fäule der Diana von dort nach Griechenland ent- führen würde.
Orest begab sich mit seinem getreuen Pylades auf die Reise, und als sie in Tauris anlangten, sollten sie beide oder einer von ihnen nach dem al- ten barbarischen Gebrauch, der alle Fremden traf, der Göttin geopfert werden. Hier war es, wo jeder der beiden Freunde großmüthig sein Leben für den andern darbot.
Orestes aber gab sich seiner Schwester Iphi- genie, der Priesterin Dianens zu erkennen, und diese fand ein Mittel, die Bildsäule der Diana auf ihres Bruders Schiff zu bringen, und mit ihm und seinem treuen Freunde nach Griechenland zu entfliehen. Der Orakelspruch des Apollo wurde erfüllt; Orestes ward von den quälenden Furien befreit, und herrschte ruhig zu Mycene; der Zorn der Götter über Pelops Haus schien endlich zu er- müden.
Der neue Dichter der Iphigenie auf Tauris gibt der alten Dichtung eine feine Wendung. Er läßt den Orakelspruch des Apollo, dem Orestes Ruhe verheißen, wenn er die Schwester, die wider Willen im Heiligthum zu Tauris bliebe, nach Griechenland bringen würde. Dieß mußte Orest nothwendig auf Dianen, die Schwe- ster des Apollo deuten, weil er von dem Aufent- halt seiner eignen Schwester in Tauris noch nichts
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faͤule der Diana von dort nach Griechenland ent- fuͤhren wuͤrde.
Oreſt begab ſich mit ſeinem getreuen Pylades auf die Reiſe, und als ſie in Tauris anlangten, ſollten ſie beide oder einer von ihnen nach dem al- ten barbariſchen Gebrauch, der alle Fremden traf, der Goͤttin geopfert werden. Hier war es, wo jeder der beiden Freunde großmuͤthig ſein Leben fuͤr den andern darbot.
Oreſtes aber gab ſich ſeiner Schweſter Iphi- genie, der Prieſterin Dianens zu erkennen, und dieſe fand ein Mittel, die Bildſaͤule der Diana auf ihres Bruders Schiff zu bringen, und mit ihm und ſeinem treuen Freunde nach Griechenland zu entfliehen. Der Orakelſpruch des Apollo wurde erfuͤllt; Oreſtes ward von den quaͤlenden Furien befreit, und herrſchte ruhig zu Mycene; der Zorn der Goͤtter uͤber Pelops Haus ſchien endlich zu er- muͤden.
Der neue Dichter der Iphigenie auf Tauris gibt der alten Dichtung eine feine Wendung. Er laͤßt den Orakelſpruch des Apollo, dem Oreſtes Ruhe verheißen, wenn er die Schweſter, die wider Willen im Heiligthum zu Tauris bliebe, nach Griechenland bringen wuͤrde. Dieß mußte Oreſt nothwendig auf Dianen, die Schwe- ſter des Apollo deuten, weil er von dem Aufent- halt ſeiner eignen Schweſter in Tauris noch nichts
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faͤule der Diana von dort nach Griechenland ent-
fuͤhren wuͤrde.
Oreſt begab ſich mit ſeinem getreuen Pylades
auf die Reiſe, und als ſie in Tauris anlangten,
ſollten ſie beide oder einer von ihnen nach dem al-
ten barbariſchen Gebrauch, der alle Fremden traf,
der Goͤttin geopfert werden. Hier war es, wo
jeder der beiden Freunde großmuͤthig ſein Leben fuͤr
den andern darbot.
Oreſtes aber gab ſich ſeiner Schweſter Iphi-
genie, der Prieſterin Dianens zu erkennen, und
dieſe fand ein Mittel, die Bildſaͤule der Diana
auf ihres Bruders Schiff zu bringen, und mit ihm
und ſeinem treuen Freunde nach Griechenland zu
entfliehen. Der Orakelſpruch des Apollo wurde
erfuͤllt; Oreſtes ward von den quaͤlenden Furien
befreit, und herrſchte ruhig zu Mycene; der Zorn
der Goͤtter uͤber Pelops Haus ſchien endlich zu er-
muͤden.
Der neue Dichter der Iphigenie auf Tauris
gibt der alten Dichtung eine feine Wendung. Er
laͤßt den Orakelſpruch des Apollo, dem Oreſtes
Ruhe verheißen, wenn er die Schweſter, die
wider Willen im Heiligthum zu Tauris bliebe,
nach Griechenland bringen wuͤrde. Dieß
mußte Oreſt nothwendig auf Dianen, die Schwe-
ſter des Apollo deuten, weil er von dem Aufent-
halt ſeiner eignen Schweſter in Tauris noch nichts
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/441>, abgerufen am 28.11.2024.
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