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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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Nun hatte Reiser gleich am dritten Morgen,
während daß ein Primaner von dem untern Ka¬
theder ein geschriebnes Gebet ablaß, da ihm,
sein Nachbar etwas sagte, eine lächelnde Mie¬
ne gemacht, und da er sahe, daß er vom Direk¬
tor bemerkt wurde, diese Mine plötzlich in eine
ernsthafte zu verwandeln gesucht -- Und der
Eindruck, welcher noch von dem Blattumschla¬
gen in seiner Seele zurück geblieben war, mach¬
te, daß diese plötzliche Veränderung seiner Mie¬
ne, nicht im mindesten auf eine edle, sondern
vielmehr höchst mißtrauische, gemeine, und skla¬
vische Furcht verrathende Art geschahe, woraus
der Direktor mit einem Blick des Zorns und der
Verachtung, den er währendem Gebet auf Rei¬
sern warf, seine niedrige, gemeine Denkungs¬
art zu schließen schien. -- Ein solcher Blick
vom Direktor war schon etwas, das allgemeine
Aufmerksamkeit zu erregen pflegte. -- Da nun
aber das Gebet vorbei war, so sagte er Reisern
ein paar Worte über das Niederträchtige in sei¬
ner Mine, welche diesen auf einmal der Ver¬
achtung der ganzen Klasse aussetzten, den die Aus¬
sprüche des Direktors Orakel waren.

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Nun hatte Reiſer gleich am dritten Morgen,
waͤhrend daß ein Primaner von dem untern Ka¬
theder ein geſchriebnes Gebet ablaß, da ihm,
ſein Nachbar etwas ſagte, eine laͤchelnde Mie¬
ne gemacht, und da er ſahe, daß er vom Direk¬
tor bemerkt wurde, dieſe Mine ploͤtzlich in eine
ernſthafte zu verwandeln geſucht — Und der
Eindruck, welcher noch von dem Blattumſchla¬
gen in ſeiner Seele zuruͤck geblieben war, mach¬
te, daß dieſe ploͤtzliche Veraͤnderung ſeiner Mie¬
ne, nicht im mindeſten auf eine edle, ſondern
vielmehr hoͤchſt mißtrauiſche, gemeine, und ſkla¬
viſche Furcht verrathende Art geſchahe, woraus
der Direktor mit einem Blick des Zorns und der
Verachtung, den er waͤhrendem Gebet auf Rei¬
ſern warf, ſeine niedrige, gemeine Denkungs¬
art zu ſchließen ſchien. — Ein ſolcher Blick
vom Direktor war ſchon etwas, das allgemeine
Aufmerkſamkeit zu erregen pflegte. — Da nun
aber das Gebet vorbei war, ſo ſagte er Reiſern
ein paar Worte uͤber das Niedertraͤchtige in ſei¬
ner Mine, welche dieſen auf einmal der Ver¬
achtung der ganzen Klaſſe ausſetzten, den die Aus¬
ſpruͤche des Direktors Orakel waren.

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[117/0127] Nun hatte Reiſer gleich am dritten Morgen, waͤhrend daß ein Primaner von dem untern Ka¬ theder ein geſchriebnes Gebet ablaß, da ihm, ſein Nachbar etwas ſagte, eine laͤchelnde Mie¬ ne gemacht, und da er ſahe, daß er vom Direk¬ tor bemerkt wurde, dieſe Mine ploͤtzlich in eine ernſthafte zu verwandeln geſucht — Und der Eindruck, welcher noch von dem Blattumſchla¬ gen in ſeiner Seele zuruͤck geblieben war, mach¬ te, daß dieſe ploͤtzliche Veraͤnderung ſeiner Mie¬ ne, nicht im mindeſten auf eine edle, ſondern vielmehr hoͤchſt mißtrauiſche, gemeine, und ſkla¬ viſche Furcht verrathende Art geſchahe, woraus der Direktor mit einem Blick des Zorns und der Verachtung, den er waͤhrendem Gebet auf Rei¬ ſern warf, ſeine niedrige, gemeine Denkungs¬ art zu ſchließen ſchien. — Ein ſolcher Blick vom Direktor war ſchon etwas, das allgemeine Aufmerkſamkeit zu erregen pflegte. — Da nun aber das Gebet vorbei war, ſo ſagte er Reiſern ein paar Worte uͤber das Niedertraͤchtige in ſei¬ ner Mine, welche dieſen auf einmal der Ver¬ achtung der ganzen Klaſſe ausſetzten, den die Aus¬ ſpruͤche des Direktors Orakel waren. H 3

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/127>, abgerufen am 28.11.2024.