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Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.

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Leichen-Gedichte.
Wer auf den Felfen baut kan jedem Feind bestehen/
Wer zu dem hohen Schloß nur seine Zuflucht nimmt/
Der kan mit stoltzem Fuß auf Löw und Drachen gehen/
Und weiß daß auch der Tod kein eintzig Haar ihm krümmt.
Auf diesen Grund hat nun von Jugend auf gebauet
Die Freundin die wir itzt in kühlen Sand verscharrt/
Die in der Einsamkeit auff GOtt allein getrauet/
Und in demselben hat des Jammers End erharrt/
Wie rechte Wittwen thun. Bey ihm war bloß ihr Hoffen/
Sie schüttete ihr Hertz vor seinem Antlitz aus/
Und wuste Glaubens-voll/ daß ihr inbrünstig Ruffen
Gleich einem schnellen Feur dringt in des HErren Haus.
Es war ihr eintzig Wunsch/ dem Höchsten zu gefallen/
Die Hoffnungs-Lilie hat bey ihr stets geblüht/
Und ob ihr Wittwen-Stand gleich Aesten von Corallen
Die man nur in der See der Thränen Leben sieht/
So blieb sie dem getreu/ der von der Mutter-Brüsten
Biß an den letzten Hauch ihr Führer würde seyn/
Der sie im Todes-Kampff mit Glauben würd'|ausrüsten/
Und nach vollbrachtem Streit sie prangend holen ein.
Erblaste Seelige/ wie seelig ist dein Hoffen
Daß auch der grimme Tod zu schanden nicht gemacht.
Dein Auge/ das er schleust/ sieht itzt den Himmel offen/
Kommt in ein klares Licht aus einer langen Nacht.
Dir ist sehr wohlgeschehn/ wer sechzig überschritten/
Sieht ja an jedem Glied fast täglich seine Bahr/
Und wer betracht/ was du vor Kranckheit hier erlitten/
Spricht/ daß der Sterbe-Tag ein Tag der Freyheit war.
Doch aber allzufrüh entfällst du deinen Kindern!
Und auch der Enckel Mund erschallt ein trübes Ach!
Es weiß des Brudern Hertz sein Trauren nicht zu mindern/
Dieweil er folgen muß die ihm sonst folgte nach.
Und mehr beklagen dich die hinterlaßnen Armen!
Die Freunde rühmen noch die Treu und Redlichkeit/
Und seuffzen daß der Tod Mitleiden und Erbarmen
Wenn er sein Recht vollzieht/ deckt mit dem Grabescheit.
Ruh wol/ dein Hoffnungs-Bild die Lilie wird blühen/
Wenn unsre Lilien verwelcken in dem Sand/
Dein Grabmahl ein Saphir der Hoffnung überziehen/
Den Moses allbereit in seinen Taffeln fand.
Es
Leichen-Gedichte.
Wer auf den Felfen baut kan jedem Feind beſtehen/
Wer zu dem hohen Schloß nur ſeine Zuflucht nimmt/
Der kan mit ſtoltzem Fuß auf Loͤw und Drachen gehen/
Und weiß daß auch der Tod kein eintzig Haar ihm kruͤmmt.
Auf dieſen Grund hat nun von Jugend auf gebauet
Die Freundin die wir itzt in kuͤhlen Sand verſcharrt/
Die in der Einſamkeit auff GOtt allein getrauet/
Und in demſelben hat des Jammers End erharrt/
Wie rechte Wittwen thun. Bey ihm war bloß ihr Hoffen/
Sie ſchuͤttete ihr Hertz vor ſeinem Antlitz aus/
Und wuſte Glaubens-voll/ daß ihr inbruͤnſtig Ruffen
Gleich einem ſchnellen Feur dringt in des HErren Haus.
Es war ihr eintzig Wunſch/ dem Hoͤchſten zu gefallen/
Die Hoffnungs-Lilie hat bey ihr ſtets gebluͤht/
Und ob ihr Wittwen-Stand gleich Aeſten von Corallen
Die man nur in der See der Thraͤnen Leben ſieht/
So blieb ſie dem getreu/ der von der Mutter-Bruͤſten
Biß an den letzten Hauch ihr Fuͤhrer wuͤrde ſeyn/
Der ſie im Todes-Kampff mit Glauben wuͤrd’|ausruͤſten/
Und nach vollbrachtem Streit ſie prangend holen ein.
Erblaſte Seelige/ wie ſeelig iſt dein Hoffen
Daß auch der grimme Tod zu ſchanden nicht gemacht.
