Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mosen, Julius: Die Dresdener Gemälde-Galerie. Dresden, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Füßen in der Ecke sitzt ein halbentkleidetes Mädchen, fast noch in kindlichem Alter, welches das Nachbild der von Gemian der Mutter Gottes in Modena geweiheten Kirche trägt. Dieses Gemälde heißt scherzweise: die Reitschule. Nur ein protestantischer Mucker kann vielleicht die feinen, aus dem religiösen Gemüthe emporprickelnden, heimlichen Entzückungen und Ergießungen dieses Bildes nachempfinden und das süße Krampflächeln in den hinaufgezogenen Mundwinkeln verstehen. Es ist die in der Andacht schlummernde Sinnlichkeit, welche sie zur heimlichen Orgie werden läßt! Durch die feine Zeichnung und Rundung der halbverhüllten, halbentkleideten Gliedmaßen von Personen in der Entwickelungsperiode des Geschlechtes schleicht ein hermaphroditisches Lüsteln wie der Glasharmonikaklang einer Kastratenstimme. In diesem Bilde ist die Jungfräulichkeit der christlichen Kunst geknickt. Sie hat nun nichts mehr mit dem Himmel der Unschuld zu thun. Doch auch das gefallene Weib richtet sich unter der segnenden Hand der göttlichen Natur wieder empor und wird geheiligt als Mutter des Kindes, in welchem sie irdisch fortlebt. Das verlorene Paradies gewinnt sie wieder in der Mutterfreude. So fallen unsere Blicke in
die heilige Nacht.

In diesem Gemälde hat die Naturseele ihre Freiheit von der Ascetik und ihren Verheißungen des Jenseits

Füßen in der Ecke sitzt ein halbentkleidetes Mädchen, fast noch in kindlichem Alter, welches das Nachbild der von Gemian der Mutter Gottes in Modena geweiheten Kirche trägt. Dieses Gemälde heißt scherzweise: die Reitschule. Nur ein protestantischer Mucker kann vielleicht die feinen, aus dem religiösen Gemüthe emporprickelnden, heimlichen Entzückungen und Ergießungen dieses Bildes nachempfinden und das süße Krampflächeln in den hinaufgezogenen Mundwinkeln verstehen. Es ist die in der Andacht schlummernde Sinnlichkeit, welche sie zur heimlichen Orgie werden läßt! Durch die feine Zeichnung und Rundung der halbverhüllten, halbentkleideten Gliedmaßen von Personen in der Entwickelungsperiode des Geschlechtes schleicht ein hermaphroditisches Lüsteln wie der Glasharmonikaklang einer Kastratenstimme. In diesem Bilde ist die Jungfräulichkeit der christlichen Kunst geknickt. Sie hat nun nichts mehr mit dem Himmel der Unschuld zu thun. Doch auch das gefallene Weib richtet sich unter der segnenden Hand der göttlichen Natur wieder empor und wird geheiligt als Mutter des Kindes, in welchem sie irdisch fortlebt. Das verlorene Paradies gewinnt sie wieder in der Mutterfreude. So fallen unsere Blicke in
die heilige Nacht.

In diesem Gemälde hat die Naturseele ihre Freiheit von der Ascetik und ihren Verheißungen des Jenseits

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0027" n="17"/>
Füßen in der Ecke sitzt ein halbentkleidetes Mädchen, fast noch in kindlichem Alter, welches das Nachbild der von Gemian der Mutter Gottes in Modena geweiheten Kirche trägt. Dieses Gemälde heißt scherzweise: die Reitschule. Nur ein protestantischer Mucker kann vielleicht die feinen, aus dem religiösen Gemüthe emporprickelnden, heimlichen Entzückungen und Ergießungen dieses Bildes nachempfinden und das süße Krampflächeln in den hinaufgezogenen Mundwinkeln verstehen. Es ist die in der Andacht schlummernde Sinnlichkeit, welche sie zur heimlichen Orgie werden läßt! Durch die feine Zeichnung und Rundung der halbverhüllten, halbentkleideten Gliedmaßen von Personen in der Entwickelungsperiode des Geschlechtes schleicht ein hermaphroditisches Lüsteln wie der Glasharmonikaklang einer Kastratenstimme. In diesem Bilde ist die Jungfräulichkeit der christlichen Kunst geknickt. Sie hat nun nichts mehr mit dem Himmel der Unschuld zu thun. Doch auch das gefallene Weib richtet sich unter der segnenden Hand der göttlichen Natur wieder empor und wird geheiligt als Mutter des Kindes, in welchem sie irdisch fortlebt. Das verlorene Paradies gewinnt sie wieder in der Mutterfreude. So fallen unsere Blicke in<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#g">die heilige Nacht.</hi></hi></p>
        <p>In diesem Gemälde hat die Naturseele ihre Freiheit von der Ascetik und ihren Verheißungen des Jenseits
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0027] Füßen in der Ecke sitzt ein halbentkleidetes Mädchen, fast noch in kindlichem Alter, welches das Nachbild der von Gemian der Mutter Gottes in Modena geweiheten Kirche trägt. Dieses Gemälde heißt scherzweise: die Reitschule. Nur ein protestantischer Mucker kann vielleicht die feinen, aus dem religiösen Gemüthe emporprickelnden, heimlichen Entzückungen und Ergießungen dieses Bildes nachempfinden und das süße Krampflächeln in den hinaufgezogenen Mundwinkeln verstehen. Es ist die in der Andacht schlummernde Sinnlichkeit, welche sie zur heimlichen Orgie werden läßt! Durch die feine Zeichnung und Rundung der halbverhüllten, halbentkleideten Gliedmaßen von Personen in der Entwickelungsperiode des Geschlechtes schleicht ein hermaphroditisches Lüsteln wie der Glasharmonikaklang einer Kastratenstimme. In diesem Bilde ist die Jungfräulichkeit der christlichen Kunst geknickt. Sie hat nun nichts mehr mit dem Himmel der Unschuld zu thun. Doch auch das gefallene Weib richtet sich unter der segnenden Hand der göttlichen Natur wieder empor und wird geheiligt als Mutter des Kindes, in welchem sie irdisch fortlebt. Das verlorene Paradies gewinnt sie wieder in der Mutterfreude. So fallen unsere Blicke in die heilige Nacht. In diesem Gemälde hat die Naturseele ihre Freiheit von der Ascetik und ihren Verheißungen des Jenseits

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-03-04T10:41:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-03-04T10:41:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-03-04T10:41:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mosen_galerie_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mosen_galerie_1844/27
Zitationshilfe: Mosen, Julius: Die Dresdener Gemälde-Galerie. Dresden, 1844, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mosen_galerie_1844/27>, abgerufen am 20.04.2024.