Bei dieser bessern Wendung seines Schicksals behielt Reiser demohngeachtet noch immer seine schwermüthige Laune bei, woran er nun einmal ein besonderes Behagen fand; und selbst an dem Tage, da ihm die unerwartete Ehre der öffent¬ lichen Kritik seiner Gedichte wiederfahren war, ging er den Nachmittag einsam und schwermü¬ thig, bei dem trüben und regnigten Wetter in der Stadt umher -- und wollte am Abend zu Philipp Reisern gehen, um diesem sein Glück zu sagen. -- Da er nun hinkam, fand er ihn nicht zu Hause, und alles war ihm nun so todt, so öde -- er konnte sich seines Glücks, die Achtung der Menschen, die ihn zunächst umgaben, in ge¬ wißer Maaße gewonnen zu haben, nicht recht freuen, weil er es seinem Freunde nun nicht hatte erzählen können. --
Und da er nun traurig vor sich hin, wieder nach Hause kehrte, verfolgte er die Idee des Nichtzuhausefindens, des Rückkehrens mit kum¬ merbeladenem Herzen, wenn er seinem Freunde ein Leiden hätte klagen wollen, bis zu dem fürchterlichen Gedanken, daß er ihn todt gefun¬ den habe, und nun verzweiflungsvoll selbst sein
Bei dieſer beſſern Wendung ſeines Schickſals behielt Reiſer demohngeachtet noch immer ſeine ſchwermuͤthige Laune bei, woran er nun einmal ein beſonderes Behagen fand; und ſelbſt an dem Tage, da ihm die unerwartete Ehre der oͤffent¬ lichen Kritik ſeiner Gedichte wiederfahren war, ging er den Nachmittag einſam und ſchwermuͤ¬ thig, bei dem truͤben und regnigten Wetter in der Stadt umher — und wollte am Abend zu Philipp Reiſern gehen, um dieſem ſein Gluͤck zu ſagen. — Da er nun hinkam, fand er ihn nicht zu Hauſe, und alles war ihm nun ſo todt, ſo oͤde — er konnte ſich ſeines Gluͤcks, die Achtung der Menſchen, die ihn zunaͤchſt umgaben, in ge¬ wißer Maaße gewonnen zu haben, nicht recht freuen, weil er es ſeinem Freunde nun nicht hatte erzaͤhlen koͤnnen. —
Und da er nun traurig vor ſich hin, wieder nach Hauſe kehrte, verfolgte er die Idee des Nichtzuhauſefindens, des Ruͤckkehrens mit kum¬ merbeladenem Herzen, wenn er ſeinem Freunde ein Leiden haͤtte klagen wollen, bis zu dem fuͤrchterlichen Gedanken, daß er ihn todt gefun¬ den habe, und nun verzweiflungsvoll ſelbſt ſein
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Bei dieſer beſſern Wendung ſeines Schickſals
behielt Reiſer demohngeachtet noch immer ſeine
ſchwermuͤthige Laune bei, woran er nun einmal
ein beſonderes Behagen fand; und ſelbſt an dem
Tage, da ihm die unerwartete Ehre der oͤffent¬
lichen Kritik ſeiner Gedichte wiederfahren war,
ging er den Nachmittag einſam und ſchwermuͤ¬
thig, bei dem truͤben und regnigten Wetter in
der Stadt umher — und wollte am Abend zu
Philipp Reiſern gehen, um dieſem ſein Gluͤck zu
ſagen. — Da er nun hinkam, fand er ihn nicht
zu Hauſe, und alles war ihm nun ſo todt, ſo
oͤde — er konnte ſich ſeines Gluͤcks, die Achtung
der Menſchen, die ihn zunaͤchſt umgaben, in ge¬
wißer Maaße gewonnen zu haben, nicht recht
freuen, weil er es ſeinem Freunde nun nicht
hatte erzaͤhlen koͤnnen. —
Und da er nun traurig vor ſich hin, wieder
nach Hauſe kehrte, verfolgte er die Idee des
Nichtzuhauſefindens, des Ruͤckkehrens mit kum¬
merbeladenem Herzen, wenn er ſeinem Freunde
ein Leiden haͤtte klagen wollen, bis zu dem
fuͤrchterlichen Gedanken, daß er ihn todt gefun¬
den habe, und nun verzweiflungsvoll ſelbſt ſein
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/134>, abgerufen am 22.07.2024.
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