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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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damals wirklich gestorben und jetzt nur ein Gespenst wäre, welches nach dem Tode noch eine Zeit lang auf Erden herumirren müßte. Dieses Gefühl bemächtigt sich meiner mit besonderer Gewalt, so oft ich den rothen Atlasrock anziehe, den ich trug, als ich in jenen Todesschlaf versank, und ich nenne ihn deßwegen mein Sterbekleid und will dereinst in demselben begraben sein. Andre haben mir nach jener Zeit erzählt, ich hätte Hand an mich legen wollen, wäre aber in demselben Augenblicke ohnmächtig niedergesunken. Dann hätten laute Raserei und sprachlose Starrsucht sich abwechselnd an mir erschöpft, bis endlich eine leibliche Krankheit sich der Zerrüttung meines Geistes untergelegt habe."

Hier schloß die Erzählung. Als Arthur sie zu Ende gelesen hatte, stürzten die schon lange vorher hinter seinen Augen zusammengelaufenen Thränen in großen und schnellen Tropfen über seine Wangen herab. O du Held der Liebe und der Leiden, rief er aus und preßte das Papier gegen sein brennendes Gesicht, du heiliger Märterer der Treue, warum ist dein Herz, dein großes, wunderreiches Herz, gebrochen, eh' ich dessen vollen Schlag an dem meinigen gefühlt? Warum ist die reine Opferflamme deines Lebens erloschen, ohne daß ich mein Inneres daran erwärmt und geläutert habe? O Gott, warum bist du gestorben, und ich habe dich nicht geliebt!

Mit diesen Worten eilte er nach dem Zimmer, in

damals wirklich gestorben und jetzt nur ein Gespenst wäre, welches nach dem Tode noch eine Zeit lang auf Erden herumirren müßte. Dieses Gefühl bemächtigt sich meiner mit besonderer Gewalt, so oft ich den rothen Atlasrock anziehe, den ich trug, als ich in jenen Todesschlaf versank, und ich nenne ihn deßwegen mein Sterbekleid und will dereinst in demselben begraben sein. Andre haben mir nach jener Zeit erzählt, ich hätte Hand an mich legen wollen, wäre aber in demselben Augenblicke ohnmächtig niedergesunken. Dann hätten laute Raserei und sprachlose Starrsucht sich abwechselnd an mir erschöpft, bis endlich eine leibliche Krankheit sich der Zerrüttung meines Geistes untergelegt habe.“

Hier schloß die Erzählung. Als Arthur sie zu Ende gelesen hatte, stürzten die schon lange vorher hinter seinen Augen zusammengelaufenen Thränen in großen und schnellen Tropfen über seine Wangen herab. O du Held der Liebe und der Leiden, rief er aus und preßte das Papier gegen sein brennendes Gesicht, du heiliger Märterer der Treue, warum ist dein Herz, dein großes, wunderreiches Herz, gebrochen, eh' ich dessen vollen Schlag an dem meinigen gefühlt? Warum ist die reine Opferflamme deines Lebens erloschen, ohne daß ich mein Inneres daran erwärmt und geläutert habe? O Gott, warum bist du gestorben, und ich habe dich nicht geliebt!

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[0116] damals wirklich gestorben und jetzt nur ein Gespenst wäre, welches nach dem Tode noch eine Zeit lang auf Erden herumirren müßte. Dieses Gefühl bemächtigt sich meiner mit besonderer Gewalt, so oft ich den rothen Atlasrock anziehe, den ich trug, als ich in jenen Todesschlaf versank, und ich nenne ihn deßwegen mein Sterbekleid und will dereinst in demselben begraben sein. Andre haben mir nach jener Zeit erzählt, ich hätte Hand an mich legen wollen, wäre aber in demselben Augenblicke ohnmächtig niedergesunken. Dann hätten laute Raserei und sprachlose Starrsucht sich abwechselnd an mir erschöpft, bis endlich eine leibliche Krankheit sich der Zerrüttung meines Geistes untergelegt habe.“ Hier schloß die Erzählung. Als Arthur sie zu Ende gelesen hatte, stürzten die schon lange vorher hinter seinen Augen zusammengelaufenen Thränen in großen und schnellen Tropfen über seine Wangen herab. O du Held der Liebe und der Leiden, rief er aus und preßte das Papier gegen sein brennendes Gesicht, du heiliger Märterer der Treue, warum ist dein Herz, dein großes, wunderreiches Herz, gebrochen, eh' ich dessen vollen Schlag an dem meinigen gefühlt? Warum ist die reine Opferflamme deines Lebens erloschen, ohne daß ich mein Inneres daran erwärmt und geläutert habe? O Gott, warum bist du gestorben, und ich habe dich nicht geliebt! Mit diesen Worten eilte er nach dem Zimmer, in

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/116>, abgerufen am 24.11.2024.