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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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goldene Zeitalter meines Lebens festhakten wollen. Ach, ich ahnete in meinem Paradiese nicht, daß draußen schon das flammende Schwert gezogen war, welches mich heraustreiben sollte! Debora schien sich in mehr als freundlichem Vertrauen zu mir hinzuneigen, sie war unglücklich in den Fesseln eines rauhen und leidenschaftlichen Mannes, an den ihre Eltern sie wie ein Stück Waare verhandelt hatten, sie fühlte seit lange einen geheimen Drang des Herzens, in ihrem Schöpfer einen milden Vater und nicht einen strengen König zu verehren, sie wäre Christin geworden und mein vor Gott und den Menschen: da brach es über uns herein, wie soll ich es ausdrücken? stürzte der Himmel auf unsre Häupter zusammen, oder stieg die Hölle unter unsren Füßen aus dem Boden empor? Verhüllte Männer, Familiären der Inquisition von Valencia, sprengen um Mitternacht die Thüren ihres Hauses, reißen sie aus ihrem Bette, werfen die Ohnmächtige in einen Wagen und fahren sie nach der Stadt in das Gefängniß der Casa santa. Sie ist angeklagt als heimliche Jüdin, die es gewagt habe, die Kirche von Santa Faz zu betreten, um die heilige Reliquie des Schweißtuches durch ihre Nähe zu entweihen, und als Zauberin, welche einen Christen durch Liebestränke zu blutschänderischer Unzucht verführt habe. Wehe mir! Ich selbst war der Unvorsichtige gewesen, welcher sie eines Tages überredet hatte, an einem Spaziergange nach jenem berühmten

goldene Zeitalter meines Lebens festhakten wollen. Ach, ich ahnete in meinem Paradiese nicht, daß draußen schon das flammende Schwert gezogen war, welches mich heraustreiben sollte! Debora schien sich in mehr als freundlichem Vertrauen zu mir hinzuneigen, sie war unglücklich in den Fesseln eines rauhen und leidenschaftlichen Mannes, an den ihre Eltern sie wie ein Stück Waare verhandelt hatten, sie fühlte seit lange einen geheimen Drang des Herzens, in ihrem Schöpfer einen milden Vater und nicht einen strengen König zu verehren, sie wäre Christin geworden und mein vor Gott und den Menschen: da brach es über uns herein, wie soll ich es ausdrücken? stürzte der Himmel auf unsre Häupter zusammen, oder stieg die Hölle unter unsren Füßen aus dem Boden empor? Verhüllte Männer, Familiären der Inquisition von Valencia, sprengen um Mitternacht die Thüren ihres Hauses, reißen sie aus ihrem Bette, werfen die Ohnmächtige in einen Wagen und fahren sie nach der Stadt in das Gefängniß der Casa santa. Sie ist angeklagt als heimliche Jüdin, die es gewagt habe, die Kirche von Santa Faz zu betreten, um die heilige Reliquie des Schweißtuches durch ihre Nähe zu entweihen, und als Zauberin, welche einen Christen durch Liebestränke zu blutschänderischer Unzucht verführt habe. Wehe mir! Ich selbst war der Unvorsichtige gewesen, welcher sie eines Tages überredet hatte, an einem Spaziergange nach jenem berühmten

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[0113] goldene Zeitalter meines Lebens festhakten wollen. Ach, ich ahnete in meinem Paradiese nicht, daß draußen schon das flammende Schwert gezogen war, welches mich heraustreiben sollte! Debora schien sich in mehr als freundlichem Vertrauen zu mir hinzuneigen, sie war unglücklich in den Fesseln eines rauhen und leidenschaftlichen Mannes, an den ihre Eltern sie wie ein Stück Waare verhandelt hatten, sie fühlte seit lange einen geheimen Drang des Herzens, in ihrem Schöpfer einen milden Vater und nicht einen strengen König zu verehren, sie wäre Christin geworden und mein vor Gott und den Menschen: da brach es über uns herein, wie soll ich es ausdrücken? stürzte der Himmel auf unsre Häupter zusammen, oder stieg die Hölle unter unsren Füßen aus dem Boden empor? Verhüllte Männer, Familiären der Inquisition von Valencia, sprengen um Mitternacht die Thüren ihres Hauses, reißen sie aus ihrem Bette, werfen die Ohnmächtige in einen Wagen und fahren sie nach der Stadt in das Gefängniß der Casa santa. Sie ist angeklagt als heimliche Jüdin, die es gewagt habe, die Kirche von Santa Faz zu betreten, um die heilige Reliquie des Schweißtuches durch ihre Nähe zu entweihen, und als Zauberin, welche einen Christen durch Liebestränke zu blutschänderischer Unzucht verführt habe. Wehe mir! Ich selbst war der Unvorsichtige gewesen, welcher sie eines Tages überredet hatte, an einem Spaziergange nach jenem berühmten

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/113>, abgerufen am 27.11.2024.