Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.der einzelnen Laute durch die Sprachwerkzeuge: Durch das Lesen war ihm nun auf einmal So ward er schon früh aus der natürlichen Schon im achten Jahre bekam er eine Art von Ernst¬
der einzelnen Laute durch die Sprachwerkzeuge: Durch das Leſen war ihm nun auf einmal So ward er ſchon fruͤh aus der natuͤrlichen Schon im achten Jahre bekam er eine Art von Ernſt¬
<TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0026" n="16"/> der einzelnen Laute durch die Sprachwerkzeuge:<lb/> ſo trocken ihm dieſes ſchien, ſo las er es doch<lb/> aus Mangel an etwas beſſern, mit der groͤßten<lb/> Standhaftigkeit, nach der Reihe durch.</p><lb/> <p>Durch das Leſen war ihm nun auf einmal<lb/> eine neue Welt eroͤfnet, in deren Genuß er ſich<lb/> fuͤr alle das Unangenehme in ſeiner wirklichen<lb/> Welt einigermaßen entſchaͤdigen konnte. Wenn<lb/> nun rund um ihn her nichts als Lermen und<lb/> Schelten und haͤusliche Zwietracht herrſchte,<lb/> oder er ſich vergeblich nach einem Geſpielen um¬<lb/> ſah, ſo eilte er hin zu ſeinem Buche.</p><lb/> <p>So ward er ſchon fruͤh aus der natuͤrlichen<lb/> Kinderwelt in eine unnatuͤrliche idealiſche Welt<lb/> verdraͤngt, wo ſein Geiſt fuͤr tauſend Freuden<lb/> des Lebens verſtimmt wurde, die andre mit vol¬<lb/> ler Seele genießen koͤnnen.</p><lb/> <p>Schon im achten Jahre bekam er eine Art von<lb/> auszehrender Krankheit. Man gab ihn voͤllig auf,<lb/> und er hoͤrte beſtaͤndig von ſich, wie von einem,<lb/> der ſchon wie ein Todter beobachtet wird, reden.<lb/> Dieß war ihm immer laͤcherlich, oder vielmehr<lb/> war ihm das Sterben ſelbſt, wie er ſich damals<lb/> vorſtellte, mehr etwas Laͤcherliches, als etwas<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Ernſt¬<lb/></fw> </p> </body> </text> </TEI> [16/0026]
der einzelnen Laute durch die Sprachwerkzeuge:
ſo trocken ihm dieſes ſchien, ſo las er es doch
aus Mangel an etwas beſſern, mit der groͤßten
Standhaftigkeit, nach der Reihe durch.
Durch das Leſen war ihm nun auf einmal
eine neue Welt eroͤfnet, in deren Genuß er ſich
fuͤr alle das Unangenehme in ſeiner wirklichen
Welt einigermaßen entſchaͤdigen konnte. Wenn
nun rund um ihn her nichts als Lermen und
Schelten und haͤusliche Zwietracht herrſchte,
oder er ſich vergeblich nach einem Geſpielen um¬
ſah, ſo eilte er hin zu ſeinem Buche.
So ward er ſchon fruͤh aus der natuͤrlichen
Kinderwelt in eine unnatuͤrliche idealiſche Welt
verdraͤngt, wo ſein Geiſt fuͤr tauſend Freuden
des Lebens verſtimmt wurde, die andre mit vol¬
ler Seele genießen koͤnnen.
Schon im achten Jahre bekam er eine Art von
auszehrender Krankheit. Man gab ihn voͤllig auf,
und er hoͤrte beſtaͤndig von ſich, wie von einem,
der ſchon wie ein Todter beobachtet wird, reden.
Dieß war ihm immer laͤcherlich, oder vielmehr
war ihm das Sterben ſelbſt, wie er ſich damals
vorſtellte, mehr etwas Laͤcherliches, als etwas
Ernſt¬
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