Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.
Frühe von Kindheit an hatte sie gut Schweigen, Thun und Leiden gelernt, sich an der heiligen Schrift und so einfältig kernhaften Schriften, vom Leben mit Gott oder Christo in stillem Geist, sehr frühe erbaut und zu halten am besten gefunden, wie Thomas von Kempis und seines gleichen waren. Drei Jahre vor ihrem Ausgang aus diesem Hause befand sie sich einst in einem erstaunlichen Gewitter, das allen schrecklich schien, als käme der jüngste Tag. Man schien sich vor Erdbeben, Donner und Blitzschlägen fast nirgends sicher. Da war Theanthis so entschlossen, nahm ihr Wartekind auf den Arm, lief damit in den Garten des Hauses, dachte dabei: Wenn ichs gleich nicht werth bin, so mag mich doch Gott um des unschuldigen Kindes Willen erhalten, verschonen! Aber unter freiem Himmel, in ganzer Angesicht schrecklichen Gewitters von allen Seiten, übergab sie sich dem Allmächtigen auf Gnade und Ungnade, opferte sich ihm unumschränkt zu allem Möglichen auf, allen sei-
Fruͤhe von Kindheit an hatte sie gut Schweigen, Thun und Leiden gelernt, sich an der heiligen Schrift und so einfaͤltig kernhaften Schriften, vom Leben mit Gott oder Christo in stillem Geist, sehr fruͤhe erbaut und zu halten am besten gefunden, wie Thomas von Kempis und seines gleichen waren. Drei Jahre vor ihrem Ausgang aus diesem Hause befand sie sich einst in einem erstaunlichen Gewitter, das allen schrecklich schien, als kaͤme der juͤngste Tag. Man schien sich vor Erdbeben, Donner und Blitzschlaͤgen fast nirgends sicher. Da war Theanthis so entschlossen, nahm ihr Wartekind auf den Arm, lief damit in den Garten des Hauses, dachte dabei: Wenn ichs gleich nicht werth bin, so mag mich doch Gott um des unschuldigen Kindes Willen erhalten, verschonen! Aber unter freiem Himmel, in ganzer Angesicht schrecklichen Gewitters von allen Seiten, uͤbergab sie sich dem Allmaