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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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ordnung gegen einander -- die schönsten darunter
zeichnete er durch Buchstaben und Figuren, die er
mit Dinte darauf mahlte, von den übrigen aus,
und machte sie zu Heerführern -- dann nahm er
einen Hammer, und stellte mit zugemachten Au¬
gen das blinde Verhängniß vor, indem er den
Hammer bald hie, bald dorthin fallen ließ --
wenn er dann die Augen wieder eröfnete, so sah
er mit einem geheimen Wohlgefallen, die schrek¬
liche Verwüstung, wie hier ein Held und dort
einer mitten unter dem unrühmlichen Haufen ge¬
fallen war, und zerschmettert da lag -- dann
wog er das Schicksal der beiden Heere gegen ein¬
ander ab, und zählte von beiden die Gebliebenen.
So beschäftigte er sich oft den halben Tag --
und seine ohnmächtige kindische Rache am Schick¬
sal, das ihn zerstörte, schuf sich auf die Art eine
Welt, die er wieder nach Gefallen zerstören
konnte -- so kindisch und lächerlich dieses Spiel
jedem Zuschauer würde geschienen haben, so war
es doch im Grunde das fürchterlichste Resultat
der höchsten Verzweiflung die vielleicht nur je
durch die Verkettung der Dinge bei einem Sterb¬
lichen bewirkt wurde. --

ordnung gegen einander — die ſchoͤnſten darunter
zeichnete er durch Buchſtaben und Figuren, die er
mit Dinte darauf mahlte, von den uͤbrigen aus,
und machte ſie zu Heerfuͤhrern — dann nahm er
einen Hammer, und ſtellte mit zugemachten Au¬
gen das blinde Verhaͤngniß vor, indem er den
Hammer bald hie, bald dorthin fallen ließ —
wenn er dann die Augen wieder eroͤfnete, ſo ſah
er mit einem geheimen Wohlgefallen, die ſchrek¬
liche Verwuͤſtung, wie hier ein Held und dort
einer mitten unter dem unruͤhmlichen Haufen ge¬
fallen war, und zerſchmettert da lag — dann
wog er das Schickſal der beiden Heere gegen ein¬
ander ab, und zaͤhlte von beiden die Gebliebenen.
So beſchaͤftigte er ſich oft den halben Tag —
und ſeine ohnmaͤchtige kindiſche Rache am Schick¬
ſal, das ihn zerſtoͤrte, ſchuf ſich auf die Art eine
Welt, die er wieder nach Gefallen zerſtoͤren
konnte — ſo kindiſch und laͤcherlich dieſes Spiel
jedem Zuſchauer wuͤrde geſchienen haben, ſo war
es doch im Grunde das fuͤrchterlichſte Reſultat
der hoͤchſten Verzweiflung die vielleicht nur je
durch die Verkettung der Dinge bei einem Sterb¬
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[176/0186] ordnung gegen einander — die ſchoͤnſten darunter zeichnete er durch Buchſtaben und Figuren, die er mit Dinte darauf mahlte, von den uͤbrigen aus, und machte ſie zu Heerfuͤhrern — dann nahm er einen Hammer, und ſtellte mit zugemachten Au¬ gen das blinde Verhaͤngniß vor, indem er den Hammer bald hie, bald dorthin fallen ließ — wenn er dann die Augen wieder eroͤfnete, ſo ſah er mit einem geheimen Wohlgefallen, die ſchrek¬ liche Verwuͤſtung, wie hier ein Held und dort einer mitten unter dem unruͤhmlichen Haufen ge¬ fallen war, und zerſchmettert da lag — dann wog er das Schickſal der beiden Heere gegen ein¬ ander ab, und zaͤhlte von beiden die Gebliebenen. So beſchaͤftigte er ſich oft den halben Tag — und ſeine ohnmaͤchtige kindiſche Rache am Schick¬ ſal, das ihn zerſtoͤrte, ſchuf ſich auf die Art eine Welt, die er wieder nach Gefallen zerſtoͤren konnte — ſo kindiſch und laͤcherlich dieſes Spiel jedem Zuſchauer wuͤrde geſchienen haben, ſo war es doch im Grunde das fuͤrchterlichſte Reſultat der hoͤchſten Verzweiflung die vielleicht nur je durch die Verkettung der Dinge bei einem Sterb¬ lichen bewirkt wurde. —

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/186>, abgerufen am 25.11.2024.