber doch nur mit sehr beschränkenden Bedingungen, welche seine Eigenliebe vorgeschrieben hatte. Denn diese träumte in manchen seligen Stunden davon, daß er einmal ein großer Dichter und nebenher auch wohl noch ein geschmackvoller Gelehrter werden möchte, oder daß er es gar schon wäre, wenn die Leute außer ihm es nur anerkennen wollten. Diese Träume wurden ihm am günstigsten in dem Hause der Geheimeräthin gedeutet, und daher kam es, daß er sich dort wohler fühlte, als irgend wo.
Die ungefähr vierzigjährige Wittewe des Geheimeraths Flügel, zware nicht aus Berlin gebürtig gehörte doch zu der in dieser Stadt vorzüglich heimisch und eigenthümlich gearteten Classe von Frauen des
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T15:21:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T15:21:38Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |