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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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um ihn vor der Einführung in seinen Tempel mit den Denkmälern desselben bekannt zu machen, dem deutschen Leser in einer treuen Uebersetzung.

"Man hat in der neuen Zeit eine Kunst erfunden, welche die Mnemonik genannt wird. Diese Kunst kömmt der Kraft des Gedächtnisses dadurch zu Hülfe, daß sie Begriffe, Gedanken, Wörter und Sätze an gewisse äußere Gegenstände, Zeichen oder Zahlen knüpft. Wenn es nun der Muhe werth ist, eine Mnemonik für den Kopf zu erfinden, um sein Gedächtniß mit fremden und gleichgültigen Namen und Wörtern vollzustopfen, warum sollte es nicht auch eine Mnemonik für unser Herz geben, durch welche die Erinnerung vermöge derjenigen Gegenstände, welche Begleiter oder Zuschauer längst vergangener Zustände unsrer Gefühle, Neigungen und Leidenschaften gewesen sind, viel unmittelbarer in Anspruch genommen würde?

Mein Tempel der Erinnerung ist dieser Mnemonik des Herzens geweihet, und er enthält heilige Denkmäler aus einer Periode meines Lebens, von welcher ich durch einen wüsten und dunklen Zwischenraum voll starrer Fühllosigkeit und bewußtloser Raserei so weit getrennt bin, daß es mir scheinen muß, ich hätte zweimal gelebt und wäre zwischen meinem ersten und andern Leben gestorben, begraben worden und wieder auferstanden. In mein erstes Leben gehören alle Denkmäler dieses Tempels. Jeder Rock giebt mir die Schläge des Busens wieder, die er einst

um ihn vor der Einführung in seinen Tempel mit den Denkmälern desselben bekannt zu machen, dem deutschen Leser in einer treuen Uebersetzung.

„Man hat in der neuen Zeit eine Kunst erfunden, welche die Mnemonik genannt wird. Diese Kunst kömmt der Kraft des Gedächtnisses dadurch zu Hülfe, daß sie Begriffe, Gedanken, Wörter und Sätze an gewisse äußere Gegenstände, Zeichen oder Zahlen knüpft. Wenn es nun der Muhe werth ist, eine Mnemonik für den Kopf zu erfinden, um sein Gedächtniß mit fremden und gleichgültigen Namen und Wörtern vollzustopfen, warum sollte es nicht auch eine Mnemonik für unser Herz geben, durch welche die Erinnerung vermöge derjenigen Gegenstände, welche Begleiter oder Zuschauer längst vergangener Zustände unsrer Gefühle, Neigungen und Leidenschaften gewesen sind, viel unmittelbarer in Anspruch genommen würde?

Mein Tempel der Erinnerung ist dieser Mnemonik des Herzens geweihet, und er enthält heilige Denkmäler aus einer Periode meines Lebens, von welcher ich durch einen wüsten und dunklen Zwischenraum voll starrer Fühllosigkeit und bewußtloser Raserei so weit getrennt bin, daß es mir scheinen muß, ich hätte zweimal gelebt und wäre zwischen meinem ersten und andern Leben gestorben, begraben worden und wieder auferstanden. In mein erstes Leben gehören alle Denkmäler dieses Tempels. Jeder Rock giebt mir die Schläge des Busens wieder, die er einst

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[0101] um ihn vor der Einführung in seinen Tempel mit den Denkmälern desselben bekannt zu machen, dem deutschen Leser in einer treuen Uebersetzung. „Man hat in der neuen Zeit eine Kunst erfunden, welche die Mnemonik genannt wird. Diese Kunst kömmt der Kraft des Gedächtnisses dadurch zu Hülfe, daß sie Begriffe, Gedanken, Wörter und Sätze an gewisse äußere Gegenstände, Zeichen oder Zahlen knüpft. Wenn es nun der Muhe werth ist, eine Mnemonik für den Kopf zu erfinden, um sein Gedächtniß mit fremden und gleichgültigen Namen und Wörtern vollzustopfen, warum sollte es nicht auch eine Mnemonik für unser Herz geben, durch welche die Erinnerung vermöge derjenigen Gegenstände, welche Begleiter oder Zuschauer längst vergangener Zustände unsrer Gefühle, Neigungen und Leidenschaften gewesen sind, viel unmittelbarer in Anspruch genommen würde? Mein Tempel der Erinnerung ist dieser Mnemonik des Herzens geweihet, und er enthält heilige Denkmäler aus einer Periode meines Lebens, von welcher ich durch einen wüsten und dunklen Zwischenraum voll starrer Fühllosigkeit und bewußtloser Raserei so weit getrennt bin, daß es mir scheinen muß, ich hätte zweimal gelebt und wäre zwischen meinem ersten und andern Leben gestorben, begraben worden und wieder auferstanden. In mein erstes Leben gehören alle Denkmäler dieses Tempels. Jeder Rock giebt mir die Schläge des Busens wieder, die er einst

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/101>, abgerufen am 22.11.2024.