unschuldigsten Freuden seiner Jugend verbitterte, und es doch in dem andern nie weit brachte.
Dies beständige Hin- und Herschwanken ist zugleich ein Bild von dem ganzen Lebenslaufe seines Vaters, dem es im funfzigsten Jahre seines Lebens noch nicht besser ging, und der doch immer noch das Rechte zu finden hoffte, wornach er so lange vergeblich gestrebt hatte.
Mit Anton war es anfänglich ziemlich gut gegangen: allein seitdem er kein Latein mehr lernen sollte, litte seine Frömmigkeit einen großen Stoß; sie war nichts, als ein ängstli¬ ches, gezwungenes Wesen, und es wollte nie recht mit ihm fort.
Er las darauf irgendwo, wie unnütz und schädlich das Selbstbessern sey, und daß man sich bloß leidend verhalten, und die göttliche Gnade in sich würken lassen müsse: er betete daher oft sehr aufrichtig: Herr bekehre du mich, so werde ich bekehret! aber alles war vergeblich.
Sein Vater reiste diesen Sommer wieder nach P., und Anton schrieb ihm, wie schlecht es mit dem Selbstbessern vorwärts ginge, und
unſchuldigſten Freuden ſeiner Jugend verbitterte, und es doch in dem andern nie weit brachte.
Dies beſtaͤndige Hin- und Herſchwanken iſt zugleich ein Bild von dem ganzen Lebenslaufe ſeines Vaters, dem es im funfzigſten Jahre ſeines Lebens noch nicht beſſer ging, und der doch immer noch das Rechte zu finden hoffte, wornach er ſo lange vergeblich geſtrebt hatte.
Mit Anton war es anfaͤnglich ziemlich gut gegangen: allein ſeitdem er kein Latein mehr lernen ſollte, litte ſeine Froͤmmigkeit einen großen Stoß; ſie war nichts, als ein aͤngſtli¬ ches, gezwungenes Weſen, und es wollte nie recht mit ihm fort.
Er las darauf irgendwo, wie unnuͤtz und ſchaͤdlich das Selbſtbeſſern ſey, und daß man ſich bloß leidend verhalten, und die goͤttliche Gnade in ſich wuͤrken laſſen muͤſſe: er betete daher oft ſehr aufrichtig: Herr bekehre du mich, ſo werde ich bekehret! aber alles war vergeblich.
Sein Vater reiſte dieſen Sommer wieder nach P., und Anton ſchrieb ihm, wie ſchlecht es mit dem Selbſtbeſſern vorwaͤrts ginge, und
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unſchuldigſten Freuden ſeiner Jugend verbitterte,
und es doch in dem andern nie weit brachte.
Dies beſtaͤndige Hin- und Herſchwanken iſt
zugleich ein Bild von dem ganzen Lebenslaufe
ſeines Vaters, dem es im funfzigſten Jahre
ſeines Lebens noch nicht beſſer ging, und der
doch immer noch das Rechte zu finden hoffte,
wornach er ſo lange vergeblich geſtrebt hatte.
Mit Anton war es anfaͤnglich ziemlich gut
gegangen: allein ſeitdem er kein Latein mehr
lernen ſollte, litte ſeine Froͤmmigkeit einen
großen Stoß; ſie war nichts, als ein aͤngſtli¬
ches, gezwungenes Weſen, und es wollte nie
recht mit ihm fort.
Er las darauf irgendwo, wie unnuͤtz und
ſchaͤdlich das Selbſtbeſſern ſey, und daß man
ſich bloß leidend verhalten, und die goͤttliche
Gnade in ſich wuͤrken laſſen muͤſſe: er betete
daher oft ſehr aufrichtig: Herr bekehre du mich,
ſo werde ich bekehret! aber alles war vergeblich.
Sein Vater reiſte dieſen Sommer wieder
nach P., und Anton ſchrieb ihm, wie ſchlecht
es mit dem Selbſtbeſſern vorwaͤrts ginge, und
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/84>, abgerufen am 17.06.2024.
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