Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

zes -- er hörte und sahe nicht mehr, was um
ihn her vorging, und ließ alles mit sich machen,
was man wollte, so daß er in dem Zustande ein
würdiger Gegenstand des Spottes und der Ver¬
achtung zu seyn schien.

Was Wunder, wenn er am Ende durch diese
fortgesetzte Behandlung würklich niederträchtig
gesinnt geworden wäre -- Aber er fühlte noch
immer Kraft geung in sich, in gewissen Stunden,
sich ganz aus seiner wirklichen Welt zu verse¬
tzen. -- Das war es, was ihn aufrecht erhielt
-- Wenn seine Seele durch tausend Demüthi¬
gungen in seiner wirklichen Welt erniedrigt war,
so übte er sich wieder in den edlen Gesinnungen
der Großmuth, Entschlossenheit, Uneigennützig¬
keit und Standhaftigkeit, so oft er irgend ei¬
nen Roman, oder heroisches Drama durchlaß
oder durchdachte. -- Oft träumte er sich auf
die Weise über allen Kummer der Erde hinaus,
in heitre Scenen hin, wenn er vom Frost er¬
starrt, im Chore sang, und verphantasierte so
manche Stunde, wo denn gewisse Melodien,
die er hörte und mitsang, seinen Traum
oft fortpflanzen halfen. -- Nichts klang ihm

zes — er hoͤrte und ſahe nicht mehr, was um
ihn her vorging, und ließ alles mit ſich machen,
was man wollte, ſo daß er in dem Zuſtande ein
wuͤrdiger Gegenſtand des Spottes und der Ver¬
achtung zu ſeyn ſchien.

Was Wunder, wenn er am Ende durch dieſe
fortgeſetzte Behandlung wuͤrklich niedertraͤchtig
geſinnt geworden waͤre — Aber er fuͤhlte noch
immer Kraft geung in ſich, in gewiſſen Stunden,
ſich ganz aus ſeiner wirklichen Welt zu verſe¬
tzen. — Das war es, was ihn aufrecht erhielt
— Wenn ſeine Seele durch tauſend Demuͤthi¬
gungen in ſeiner wirklichen Welt erniedrigt war,
ſo uͤbte er ſich wieder in den edlen Geſinnungen
der Großmuth, Entſchloſſenheit, Uneigennuͤtzig¬
keit und Standhaftigkeit, ſo oft er irgend ei¬
nen Roman, oder heroiſches Drama durchlaß
oder durchdachte. — Oft traͤumte er ſich auf
die Weiſe uͤber allen Kummer der Erde hinaus,
in heitre Scenen hin, wenn er vom Froſt er¬
ſtarrt, im Chore ſang, und verphantaſierte ſo
manche Stunde, wo denn gewiſſe Melodien,
die er hoͤrte und mitſang, ſeinen Traum
oft fortpflanzen halfen. — Nichts klang ihm

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0130" n="120"/>
zes &#x2014; er ho&#x0364;rte und &#x017F;ahe nicht mehr, was um<lb/>
ihn her vorging, und ließ alles mit &#x017F;ich machen,<lb/>
was man wollte, &#x017F;o daß er in dem Zu&#x017F;tande ein<lb/>
wu&#x0364;rdiger Gegen&#x017F;tand des Spottes und der Ver¬<lb/>
achtung zu &#x017F;eyn &#x017F;chien.</p><lb/>
      <p>Was Wunder, wenn er am Ende durch die&#x017F;e<lb/>
fortge&#x017F;etzte Behandlung wu&#x0364;rklich niedertra&#x0364;chtig<lb/>
ge&#x017F;innt geworden wa&#x0364;re &#x2014; Aber er fu&#x0364;hlte noch<lb/>
immer Kraft geung in &#x017F;ich, in gewi&#x017F;&#x017F;en Stunden,<lb/>
&#x017F;ich ganz aus &#x017F;einer wirklichen Welt zu ver&#x017F;<lb/>
tzen. &#x2014; Das war es, was ihn aufrecht erhielt<lb/>
&#x2014; Wenn &#x017F;eine Seele durch tau&#x017F;end Demu&#x0364;thi¬<lb/>
gungen in &#x017F;einer wirklichen Welt erniedrigt war,<lb/>
&#x017F;o u&#x0364;bte er &#x017F;ich wieder in den edlen Ge&#x017F;innungen<lb/>
der Großmuth, Ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit, Uneigennu&#x0364;tzig¬<lb/>
keit und Standhaftigkeit, &#x017F;o oft er irgend ei¬<lb/>
nen Roman, oder heroi&#x017F;ches Drama durchlaß<lb/>
oder durchdachte. &#x2014; Oft tra&#x0364;umte er &#x017F;ich auf<lb/>
die Wei&#x017F;e u&#x0364;ber allen Kummer der Erde hinaus,<lb/>
in heitre Scenen hin, wenn er vom Fro&#x017F;t er¬<lb/>
&#x017F;tarrt, im Chore &#x017F;ang, und verphanta&#x017F;ierte &#x017F;o<lb/>
manche Stunde, wo denn gewi&#x017F;&#x017F;e Melodien,<lb/>
die er ho&#x0364;rte und mit&#x017F;ang, &#x017F;einen Traum<lb/>
oft fortpflanzen halfen. &#x2014; Nichts klang ihm<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0130] zes — er hoͤrte und ſahe nicht mehr, was um ihn her vorging, und ließ alles mit ſich machen, was man wollte, ſo daß er in dem Zuſtande ein wuͤrdiger Gegenſtand des Spottes und der Ver¬ achtung zu ſeyn ſchien. Was Wunder, wenn er am Ende durch dieſe fortgeſetzte Behandlung wuͤrklich niedertraͤchtig geſinnt geworden waͤre — Aber er fuͤhlte noch immer Kraft geung in ſich, in gewiſſen Stunden, ſich ganz aus ſeiner wirklichen Welt zu verſe¬ tzen. — Das war es, was ihn aufrecht erhielt — Wenn ſeine Seele durch tauſend Demuͤthi¬ gungen in ſeiner wirklichen Welt erniedrigt war, ſo uͤbte er ſich wieder in den edlen Geſinnungen der Großmuth, Entſchloſſenheit, Uneigennuͤtzig¬ keit und Standhaftigkeit, ſo oft er irgend ei¬ nen Roman, oder heroiſches Drama durchlaß oder durchdachte. — Oft traͤumte er ſich auf die Weiſe uͤber allen Kummer der Erde hinaus, in heitre Scenen hin, wenn er vom Froſt er¬ ſtarrt, im Chore ſang, und verphantaſierte ſo manche Stunde, wo denn gewiſſe Melodien, die er hoͤrte und mitſang, ſeinen Traum oft fortpflanzen halfen. — Nichts klang ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/130
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/130>, abgerufen am 03.05.2024.