den und Schlechtigkeiten beruhigen, lässt sich gar nicht berechnen; und es wird auch nach uns, trotz allen Lob- und Minnesingern, von vielen unsern Königs- und Fürsten-Söhnen noch wahr bleiben, was Horaz gesungen hat:
Aetas parentum, pejor avis, tulit Nos nequiores; mox daturos Progeniem vitiosiorem.
Bey allen diesen gerechten Klagen sind doch (man kann es nie zu oft wiederhohlen, die Gros- sen weniger zu tadeln, als zu bemitleiden und zu bedauren. Wir andern gewöhnlichen Men- schen, wenn wir nicht in Verachtung sinken, neben andern fort- und wohl gar oben schwim- men wollen, müssen wohl unsere Kräfte an- strengen, uns selbst treiben, man mag uns lo- ben oder nicht. Bey den meisten Grossen hin- gegen ist das Loben ein wahres Bedürfniss; lobt man sie zu viel, so seegnen sie sich, nach dem den fürstlichen Menschen vorzüglich eigenen Egoism selbst; halten sich zu gut, was sie an sich bessern sollten; rechnen auf die Indul- genz ihrer Unterthanen und des Publicums ge- gen ihre Temperaments-Fehler, Unarten und Schwachheiten; und so gewöhnen sie sich all-
den und Schlechtigkeiten beruhigen, läſst sich gar nicht berechnen; und es wird auch nach uns, trotz allen Lob- und Minnesingern, von vielen unsern Königs- und Fürsten-Söhnen noch wahr bleiben, was Horaz gesungen hat:
Aetas parentum, pejor avis, tulit Nos nequiores; mox daturos Progeniem vitiosiorem.
Bey allen diesen gerechten Klagen sind doch (man kann es nie zu oft wiederhohlen, die Gros- sen weniger zu tadeln, als zu bemitleiden und zu bedauren. Wir andern gewöhnlichen Men- schen, wenn wir nicht in Verachtung sinken, neben andern fort- und wohl gar oben schwim- men wollen, müssen wohl unsere Kräfte an- strengen, uns selbst treiben, man mag uns lo- ben oder nicht. Bey den meisten Groſsen hin- gegen ist das Loben ein wahres Bedürfniſs; lobt man sie zu viel, so seegnen sie sich, nach dem den fürstlichen Menschen vorzüglich eigenen Egoism selbst; halten sich zu gut, was sie an sich bessern sollten; rechnen auf die Indul- genz ihrer Unterthanen und des Publicums ge- gen ihre Temperaments-Fehler, Unarten und Schwachheiten; und so gewöhnen sie sich all-
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den und Schlechtigkeiten beruhigen, läſst sich
gar nicht berechnen; und es wird auch nach uns,
trotz allen Lob- und Minnesingern, von vielen
unsern Königs- und Fürsten-Söhnen noch wahr
bleiben, was Horaz gesungen hat:
Aetas parentum, pejor avis, tulit
Nos nequiores; mox daturos
Progeniem vitiosiorem.
Bey allen diesen gerechten Klagen sind doch
(man kann es nie zu oft wiederhohlen, die Gros-
sen weniger zu tadeln, als zu bemitleiden und
zu bedauren. Wir andern gewöhnlichen Men-
schen, wenn wir nicht in Verachtung sinken,
neben andern fort- und wohl gar oben schwim-
men wollen, müssen wohl unsere Kräfte an-
strengen, uns selbst treiben, man mag uns lo-
ben oder nicht. Bey den meisten Groſsen hin-
gegen ist das Loben ein wahres Bedürfniſs; lobt
man sie zu viel, so seegnen sie sich, nach dem
den fürstlichen Menschen vorzüglich eigenen
Egoism selbst; halten sich zu gut, was sie
an sich bessern sollten; rechnen auf die Indul-
genz ihrer Unterthanen und des Publicums ge-
gen ihre Temperaments-Fehler, Unarten und
Schwachheiten; und so gewöhnen sie sich all-
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Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796/109>, abgerufen am 22.11.2024.
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