gelerntes Compliment. Joseph hat aber nicht nur Wort gehalten, sondern seinen grossen Lehr- meister (freylich nicht auf der glücklichsten Seite) noch übertroffen; und wenn man zur rech- ten Zeit sterben kann, so ist Er gewiss zur rechten Zeit gestorben.
Ich habe dem Kaiser Joseph selbst gedient, und diesen Monarchen in mehrfachen Verhält- nissen persönlich, genauer als viele andere, kennen gelernt. Eben deswegen könnte aber mein Zeugniss verdächtig und partheyich schei- nen; ich lasse daher lieber einen andern scharf- sinnigen Mann *) von ihm reden, der ihn zwar nicht persönlich gekannt, aber desto emsiger beobachtet hat: "Wenn Joseph (sagt er), manch- mahl in den wichtigsten Angelegenheiten dieje- nigen Personen und Collegia nicht fragte, die er theils aus Achtung für diese Personen und Collegia, theils um der reifern Ueberlegung und der bessern Betreibung der Sachen selbst willen hätte fragen sollen; so that er dieses, allem Anschein nach, nicht sowohl aus despo- tischer Eigenmacht, oder aus einer übermässi- gen Schätzung seiner eigenen Kräfte und Ein-
*) Herrn Hofrath Meiners in dem Göttingischen histori- schen Magazin, VI. B. S. 730.
gelerntes Compliment. Joseph hat aber nicht nur Wort gehalten, sondern seinen groſsen Lehr- meister (freylich nicht auf der glücklichsten Seite) noch übertroffen; und wenn man zur rech- ten Zeit sterben kann, so ist Er gewiſs zur rechten Zeit gestorben.
Ich habe dem Kaiser Joseph selbst gedient, und diesen Monarchen in mehrfachen Verhält- nissen persönlich, genauer als viele andere, kennen gelernt. Eben deswegen könnte aber mein Zeugniſs verdächtig und partheyich schei- nen; ich lasse daher lieber einen andern scharf- sinnigen Mann *) von ihm reden, der ihn zwar nicht persönlich gekannt, aber desto emsiger beobachtet hat: „Wenn Joseph (sagt er), manch- mahl in den wichtigsten Angelegenheiten dieje- nigen Personen und Collegia nicht fragte, die er theils aus Achtung für diese Personen und Collegia, theils um der reifern Ueberlegung und der bessern Betreibung der Sachen selbst willen hätte fragen sollen; so that er dieses, allem Anschein nach, nicht sowohl aus despo- tischer Eigenmacht, oder aus einer übermäſsi- gen Schätzung seiner eigenen Kräfte und Ein-
*) Herrn Hofrath Meiners in dem Göttingischen histori- schen Magazin, VI. B. S. 730.
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gelerntes Compliment. Joseph hat aber nicht
nur Wort gehalten, sondern seinen groſsen Lehr-
meister (freylich nicht auf der glücklichsten
Seite) noch übertroffen; und wenn man zur rech-
ten Zeit sterben kann, so ist Er gewiſs zur
rechten Zeit gestorben.
Ich habe dem Kaiser Joseph selbst gedient,
und diesen Monarchen in mehrfachen Verhält-
nissen persönlich, genauer als viele andere,
kennen gelernt. Eben deswegen könnte aber
mein Zeugniſs verdächtig und partheyich schei-
nen; ich lasse daher lieber einen andern scharf-
sinnigen Mann *) von ihm reden, der ihn zwar
nicht persönlich gekannt, aber desto emsiger
beobachtet hat: „Wenn Joseph (sagt er), manch-
mahl in den wichtigsten Angelegenheiten dieje-
nigen Personen und Collegia nicht fragte, die
er theils aus Achtung für diese Personen und
Collegia, theils um der reifern Ueberlegung
und der bessern Betreibung der Sachen selbst
willen hätte fragen sollen; so that er dieses,
allem Anschein nach, nicht sowohl aus despo-
tischer Eigenmacht, oder aus einer übermäſsi-
gen Schätzung seiner eigenen Kräfte und Ein-
*) Herrn Hofrath Meiners in dem Göttingischen histori-
schen Magazin, VI. B. S. 730.
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Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796/52>, abgerufen am 27.11.2024.
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