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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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Berge, die es in sich faßt, wurden in der Dichter-
sprache der Alten bedeutungsvoll, indem sie den
Aufenthalt höherer Wesen unter den sterblichen
Menschen bezeichneten.

Phrygien.

In einer Gegend von Phrygien war es, wo
nach der schönen alten Dichtung Jupiter und
Merkur unerkannt unter den Menschen umher-
wandelten und ihre Thaten prüften.

Als sie eines Abends, wie ermüdete Reisende,
eine Herberge suchten, blieben die Thüren der
Reichen und Begüterten ihnen verschlossen. --
Philemon und Baucis, ein paar bejahrte Ehe-
leute, nahmen die Wandrer gastfreundlich in
ihre arme Hütte auf.

Die alte Baucis war beschäftigt, ihre ein-
zige Gans zu greifen und zu schlachten, um die
willkommenen Gäste, so gut es in ihrem Vermö-
gen stand, zu bewirthen. -- Die Gans aber ent-
floh, und suchte Schutz unter Jupiters Füßen,
der ihr das Leben rettete; worauf die Götter sich
zu erkennen gaben, und das fromme Ehepaar auf
einen benachbarten Hügel führten, von welchem
sie die Verwüstung übersehen konnten, womit die
Götter die Hartherzigkeit der Bewohner dieser
Gegend straften.

Berge, die es in ſich faßt, wurden in der Dichter-
ſprache der Alten bedeutungsvoll, indem ſie den
Aufenthalt hoͤherer Weſen unter den ſterblichen
Menſchen bezeichneten.

Phrygien.

In einer Gegend von Phrygien war es, wo
nach der ſchoͤnen alten Dichtung Jupiter und
Merkur unerkannt unter den Menſchen umher-
wandelten und ihre Thaten pruͤften.

Als ſie eines Abends, wie ermuͤdete Reiſende,
eine Herberge ſuchten, blieben die Thuͤren der
Reichen und Beguͤterten ihnen verſchloſſen. —
Philemon und Baucis, ein paar bejahrte Ehe-
leute, nahmen die Wandrer gaſtfreundlich in
ihre arme Huͤtte auf.

Die alte Baucis war beſchaͤftigt, ihre ein-
zige Gans zu greifen und zu ſchlachten, um die
willkommenen Gaͤſte, ſo gut es in ihrem Vermoͤ-
gen ſtand, zu bewirthen. — Die Gans aber ent-
floh, und ſuchte Schutz unter Jupiters Fuͤßen,
der ihr das Leben rettete; worauf die Goͤtter ſich
zu erkennen gaben, und das fromme Ehepaar auf
einen benachbarten Huͤgel fuͤhrten, von welchem
ſie die Verwuͤſtung uͤberſehen konnten, womit die
Goͤtter die Hartherzigkeit der Bewohner dieſer
Gegend ſtraften.

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[197/0245] Berge, die es in ſich faßt, wurden in der Dichter- ſprache der Alten bedeutungsvoll, indem ſie den Aufenthalt hoͤherer Weſen unter den ſterblichen Menſchen bezeichneten. Phrygien. In einer Gegend von Phrygien war es, wo nach der ſchoͤnen alten Dichtung Jupiter und Merkur unerkannt unter den Menſchen umher- wandelten und ihre Thaten pruͤften. Als ſie eines Abends, wie ermuͤdete Reiſende, eine Herberge ſuchten, blieben die Thuͤren der Reichen und Beguͤterten ihnen verſchloſſen. — Philemon und Baucis, ein paar bejahrte Ehe- leute, nahmen die Wandrer gaſtfreundlich in ihre arme Huͤtte auf. Die alte Baucis war beſchaͤftigt, ihre ein- zige Gans zu greifen und zu ſchlachten, um die willkommenen Gaͤſte, ſo gut es in ihrem Vermoͤ- gen ſtand, zu bewirthen. — Die Gans aber ent- floh, und ſuchte Schutz unter Jupiters Fuͤßen, der ihr das Leben rettete; worauf die Goͤtter ſich zu erkennen gaben, und das fromme Ehepaar auf einen benachbarten Huͤgel fuͤhrten, von welchem ſie die Verwuͤſtung uͤberſehen konnten, womit die Goͤtter die Hartherzigkeit der Bewohner dieſer Gegend ſtraften.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/245>, abgerufen am 24.11.2024.