Dein Auge/ das er ſchleuſt/ ſieht itzt den Himmel offen/
Kommt in ein klares Licht aus einer langen Nacht.
Dir iſt ſehr wohlgeſchehn/ wer ſechzig uͤberſchritten/
Sieht ja an jedem Glied faſt taͤglich ſeine Bahr/
Und wer betracht/ was du vor Kranckheit hier erlitten/
Spricht/ daß der Sterbe-Tag ein Tag der Freyheit war.
Doch aber allzufruͤh entfaͤllſt du deinen Kindern!
Und auch der Enckel Mund erſchallt ein truͤbes Ach!
Es weiß des Brudern Hertz ſein Trauren nicht zu mindern/
Dieweil er folgen muß die ihm ſonſt folgte nach.
Und mehr beklagen dich die hinterlaßnen Armen!
Die Freunde ruͤhmen noch die Treu und Redlichkeit/
Und ſeuffzen daß der Tod Mitleiden und Erbarmen
Wenn er ſein Recht vollzieht/ deckt mit dem Grabeſcheit.
Ruh wol/ dein Hoffnungs-Bild die Lilie wird bluͤhen/
Wenn unſre Lilien verwelcken in dem Sand/
Dein Grabmahl ein Saphir der Hoffnung uͤberziehen/
Den Moſes allbereit in ſeinen Taffeln fand.
Es
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[440/0672] Leichen-Gedichte. Wer auf den Felfen baut kan jedem Feind beſtehen/ Wer zu dem hohen Schloß nur ſeine Zuflucht nimmt/ Der kan mit ſtoltzem Fuß auf Loͤw und Drachen gehen/ Und weiß daß auch der Tod kein eintzig Haar ihm kruͤmmt. Auf dieſen Grund hat nun von Jugend auf gebauet Die Freundin die wir itzt in kuͤhlen Sand verſcharrt/ Die in der Einſamkeit auff GOtt allein getrauet/ Und in demſelben hat des Jammers End erharrt/ Wie rechte Wittwen thun. Bey ihm war bloß ihr Hoffen/ Sie ſchuͤttete ihr Hertz vor ſeinem Antlitz aus/ Und wuſte Glaubens-voll/ daß ihr inbruͤnſtig Ruffen Gleich einem ſchnellen Feur dringt in des HErren Haus. Es war ihr eintzig Wunſch/ dem Hoͤchſten zu gefallen/ Die Hoffnungs-Lilie hat bey ihr ſtets gebluͤht/ Und ob ihr Wittwen-Stand gleich Aeſten von Corallen Die man nur in der See der Thraͤnen Leben ſieht/ So blieb ſie dem getreu/ der von der Mutter-Bruͤſten Biß an den letzten Hauch ihr Fuͤhrer wuͤrde ſeyn/ Der ſie im Todes-Kampff mit Glauben wuͤrd’|ausruͤſten/ Und nach vollbrachtem Streit ſie prangend holen ein. Erblaſte Seelige/ wie ſeelig iſt dein Hoffen Daß auch der grimme Tod zu ſchanden nicht gemacht. Dein Auge/ das er ſchleuſt/ ſieht itzt den Himmel offen/ Kommt in ein klares Licht aus einer langen Nacht. Dir iſt ſehr wohlgeſchehn/ wer ſechzig uͤberſchritten/ Sieht ja an jedem Glied faſt taͤglich ſeine Bahr/ Und wer betracht/ was du vor Kranckheit hier erlitten/ Spricht/ daß der Sterbe-Tag ein Tag der Freyheit war. Doch aber allzufruͤh entfaͤllſt du deinen Kindern! Und auch der Enckel Mund erſchallt ein truͤbes Ach! Es weiß des Brudern Hertz ſein Trauren nicht zu mindern/ Dieweil er folgen muß die ihm ſonſt folgte nach. Und mehr beklagen dich die hinterlaßnen Armen! Die Freunde ruͤhmen noch die Treu und Redlichkeit/ Und ſeuffzen daß der Tod Mitleiden und Erbarmen Wenn er ſein Recht vollzieht/ deckt mit dem Grabeſcheit. Ruh wol/ dein Hoffnungs-Bild die Lilie wird bluͤhen/ Wenn unſre Lilien verwelcken in dem Sand/ Dein Grabmahl ein Saphir der Hoffnung uͤberziehen/ Den Moſes allbereit in ſeinen Taffeln fand. Es

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Zitationshilfe: Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686/672>, abgerufen am 23.11.2024.