vollen Stein, dessen bei den Alten so oft Erwäh- nung geschieht, sind der Zerstörung ihre Grenzen gesetzt; die zerstörende Macht hat zum erstenmale das Leblose statt des Lebenden mit ihrer vernichten- den Gewalt ergriffen, und das Lebende und Ge- bildete hat Zeit gewonnen gleichsam verstohlner Weise sich an das Licht emporzudrängen.
Allein es ist noch vor den Verfolgungen seines allverschlingenden Ursprungs nicht gesichert. Dar- um müssen die Erzieher des Götterkindes auf der Insel Kreta, die Kureten oder Korybanten, deren Wesen und Ursprung in geheimnißvolles Dunkel gehüllt ist, mit ihren Spießen und Schil- den ein immerwährendes Getöse machen, damit Saturnus die Stimme des weinenden Kindes nicht vernehme. -- Denn die zerstörenden Kräfte lauern, das zarte Gebildete, in seinem ersten Aufkeimen, wo möglich, wieder zu zernichten.
Die Erziehung des Jupiter auf der Insel Kreta macht eines der reizendsten Bilder [d]er Phan- tasie; ihn säugt die Ziege Amalthea, welche in der Folge unter die Sterne versetzt, und ihr Horn zum Horn des Ueberflusses erhöhet wird. Die Tauben bringen ihm Nahrung, goldgefärbte Bie- nen führen ihm Honig zu, und Nymphen des Waldes sind seine Pflegerinnen.
Schnell entwickeln sich nun die Kräfte dieses künftigen Beherrschers der Götter und Menschen.
vollen Stein, deſſen bei den Alten ſo oft Erwaͤh- nung geſchieht, ſind der Zerſtoͤrung ihre Grenzen geſetzt; die zerſtoͤrende Macht hat zum erſtenmale das Lebloſe ſtatt des Lebenden mit ihrer vernichten- den Gewalt ergriffen, und das Lebende und Ge- bildete hat Zeit gewonnen gleichſam verſtohlner Weiſe ſich an das Licht emporzudraͤngen.
Allein es iſt noch vor den Verfolgungen ſeines allverſchlingenden Urſprungs nicht geſichert. Dar- um muͤſſen die Erzieher des Goͤtterkindes auf der Inſel Kreta, die Kureten oder Korybanten, deren Weſen und Urſprung in geheimnißvolles Dunkel gehuͤllt iſt, mit ihren Spießen und Schil- den ein immerwaͤhrendes Getoͤſe machen, damit Saturnus die Stimme des weinenden Kindes nicht vernehme. — Denn die zerſtoͤrenden Kraͤfte lauern, das zarte Gebildete, in ſeinem erſten Aufkeimen, wo moͤglich, wieder zu zernichten.
Die Erziehung des Jupiter auf der Inſel Kreta macht eines der reizendſten Bilder [d]er Phan- taſie; ihn ſaͤugt die Ziege Amalthea, welche in der Folge unter die Sterne verſetzt, und ihr Horn zum Horn des Ueberfluſſes erhoͤhet wird. Die Tauben bringen ihm Nahrung, goldgefaͤrbte Bie- nen fuͤhren ihm Honig zu, und Nymphen des Waldes ſind ſeine Pflegerinnen.
Schnell entwickeln ſich nun die Kraͤfte dieſes kuͤnftigen Beherrſchers der Goͤtter und Menſchen.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0038"n="18"/>
vollen Stein, deſſen bei den Alten ſo oft Erwaͤh-<lb/>
nung geſchieht, ſind der Zerſtoͤrung ihre Grenzen<lb/>
geſetzt; die zerſtoͤrende Macht hat zum erſtenmale<lb/>
das Lebloſe ſtatt des Lebenden mit ihrer vernichten-<lb/>
den Gewalt ergriffen, und das Lebende und Ge-<lb/>
bildete hat Zeit gewonnen gleichſam verſtohlner<lb/>
Weiſe ſich an das Licht emporzudraͤngen.</p><lb/><p>Allein es iſt noch vor den Verfolgungen ſeines<lb/>
allverſchlingenden Urſprungs nicht geſichert. Dar-<lb/>
um muͤſſen die Erzieher des Goͤtterkindes auf der<lb/>
Inſel Kreta, die <hirendition="#fr">Kureten</hi> oder <hirendition="#fr">Korybanten,</hi><lb/>
deren Weſen und Urſprung in geheimnißvolles<lb/>
Dunkel gehuͤllt iſt, mit ihren Spießen und Schil-<lb/>
den ein immerwaͤhrendes Getoͤſe machen, damit<lb/><hirendition="#fr">Saturnus</hi> die Stimme des weinenden Kindes<lb/>
nicht vernehme. — Denn die zerſtoͤrenden Kraͤfte<lb/>
lauern, das zarte Gebildete, in ſeinem erſten<lb/>
Aufkeimen, wo moͤglich, wieder zu zernichten.</p><lb/><p>Die Erziehung des <hirendition="#fr">Jupiter</hi> auf der Inſel<lb/>
Kreta macht eines der reizendſten Bilder <supplied>d</supplied>er Phan-<lb/>
taſie; ihn ſaͤugt die Ziege <hirendition="#fr">Amalthea,</hi> welche in<lb/>
der Folge unter die Sterne verſetzt, und ihr Horn<lb/>
zum Horn des Ueberfluſſes erhoͤhet wird. Die<lb/>
Tauben bringen ihm Nahrung, goldgefaͤrbte Bie-<lb/>
nen fuͤhren ihm Honig zu, und Nymphen des<lb/>
Waldes ſind ſeine Pflegerinnen.</p><lb/><p>Schnell entwickeln ſich nun die Kraͤfte dieſes<lb/>
kuͤnftigen Beherrſchers der Goͤtter und Menſchen.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[18/0038]
vollen Stein, deſſen bei den Alten ſo oft Erwaͤh-
nung geſchieht, ſind der Zerſtoͤrung ihre Grenzen
geſetzt; die zerſtoͤrende Macht hat zum erſtenmale
das Lebloſe ſtatt des Lebenden mit ihrer vernichten-
den Gewalt ergriffen, und das Lebende und Ge-
bildete hat Zeit gewonnen gleichſam verſtohlner
Weiſe ſich an das Licht emporzudraͤngen.
Allein es iſt noch vor den Verfolgungen ſeines
allverſchlingenden Urſprungs nicht geſichert. Dar-
um muͤſſen die Erzieher des Goͤtterkindes auf der
Inſel Kreta, die Kureten oder Korybanten,
deren Weſen und Urſprung in geheimnißvolles
Dunkel gehuͤllt iſt, mit ihren Spießen und Schil-
den ein immerwaͤhrendes Getoͤſe machen, damit
Saturnus die Stimme des weinenden Kindes
nicht vernehme. — Denn die zerſtoͤrenden Kraͤfte
lauern, das zarte Gebildete, in ſeinem erſten
Aufkeimen, wo moͤglich, wieder zu zernichten.
Die Erziehung des Jupiter auf der Inſel
Kreta macht eines der reizendſten Bilder der Phan-
taſie; ihn ſaͤugt die Ziege Amalthea, welche in
der Folge unter die Sterne verſetzt, und ihr Horn
zum Horn des Ueberfluſſes erhoͤhet wird. Die
Tauben bringen ihm Nahrung, goldgefaͤrbte Bie-
nen fuͤhren ihm Honig zu, und Nymphen des
Waldes ſind ſeine Pflegerinnen.
Schnell entwickeln ſich nun die Kraͤfte dieſes
kuͤnftigen Beherrſchers der Goͤtter und Menſchen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/38>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.