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Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756.

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Das dritte Hauptstück.
Was der Schüler beobachten muß, bevor er zu spie-
len anfängt; ingleichem was man ihm anfangs
zu spielen vorlegen solle.
§. 1.

Vor der Abspielung eines musikalischen Stückes hat man auf 3. Dinge zu
sehen: nämlich, auf die Tonart des Stückes; auf den Tact, und
auf die Art der Bewegung die das Stück erfordert, folglich auf die beyge-
setzten Kunstwörter. Was der Tact ist, und wie man aus den Wörtern, die
bey einem Stücke stehen, die Art der Bewegung erkennen kann; beydes ist
schon im ersten Hauptstücke gesagt worden. Nun müssen wir auch von der
Tonart reden.

§. 2.

Jn der heutigen Musik sind nur zwo Tonarten, die weiche und die
harte (a). Man erkennet sie an der Terze: die Terz aber ist der dritte
Ton von eben dem Grundtone, aus welchem das Stück gehet, oder in welchem
Tone es gesetzet ist. Die letzte Note eines Stückes zeiget gemeiniglich den Ton

des
(a) Einem Violinisten wird diese meine Lehre von den Tonarten unfehlbar nütz-
licher seyn, als wenn ich ihm vieles von der Alten ihrem Dorius, Phry-
gius, Lydius, Mixolydius, Aeolius, Ionius,
und, durch Hinzusetzung
des Hypo von noch andern solchen 6. Tonarten vorschwätze. Jn der Kir-
che geniessen sie das Freyungsrecht; bey Hofe aber werden sie nimmer ge-
litten. Und wenn gleich alle die heutigen Tongattungen nur aus der Ton-
leiter (C) Dur und (A) moll versetzet zu seyn scheinen; ja wirklich durch
Hinzusetzung der () und () erst gebildet werden: woher kömmt es
denn, daß ein Stück, welches z. E. vom (F) ins (G) übersetzet wird,
nimmer so angenehm läßt, und eine ganz andere Wirkung in dem Gemü-
the der Zuhörer verursachet? Und woher kömmt es denn, daß ein wohl-
geübter Musikus bey Anhörung einer Musik augenblicklich den Ton der-
selben anzugeben weis, wenn sie nicht unterschieden sind?
H 2


Das dritte Hauptſtuͤck.
Was der Schuͤler beobachten muß, bevor er zu ſpie-
len anfaͤngt; ingleichem was man ihm anfangs
zu ſpielen vorlegen ſolle.
§. 1.

Vor der Abſpielung eines muſikaliſchen Stuͤckes hat man auf 3. Dinge zu
ſehen: naͤmlich, auf die Tonart des Stuͤckes; auf den Tact, und
auf die Art der Bewegung die das Stuͤck erfordert, folglich auf die beyge-
ſetzten Kunſtwoͤrter. Was der Tact iſt, und wie man aus den Woͤrtern, die
bey einem Stuͤcke ſtehen, die Art der Bewegung erkennen kann; beydes iſt
ſchon im erſten Hauptſtuͤcke geſagt worden. Nun muͤſſen wir auch von der
Tonart reden.

§. 2.

Jn der heutigen Muſik ſind nur zwo Tonarten, die weiche und die
harte (a). Man erkennet ſie an der Terze: die Terz aber iſt der dritte
Ton von eben dem Grundtone, aus welchem das Stuͤck gehet, oder in welchem
Tone es geſetzet iſt. Die letzte Note eines Stuͤckes zeiget gemeiniglich den Ton

des
(a) Einem Violiniſten wird dieſe meine Lehre von den Tonarten unfehlbar nuͤtz-
licher ſeyn, als wenn ich ihm vieles von der Alten ihrem Dorius, Phry-
gius, Lydius, Mixolydius, Aeolius, Ionius,
und, durch Hinzuſetzung
des Hypo von noch andern ſolchen 6. Tonarten vorſchwaͤtze. Jn der Kir-
che genieſſen ſie das Freyungsrecht; bey Hofe aber werden ſie nimmer ge-
litten. Und wenn gleich alle die heutigen Tongattungen nur aus der Ton-
leiter (C) Dur und (A) moll verſetzet zu ſeyn ſcheinen; ja wirklich durch
Hinzuſetzung der (♭) und (𝇏) erſt gebildet werden: woher koͤmmt es
denn, daß ein Stuͤck, welches z. E. vom (F) ins (G) uͤberſetzet wird,
nimmer ſo angenehm laͤßt, und eine ganz andere Wirkung in dem Gemuͤ-
the der Zuhoͤrer verurſachet? Und woher koͤmmt es denn, daß ein wohl-
geuͤbter Muſikus bey Anhoͤrung einer Muſik augenblicklich den Ton der-
ſelben anzugeben weis, wenn ſie nicht unterſchieden ſind?
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[59/0087] Das dritte Hauptſtuͤck. Was der Schuͤler beobachten muß, bevor er zu ſpie- len anfaͤngt; ingleichem was man ihm anfangs zu ſpielen vorlegen ſolle. §. 1. Vor der Abſpielung eines muſikaliſchen Stuͤckes hat man auf 3. Dinge zu ſehen: naͤmlich, auf die Tonart des Stuͤckes; auf den Tact, und auf die Art der Bewegung die das Stuͤck erfordert, folglich auf die beyge- ſetzten Kunſtwoͤrter. Was der Tact iſt, und wie man aus den Woͤrtern, die bey einem Stuͤcke ſtehen, die Art der Bewegung erkennen kann; beydes iſt ſchon im erſten Hauptſtuͤcke geſagt worden. Nun muͤſſen wir auch von der Tonart reden. §. 2. Jn der heutigen Muſik ſind nur zwo Tonarten, die weiche und die harte (a). Man erkennet ſie an der Terze: die Terz aber iſt der dritte Ton von eben dem Grundtone, aus welchem das Stuͤck gehet, oder in welchem Tone es geſetzet iſt. Die letzte Note eines Stuͤckes zeiget gemeiniglich den Ton des (a) Einem Violiniſten wird dieſe meine Lehre von den Tonarten unfehlbar nuͤtz- licher ſeyn, als wenn ich ihm vieles von der Alten ihrem Dorius, Phry- gius, Lydius, Mixolydius, Aeolius, Ionius, und, durch Hinzuſetzung des Hypo von noch andern ſolchen 6. Tonarten vorſchwaͤtze. Jn der Kir- che genieſſen ſie das Freyungsrecht; bey Hofe aber werden ſie nimmer ge- litten. Und wenn gleich alle die heutigen Tongattungen nur aus der Ton- leiter (C) Dur und (A) moll verſetzet zu ſeyn ſcheinen; ja wirklich durch Hinzuſetzung der (♭) und (𝇏) erſt gebildet werden: woher koͤmmt es denn, daß ein Stuͤck, welches z. E. vom (F) ins (G) uͤberſetzet wird, nimmer ſo angenehm laͤßt, und eine ganz andere Wirkung in dem Gemuͤ- the der Zuhoͤrer verurſachet? Und woher koͤmmt es denn, daß ein wohl- geuͤbter Muſikus bey Anhoͤrung einer Muſik augenblicklich den Ton der- ſelben anzugeben weis, wenn ſie nicht unterſchieden ſind? H 2

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Zitationshilfe: Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mozart_violinschule_1756/87>, abgerufen am 15.05.2024.