Spielraum hat: Jupiter, der Vater der Göt- ter und Menschen wird auf der Insel Kreta mit der Milch einer Ziege gesäugt, und von den Nymphen des Waldes erzogen.
Dadurch nun, daß in den mythologischen Dichtungen zugleich eine geheime Spur zu der ältesten verlohren gegangenen Geschichte ver- borgen liegt, werden sie ehrwürdiger, weil sie kein leeres Traumbild oder bloßes Spiel des Witzes sind, das in die Luft zerflattert, son- dern durch ihre innige Verwebung mit den ältesten Begebenheiten, ein Gewicht erhalten, wodurch ihre Auflösung in bloße Allegorie ver- hindert wird.
Die Göttergeschichte der Alten durch aller- lei Ausdeutungen zu bloßen Allegorien umbil- den zu wollen, ist ein eben so thörichtes Unter- nehmen, als wenn man diese Dichtungen durch allerlei gezwungene Erklärungen in lauter wahre Geschichte zu verwandeln sucht.
Die Hand, welche den Schleier, der diese Dichtungen bedeckt, ganz hinwegziehen will, verletzt zugleich das zarte Gewebe der Phanta- sie, und stößt alsdann statt der gehoften Ent-
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Spielraum hat: Jupiter, der Vater der Goͤt- ter und Menſchen wird auf der Inſel Kreta mit der Milch einer Ziege geſaͤugt, und von den Nymphen des Waldes erzogen.
Dadurch nun, daß in den mythologiſchen Dichtungen zugleich eine geheime Spur zu der aͤlteſten verlohren gegangenen Geſchichte ver- borgen liegt, werden ſie ehrwuͤrdiger, weil ſie kein leeres Traumbild oder bloßes Spiel des Witzes ſind, das in die Luft zerflattert, ſon- dern durch ihre innige Verwebung mit den aͤlteſten Begebenheiten, ein Gewicht erhalten, wodurch ihre Aufloͤſung in bloße Allegorie ver- hindert wird.
Die Goͤttergeſchichte der Alten durch aller- lei Ausdeutungen zu bloßen Allegorien umbil- den zu wollen, iſt ein eben ſo thoͤrichtes Unter- nehmen, als wenn man dieſe Dichtungen durch allerlei gezwungene Erklaͤrungen in lauter wahre Geſchichte zu verwandeln ſucht.
Die Hand, welche den Schleier, der dieſe Dichtungen bedeckt, ganz hinwegziehen will, verletzt zugleich das zarte Gewebe der Phanta- ſie, und ſtoͤßt alsdann ſtatt der gehoften Ent-
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Spielraum hat: Jupiter, der Vater der Goͤt-
ter und Menſchen wird auf der Inſel Kreta
mit der Milch einer Ziege geſaͤugt, und von den
Nymphen des Waldes erzogen.
Dadurch nun, daß in den mythologiſchen
Dichtungen zugleich eine geheime Spur zu der
aͤlteſten verlohren gegangenen Geſchichte ver-
borgen liegt, werden ſie ehrwuͤrdiger, weil ſie
kein leeres Traumbild oder bloßes Spiel des
Witzes ſind, das in die Luft zerflattert, ſon-
dern durch ihre innige Verwebung mit den
aͤlteſten Begebenheiten, ein Gewicht erhalten,
wodurch ihre Aufloͤſung in bloße Allegorie ver-
hindert wird.
Die Goͤttergeſchichte der Alten durch aller-
lei Ausdeutungen zu bloßen Allegorien umbil-
den zu wollen, iſt ein eben ſo thoͤrichtes Unter-
nehmen, als wenn man dieſe Dichtungen durch
allerlei gezwungene Erklaͤrungen in lauter
wahre Geſchichte zu verwandeln ſucht.
Die Hand, welche den Schleier, der dieſe
Dichtungen bedeckt, ganz hinwegziehen will,
verletzt zugleich das zarte Gewebe der Phanta-
ſie, und ſtoͤßt alsdann ſtatt der gehoften Ent-
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/23>, abgerufen am 23.11.2024.
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