Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Er hätte in der That nicht schwermüthiger
seyn können, als er es jetzt war, wenn er auch
alles das vorausgewußt hätte, was ihm von nun
an in diesem Orte seines Aufenthalts noch begeg¬
nen sollte -- War aber schon vor einem Jahre,
da er auch von seinen Eltern nach H... wieder
zurückkehrte seine Traurigkeit nicht ohne Grund
gewesen, so war sie es dießmal noch viel weniger,
da ihm einer der schrecklichsten Zeitpunkte in sei¬
nem Leben bevorstand.--

Ohne indes eine Ahndungskraft bei ihm vor¬
auszusetzen, ließ sich seine Schwermuth sehr na¬
türlich erklären -- wenn man erwägt, daß seine
Einbildungskraft jeden engsten Kreis, seines
eigentlichen wirklichen Daseyns, worin er nun
wieder versetzt werden sollte, schnell durchlief:
die Schule, das Chor, das Haus des Rektors --
in diesen Kreisen, wovon ihn immer einer noch
mehr wie der andre einengte und alle seine
Strebekraft hemmte, sollte er sich von nun an
wieder drehen -- -- wie gern hätte er in die¬
sem Augenblick seinen ganzen Aufenthalt in H...
gegen den dunkelsten Kerker vertauscht, der ge¬
wiß weit weniger Fürchterliches und Schreckli¬

Er haͤtte in der That nicht ſchwermuͤthiger
ſeyn koͤnnen, als er es jetzt war, wenn er auch
alles das vorausgewußt haͤtte, was ihm von nun
an in dieſem Orte ſeines Aufenthalts noch begeg¬
nen ſollte — War aber ſchon vor einem Jahre,
da er auch von ſeinen Eltern nach H... wieder
zuruͤckkehrte ſeine Traurigkeit nicht ohne Grund
geweſen, ſo war ſie es dießmal noch viel weniger,
da ihm einer der ſchrecklichſten Zeitpunkte in ſei¬
nem Leben bevorſtand.—

Ohne indes eine Ahndungskraft bei ihm vor¬
auszuſetzen, ließ ſich ſeine Schwermuth ſehr na¬
tuͤrlich erklaͤren — wenn man erwaͤgt, daß ſeine
Einbildungskraft jeden engſten Kreis, ſeines
eigentlichen wirklichen Daſeyns, worin er nun
wieder verſetzt werden ſollte, ſchnell durchlief:
die Schule, das Chor, das Haus des Rektors —
in dieſen Kreiſen, wovon ihn immer einer noch
mehr wie der andre einengte und alle ſeine
Strebekraft hemmte, ſollte er ſich von nun an
wieder drehen — — wie gern haͤtte er in die¬
ſem Augenblick ſeinen ganzen Aufenthalt in H...
gegen den dunkelſten Kerker vertauſcht, der ge¬
wiß weit weniger Fuͤrchterliches und Schreckli¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0167" n="157"/>
      <p>Er ha&#x0364;tte in der That nicht &#x017F;chwermu&#x0364;thiger<lb/>
&#x017F;eyn ko&#x0364;nnen, als er es jetzt war, wenn er auch<lb/>
alles das vorausgewußt ha&#x0364;tte, was ihm von nun<lb/>
an in die&#x017F;em Orte &#x017F;eines Aufenthalts noch begeg¬<lb/>
nen &#x017F;ollte &#x2014; War aber &#x017F;chon vor einem Jahre,<lb/>
da er auch von &#x017F;einen Eltern nach H... wieder<lb/>
zuru&#x0364;ckkehrte &#x017F;eine Traurigkeit nicht ohne Grund<lb/>
gewe&#x017F;en, &#x017F;o war &#x017F;ie es dießmal noch viel weniger,<lb/>
da ihm einer der &#x017F;chrecklich&#x017F;ten Zeitpunkte in &#x017F;ei¬<lb/>
nem Leben bevor&#x017F;tand.&#x2014;</p><lb/>
      <p>Ohne indes eine Ahndungskraft bei ihm vor¬<lb/>
auszu&#x017F;etzen, ließ &#x017F;ich &#x017F;eine Schwermuth &#x017F;ehr na¬<lb/>
tu&#x0364;rlich erkla&#x0364;ren &#x2014; wenn man erwa&#x0364;gt, daß &#x017F;eine<lb/>
Einbildungskraft jeden eng&#x017F;ten Kreis, &#x017F;eines<lb/>
eigentlichen wirklichen Da&#x017F;eyns, worin er nun<lb/>
wieder ver&#x017F;etzt werden &#x017F;ollte, &#x017F;chnell durchlief:<lb/>
die Schule, das Chor, das Haus des Rektors &#x2014;<lb/>
in die&#x017F;en Krei&#x017F;en, wovon ihn immer einer noch<lb/>
mehr wie der andre <hi rendition="#fr">einengte</hi> und alle &#x017F;eine<lb/>
Strebekraft <hi rendition="#fr">hemmte</hi>, &#x017F;ollte er &#x017F;ich von nun an<lb/>
wieder drehen &#x2014; &#x2014; wie gern ha&#x0364;tte er in die¬<lb/>
&#x017F;em Augenblick &#x017F;einen ganzen Aufenthalt in H...<lb/>
gegen den dunkel&#x017F;ten Kerker vertau&#x017F;cht, der ge¬<lb/>
wiß weit weniger Fu&#x0364;rchterliches und Schreckli¬<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0167] Er haͤtte in der That nicht ſchwermuͤthiger ſeyn koͤnnen, als er es jetzt war, wenn er auch alles das vorausgewußt haͤtte, was ihm von nun an in dieſem Orte ſeines Aufenthalts noch begeg¬ nen ſollte — War aber ſchon vor einem Jahre, da er auch von ſeinen Eltern nach H... wieder zuruͤckkehrte ſeine Traurigkeit nicht ohne Grund geweſen, ſo war ſie es dießmal noch viel weniger, da ihm einer der ſchrecklichſten Zeitpunkte in ſei¬ nem Leben bevorſtand.— Ohne indes eine Ahndungskraft bei ihm vor¬ auszuſetzen, ließ ſich ſeine Schwermuth ſehr na¬ tuͤrlich erklaͤren — wenn man erwaͤgt, daß ſeine Einbildungskraft jeden engſten Kreis, ſeines eigentlichen wirklichen Daſeyns, worin er nun wieder verſetzt werden ſollte, ſchnell durchlief: die Schule, das Chor, das Haus des Rektors — in dieſen Kreiſen, wovon ihn immer einer noch mehr wie der andre einengte und alle ſeine Strebekraft hemmte, ſollte er ſich von nun an wieder drehen — — wie gern haͤtte er in die¬ ſem Augenblick ſeinen ganzen Aufenthalt in H... gegen den dunkelſten Kerker vertauſcht, der ge¬ wiß weit weniger Fuͤrchterliches und Schreckli¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/167
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/167>, abgerufen am 23.11.2024.