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Mosen, Julius: Die Dresdener Gemälde-Galerie. Dresden, 1844.

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ihr Gesicht liegt ein breiter Todesschatten gebreitet. Während der Leib des Heilands oben in der Luft in weißem Scheine zu glänzen scheint, leuchtet das Gewand der ohnmachtdurchschauerten Mutter in wunderbarer, tief dunkelblauer Gluth. Wer den emporgehobenen sterbenden Blick der Mutter und den niedergesenkten Blick des Gekreuzigten versteht, der kennt die höchste Poesie, die des Schmerzes; es ist die blaue, mystische Blume des Dichters Novalis.

Cagliari hat in einem zweiten Bilde
den Pendant davon,
die unter dem Kreuze bereits in Ohnmacht gesunkene Mutter in den Armen einer der Marien dargestellt. Hier ist die Poesie erloschen in der Erstarrung der Mutter und des Sohnes. Wo das Leben, da hört die Kunst auf. Der Besucher kann es bald von dem vorigen unterscheiden; denn hier knieet noch der Hauptmann neben seinem Pferde.

Hier ist der Schmerz jener Zeit im Vorgefühle ihres Unterganges verklärt in der Maria unter dem Kreuze; derselbe Schmerz ist anderwärts in der büßenden Magdalena oder im sterbenden Christusantlitz herausgestellt, hier aber am seelenergreifendsten in der Mutter, welche ihren Sohn und ihren Gott verscheiden sieht.

ihr Gesicht liegt ein breiter Todesschatten gebreitet. Während der Leib des Heilands oben in der Luft in weißem Scheine zu glänzen scheint, leuchtet das Gewand der ohnmachtdurchschauerten Mutter in wunderbarer, tief dunkelblauer Gluth. Wer den emporgehobenen sterbenden Blick der Mutter und den niedergesenkten Blick des Gekreuzigten versteht, der kennt die höchste Poesie, die des Schmerzes; es ist die blaue, mystische Blume des Dichters Novalis.

Cagliari hat in einem zweiten Bilde
den Pendant davon,
die unter dem Kreuze bereits in Ohnmacht gesunkene Mutter in den Armen einer der Marien dargestellt. Hier ist die Poesie erloschen in der Erstarrung der Mutter und des Sohnes. Wo das Leben, da hört die Kunst auf. Der Besucher kann es bald von dem vorigen unterscheiden; denn hier knieet noch der Hauptmann neben seinem Pferde.

Hier ist der Schmerz jener Zeit im Vorgefühle ihres Unterganges verklärt in der Maria unter dem Kreuze; derselbe Schmerz ist anderwärts in der büßenden Magdalena oder im sterbenden Christusantlitz herausgestellt, hier aber am seelenergreifendsten in der Mutter, welche ihren Sohn und ihren Gott verscheiden sieht.

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[62/0072] ihr Gesicht liegt ein breiter Todesschatten gebreitet. Während der Leib des Heilands oben in der Luft in weißem Scheine zu glänzen scheint, leuchtet das Gewand der ohnmachtdurchschauerten Mutter in wunderbarer, tief dunkelblauer Gluth. Wer den emporgehobenen sterbenden Blick der Mutter und den niedergesenkten Blick des Gekreuzigten versteht, der kennt die höchste Poesie, die des Schmerzes; es ist die blaue, mystische Blume des Dichters Novalis. Cagliari hat in einem zweiten Bilde den Pendant davon, die unter dem Kreuze bereits in Ohnmacht gesunkene Mutter in den Armen einer der Marien dargestellt. Hier ist die Poesie erloschen in der Erstarrung der Mutter und des Sohnes. Wo das Leben, da hört die Kunst auf. Der Besucher kann es bald von dem vorigen unterscheiden; denn hier knieet noch der Hauptmann neben seinem Pferde. Hier ist der Schmerz jener Zeit im Vorgefühle ihres Unterganges verklärt in der Maria unter dem Kreuze; derselbe Schmerz ist anderwärts in der büßenden Magdalena oder im sterbenden Christusantlitz herausgestellt, hier aber am seelenergreifendsten in der Mutter, welche ihren Sohn und ihren Gott verscheiden sieht.

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Zitationshilfe: Mosen, Julius: Die Dresdener Gemälde-Galerie. Dresden, 1844, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mosen_galerie_1844/72>, abgerufen am 27.04.2024.