Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.Geistliche Gedichte und Lieder. Das zehende Capitel Hiobs. JCh habe nun Verdruß auf dieser Welt zu leben/Und meine Seele ächz't/ daß ich so leben muß. Es rinnt aus meinem Aug ein steter Thränen-Fluß. Jch muß in Angst-Geschrey jetzt meine Klag' erheben/ Die Noth ist gar zu groß die meine Seele plagt/ Wohlan/ es sey doch GOtt mein Hertzenleyd geklagt. Verdamme mich nicht bald und geh nicht ins Gerichte Mit mir Unwissenden. Erzehle was es sey? Eh ich erscheinen soll/ und mach mich Zweiffels frey/ Warumb du mit mir zanckst/ daß ich mich unterrichte. Gefällts dir denn O GOtt! an mir Gewalt zu thun; Und kanst du keine Zeit und Viertelstunde ruhn? Verwirffst du diesen auch den deine Hand erbauet/ Und stöst der Meister selbst sein Meisterstück jetzt ein? Muß der Gottlosen Rath durch dich geehret seyn; Da man mich ausgethan von deinem Antlitz schauet? Bist du denn fleischlich auch/ wie Menschen sind/ gesinnet? Und siehst du so wie sie/ das an/ was man beginnet? Vergleicht denn deine Zeit sich mit der Menschen Zeiten? Jst deiner Jahre Raum als Manns-Zeit eingefast/ Daß du nach Missethat so eine Frage hast/ Und rügest meine Sünd und Schuld und Eitelkeiten? Es ist dir zwar bewust daß ich nicht gottloß bin. Doch kan sich deiner Hand durchaus niemand entziehn. Du hast mich selbst zu erst gemacht mit deinen Fingern; Und was sich umb und umb an diesem Leibe regt/ Das hat mir deine Hand/ mein Schöpffer/ angelegt; Und nun versenckst du mich/ und willst mich gar vorringern. Gedencke/ daß ich nur aus Läimen bin gemacht/ Und daß ich wieder werd in Läim und Erde bracht. Hast du mich nicht wie Milch und fetten Rahm gemolcken? Gerann ich nicht darnach den weichen Käsen gleich? Und eh ich Armer noch kam auf der Erden Reich/ So gabst du mir ein Kleid das schöner als die Wolcken. Von frisch gesundem Fleisch und einer zarten Haut Hat meine Mutter mich nach ihrer Angst geschaut. Du fügtest Bein an Bein mit Adern wohl zusammen/ Das Leben gabst du mir und Wohlthat auch darzu. Von B b b b b b 2
Geiſtliche Gedichte und Lieder. Das zehende Capitel Hiobs. JCh habe nun Verdruß auf dieſer Welt zu leben/Und meine Seele aͤchz’t/ daß ich ſo leben muß. Es rinnt aus meinem Aug ein ſteter Thraͤnen-Fluß. Jch muß in Angſt-Geſchrey jetzt meine Klag’ erheben/ Die Noth iſt gar zu groß die meine Seele plagt/ Wohlan/ es ſey doch GOtt mein Hertzenleyd geklagt. Verdamme mich nicht bald und geh nicht ins Gerichte Mit mir Unwiſſenden. Erzehle was es ſey? Eh ich erſcheinen ſoll/ und mach mich Zweiffels frey/ Warumb du mit mir zanckſt/ daß ich mich unterrichte. Gefaͤllts dir denn O GOtt! an mir Gewalt zu thun; Und kanſt du keine Zeit und Viertelſtunde ruhn? Verwirffſt du dieſen auch den deine Hand erbauet/ Und ſtoͤſt der Meiſter ſelbſt ſein Meiſterſtuͤck jetzt ein? Muß der Gottloſen Rath durch dich geehret ſeyn; Da man mich ausgethan von deinem Antlitz ſchauet? Biſt du denn fleiſchlich auch/ wie Menſchen ſind/ geſinnet? Und ſiehſt du ſo wie ſie/ das an/ was man beginnet? Vergleicht denn deine Zeit ſich mit der Menſchen Zeiten? Jſt