Wenn es noch Sitte wäre, Königs- und Für- sten-Söhne in der Geschichte ihres Hauses so pragmatisch zu unterrichten, dass ihnen zu- gleich Leben und Thaten ihrer Vorfahren in ihren persönlichen Tugenden und Lastern, die rühmliche und schädliche Seite ihrer ganzen Regierung und Landes-Verwaltung spiegel- mässig vor Augen gestellt, und mit herzgreifen- den Anmerkungen begleitet würden, dann möchte ein solcher Unterricht etwa hie und da noch ein heilsames Antidot gegen die einen jun- gen Fürsten umgebende Verführer und Schmeich- ler seyn. Welcher Held von Mann müsste es aber seyn, dem man nur einmal den Antrag thun dürfte, eine solche Biographie zu entwer- fen? Gewiss keinem besoldeten Historiogra- phen, keinem kriechenden Lob-Lügner. -- Und wer soll eine Haus-Geschichte dieser Art ver- langen? Der bessere Sohn, der sichs zur Reli- gion macht, die Thorheiten und Schwachheiten seines Vaters lieber zu verbergen, als ihn ver- meintlich noch unter der Erde zu beschimpfen? Der schlechtere Enkel, der in der rühmlichern Regierungs-Geschichte seines Vaters sein ei- genes Urtheil zu lesen bekäme.
Wenn es noch Sitte wäre, Königs- und Für- sten-Söhne in der Geschichte ihres Hauses so pragmatisch zu unterrichten, daſs ihnen zu- gleich Leben und Thaten ihrer Vorfahren in ihren persönlichen Tugenden und Lastern, die rühmliche und schädliche Seite ihrer ganzen Regierung und Landes-Verwaltung spiegel- mäſsig vor Augen gestellt, und mit herzgreifen- den Anmerkungen begleitet würden, dann möchte ein solcher Unterricht etwa hie und da noch ein heilsames Antidot gegen die einen jun- gen Fürsten umgebende Verführer und Schmeich- ler seyn. Welcher Held von Mann müſste es aber seyn, dem man nur einmal den Antrag thun dürfte, eine solche Biographie zu entwer- fen? Gewiſs keinem besoldeten Historiogra- phen, keinem kriechenden Lob-Lügner. — Und wer soll eine Haus-Geschichte dieser Art ver- langen? Der bessere Sohn, der sichs zur Reli- gion macht, die Thorheiten und Schwachheiten seines Vaters lieber zu verbergen, als ihn ver- meintlich noch unter der Erde zu beschimpfen? Der schlechtere Enkel, der in der rühmlichern Regierungs-Geschichte seines Vaters sein ei- genes Urtheil zu lesen bekäme.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0129"n="123"/><p>Wenn es noch Sitte wäre, Königs- und Für-<lb/>
sten-Söhne in der Geschichte ihres Hauses so<lb/>
pragmatisch zu unterrichten, daſs ihnen zu-<lb/>
gleich Leben und Thaten ihrer Vorfahren in<lb/>
ihren persönlichen Tugenden und Lastern, die<lb/>
rühmliche und schädliche Seite ihrer ganzen<lb/>
Regierung und Landes-Verwaltung spiegel-<lb/>
mäſsig vor Augen gestellt, und mit herzgreifen-<lb/>
den Anmerkungen begleitet würden, dann<lb/>
möchte ein solcher Unterricht etwa hie und da<lb/>
noch ein heilsames Antidot gegen die einen jun-<lb/>
gen Fürsten umgebende Verführer und Schmeich-<lb/>
ler seyn. Welcher Held von Mann müſste es<lb/>
aber seyn, dem man nur einmal den Antrag<lb/>
thun dürfte, eine solche Biographie zu entwer-<lb/>
fen? Gewiſs keinem besoldeten Historiogra-<lb/>
phen, keinem kriechenden Lob-Lügner. — Und<lb/>
wer soll eine Haus-Geschichte dieser Art ver-<lb/>
langen? Der bessere Sohn, der sichs zur Reli-<lb/>
gion macht, die Thorheiten und Schwachheiten<lb/>
seines Vaters lieber zu verbergen, als ihn ver-<lb/>
meintlich noch unter der Erde zu beschimpfen?<lb/>
Der schlechtere Enkel, der in der rühmlichern<lb/>
Regierungs-Geschichte seines Vaters sein ei-<lb/>
genes Urtheil zu lesen bekäme.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[123/0129]
Wenn es noch Sitte wäre, Königs- und Für-
sten-Söhne in der Geschichte ihres Hauses so
pragmatisch zu unterrichten, daſs ihnen zu-
gleich Leben und Thaten ihrer Vorfahren in
ihren persönlichen Tugenden und Lastern, die
rühmliche und schädliche Seite ihrer ganzen
Regierung und Landes-Verwaltung spiegel-
mäſsig vor Augen gestellt, und mit herzgreifen-
den Anmerkungen begleitet würden, dann
möchte ein solcher Unterricht etwa hie und da
noch ein heilsames Antidot gegen die einen jun-
gen Fürsten umgebende Verführer und Schmeich-
ler seyn. Welcher Held von Mann müſste es
aber seyn, dem man nur einmal den Antrag
thun dürfte, eine solche Biographie zu entwer-
fen? Gewiſs keinem besoldeten Historiogra-
phen, keinem kriechenden Lob-Lügner. — Und
wer soll eine Haus-Geschichte dieser Art ver-
langen? Der bessere Sohn, der sichs zur Reli-
gion macht, die Thorheiten und Schwachheiten
seines Vaters lieber zu verbergen, als ihn ver-
meintlich noch unter der Erde zu beschimpfen?
Der schlechtere Enkel, der in der rühmlichern
Regierungs-Geschichte seines Vaters sein ei-
genes Urtheil zu lesen bekäme.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 1. Zürich, 1796, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische01_1796/129>, abgerufen am 05.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.