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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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wenn etwa in der Schule Examen war, oder
wenn er zum Abendmahl ging, anziehen.

Was ihn aber von allen Demüthigungen die
er erlitt am meisten kränkte, und was er der Frau
F. . . nie hat vergessen können, war eine unge¬
rechte Beschuldigung, die ihm bis in die Seele
schmerzte, und die er doch durch keine Beweise
von sich ablehnen konnte.

Die Frau F. . ., hatte ein kleines Mädchen
von etwa 3 bis 4 Jahren von einer ihrer Anver¬
wandtinnen zu sich genommen. Diesem Kinde
dachte sie zu Weihnachten eine überraschende Freude
zu machen und hatte zu dem Ende einen Baum mit
Lichtern aufgepuzt, und mit Rosinen und Man¬
deln behangen. Reiser blieb allein in der Stube,
während die Frau F. . . in die Kammer ging, um
das Kind zu hohlen. Nun fügte es sich, da sie wie¬
der hereinkam, daß vermuthlich durch die Bewe¬
gung der Thüre, der Baum mit allen Lichtern
umfiel, und Reiser in demselben Augenblick hin¬
zulief, um ihn aufrecht zu erhalten, da dieß aber
nicht gehen wollte, sogleich wieder seine Hand
davon abzog, welches nun gerade so aussahe, als
ob er sich die ganze Zeit über mit dem Baum be¬

wenn etwa in der Schule Examen war, oder
wenn er zum Abendmahl ging, anziehen.

Was ihn aber von allen Demuͤthigungen die
er erlitt am meiſten kraͤnkte, und was er der Frau
F. . . nie hat vergeſſen koͤnnen, war eine unge¬
rechte Beſchuldigung, die ihm bis in die Seele
ſchmerzte, und die er doch durch keine Beweiſe
von ſich ablehnen konnte.

Die Frau F. . ., hatte ein kleines Maͤdchen
von etwa 3 bis 4 Jahren von einer ihrer Anver¬
wandtinnen zu ſich genommen. Dieſem Kinde
dachte ſie zu Weihnachten eine uͤberraſchende Freude
zu machen und hatte zu dem Ende einen Baum mit
Lichtern aufgepuzt, und mit Roſinen und Man¬
deln behangen. Reiſer blieb allein in der Stube,
waͤhrend die Frau F. . . in die Kammer ging, um
das Kind zu hohlen. Nun fuͤgte es ſich, da ſie wie¬
der hereinkam, daß vermuthlich durch die Bewe¬
gung der Thuͤre, der Baum mit allen Lichtern
umfiel, und Reiſer in demſelben Augenblick hin¬
zulief, um ihn aufrecht zu erhalten, da dieß aber
nicht gehen wollte, ſogleich wieder ſeine Hand
davon abzog, welches nun gerade ſo ausſahe, als
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[74/0084] wenn etwa in der Schule Examen war, oder wenn er zum Abendmahl ging, anziehen. Was ihn aber von allen Demuͤthigungen die er erlitt am meiſten kraͤnkte, und was er der Frau F. . . nie hat vergeſſen koͤnnen, war eine unge¬ rechte Beſchuldigung, die ihm bis in die Seele ſchmerzte, und die er doch durch keine Beweiſe von ſich ablehnen konnte. Die Frau F. . ., hatte ein kleines Maͤdchen von etwa 3 bis 4 Jahren von einer ihrer Anver¬ wandtinnen zu ſich genommen. Dieſem Kinde dachte ſie zu Weihnachten eine uͤberraſchende Freude zu machen und hatte zu dem Ende einen Baum mit Lichtern aufgepuzt, und mit Roſinen und Man¬ deln behangen. Reiſer blieb allein in der Stube, waͤhrend die Frau F. . . in die Kammer ging, um das Kind zu hohlen. Nun fuͤgte es ſich, da ſie wie¬ der hereinkam, daß vermuthlich durch die Bewe¬ gung der Thuͤre, der Baum mit allen Lichtern umfiel, und Reiſer in demſelben Augenblick hin¬ zulief, um ihn aufrecht zu erhalten, da dieß aber nicht gehen wollte, ſogleich wieder ſeine Hand davon abzog, welches nun gerade ſo ausſahe, als ob er ſich die ganze Zeit uͤber mit dem Baum be¬

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/84>, abgerufen am 27.04.2024.