kann, abgefaßt, und war doch nichts weni¬ ger, als Heuchelei --
Reiser hielt sich wirklich damals für ein Un¬ geheuer von Bosheit und Undankbarkeit; und schrieb den ganzen Brief an den Pastor M. . . mit einer Erbitterung gegen sich selbst nieder, wie sie vielleicht nur bei irgend einem Menschen möglich ist -- -- er dachte nicht daran, sich zu entschuldigen, sondern sich noch immer mehr an¬ zuklagen --
Indes sahe er doch so viel ein, daß die Wuth, Romanen und Komödien zu lesen und zu sehen, die nächste Veranlassung seines gegenwärtigen Zustandes war -- aber wodurch ihm das Lesen von Romanen und Komödien zu einem so noth¬ wendigen Bedürfniß geworden war -- alle die Schmach, und die Verachtung, wodurch er schon von seiner Kindheit aus der wirklichen, in eine idealischen Welt verdrängt worden war -- darauf zurückzugehen hatte seine Denkkraft da¬ mals noch nicht Stärke genug, darum machte er sich nun selbst unbilligere Vorwürfe, als ihm vielleicht irgend ein anderer würde gemacht ha¬ ben -- in manchen Stunden verachtete er sich
kann, abgefaßt, und war doch nichts weni¬ ger, als Heuchelei —
Reiſer hielt ſich wirklich damals fuͤr ein Un¬ geheuer von Bosheit und Undankbarkeit; und ſchrieb den ganzen Brief an den Paſtor M. . . mit einer Erbitterung gegen ſich ſelbſt nieder, wie ſie vielleicht nur bei irgend einem Menſchen moͤglich iſt — — er dachte nicht daran, ſich zu entſchuldigen, ſondern ſich noch immer mehr an¬ zuklagen —
Indes ſahe er doch ſo viel ein, daß die Wuth, Romanen und Komoͤdien zu leſen und zu ſehen, die naͤchſte Veranlaſſung ſeines gegenwaͤrtigen Zuſtandes war — aber wodurch ihm das Leſen von Romanen und Komoͤdien zu einem ſo noth¬ wendigen Beduͤrfniß geworden war — alle die Schmach, und die Verachtung, wodurch er ſchon von ſeiner Kindheit aus der wirklichen, in eine idealiſchen Welt verdraͤngt worden war — darauf zuruͤckzugehen hatte ſeine Denkkraft da¬ mals noch nicht Staͤrke genug, darum machte er ſich nun ſelbſt unbilligere Vorwuͤrfe, als ihm vielleicht irgend ein anderer wuͤrde gemacht ha¬ ben — in manchen Stunden verachtete er ſich
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kann, abgefaßt, und war doch nichts weni¬
ger, als Heuchelei —
Reiſer hielt ſich wirklich damals fuͤr ein Un¬
geheuer von Bosheit und Undankbarkeit; und
ſchrieb den ganzen Brief an den Paſtor M. . .
mit einer Erbitterung gegen ſich ſelbſt nieder, wie
ſie vielleicht nur bei irgend einem Menſchen
moͤglich iſt — — er dachte nicht daran, ſich zu
entſchuldigen, ſondern ſich noch immer mehr an¬
zuklagen —
Indes ſahe er doch ſo viel ein, daß die Wuth,
Romanen und Komoͤdien zu leſen und zu ſehen,
die naͤchſte Veranlaſſung ſeines gegenwaͤrtigen
Zuſtandes war — aber wodurch ihm das Leſen
von Romanen und Komoͤdien zu einem ſo noth¬
wendigen Beduͤrfniß geworden war — alle
die Schmach, und die Verachtung, wodurch er
ſchon von ſeiner Kindheit aus der wirklichen, in
eine idealiſchen Welt verdraͤngt worden war —
darauf zuruͤckzugehen hatte ſeine Denkkraft da¬
mals noch nicht Staͤrke genug, darum machte er
ſich nun ſelbſt unbilligere Vorwuͤrfe, als ihm
vielleicht irgend ein anderer wuͤrde gemacht ha¬
ben — in manchen Stunden verachtete er ſich
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/12>, abgerufen am 22.07.2024.
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