deiner Jahre Raum als Manns-Zeit eingefaſt/ Daß du nach Miſſethat ſo eine Frage haſt/ Und ruͤgeſt meine Suͤnd und Schuld und Eitelkeiten? Es iſt dir zwar bewuſt daß ich nicht gottloß bin. Doch kan ſich deiner Hand durchaus niemand entziehn. Du haſt mich ſelbſt zu erſt gemacht mit deinen Fingern; Und was ſich umb und umb an dieſem Leibe regt/ Das hat mir deine Hand/ mein Schoͤpffer/ angelegt; Und nun verſenckſt du mich/ und willſt mich gar vorringern. Gedencke/ daß ich nur aus Laͤimen bin gemacht/ Und daß ich wieder werd in Laͤim und Erde bracht. Haſt du mich nicht wie Milch und fetten Rahm gemolcken? Gerann ich nicht darnach den weichen Kaͤſen gleich? Und eh ich Armer noch kam auf der Erden Reich/ So gabſt du mir ein Kleid das ſchoͤner als die Wolcken. Von friſch geſundem Fleiſch und einer zarten Haut Hat meine Mutter mich nach ihrer Angſt geſchaut. Du fuͤgteſt Bein an Bein mit Adern wohl zuſammen/ Das Leben gabſt du mir und Wohlthat auch darzu. Von B b b b b b 2
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Geiſtliche Gedichte und Lieder.
Das zehende Capitel Hiobs.
JCh habe nun Verdruß auf dieſer Welt zu leben/
Und meine Seele aͤchz’t/ daß ich ſo leben muß.
Es rinnt aus meinem Aug ein ſteter Thraͤnen-Fluß.
Jch muß in Angſt-Geſchrey jetzt meine Klag’ erheben/
Die Noth iſt gar zu groß die meine Seele plagt/
Wohlan/ es ſey doch GOtt mein Hertzenleyd geklagt.
Verdamme mich nicht bald und geh nicht ins Gerichte
Mit mir Unwiſſenden. Erzehle was es ſey?
Eh ich erſcheinen ſoll/ und mach mich Zweiffels frey/
Warumb du mit mir zanckſt/ daß ich mich unterrichte.
Gefaͤllts dir denn O GOtt! an mir Gewalt zu thun;
Und kanſt du keine Zeit und Viertelſtunde ruhn?
Verwirffſt du dieſen auch den deine Hand erbauet/
Und ſtoͤſt der Meiſter ſelbſt ſein Meiſterſtuͤck jetzt ein?
Muß der Gottloſen Rath durch dich geehret ſeyn;
Da man mich ausgethan von deinem Antlitz ſchauet?
Biſt du denn fleiſchlich auch/ wie Menſchen ſind/ geſinnet?
Und ſiehſt du ſo wie ſie/ das an/ was man beginnet?
Vergleicht denn deine Zeit ſich mit der Menſchen Zeiten?
Jſt deiner Jahre Raum als Manns-Zeit eingefaſt/
Daß du nach Miſſethat ſo eine Frage haſt/
Und ruͤgeſt meine Suͤnd und Schuld und Eitelkeiten?
Es iſt dir zwar bewuſt daß ich nicht gottloß bin.
Doch kan ſich deiner Hand durchaus niemand entziehn.
Du haſt mich ſelbſt zu erſt gemacht mit deinen Fingern;
Und was ſich umb und umb an dieſem Leibe regt/
Das hat mir deine Hand/ mein Schoͤpffer/ angelegt;
Und nun verſenckſt du mich/ und willſt mich gar vorringern.
Gedencke/ daß ich nur aus Laͤimen bin gemacht/
Und daß ich wieder werd in Laͤim und Erde bracht.
Haſt du mich nicht wie Milch und fetten Rahm gemolcken?
Gerann ich nicht darnach den weichen Kaͤſen gleich?
Und eh ich Armer noch kam auf der Erden Reich/
So gabſt du mir ein Kleid das ſchoͤner als die Wolcken.
Von friſch geſundem Fleiſch und einer zarten Haut
Hat meine Mutter mich nach ihrer Angſt geſchaut.
Du fuͤgteſt Bein an Bein mit Adern wohl zuſammen/
Das Leben gabſt du mir und Wohlthat auch darzu.
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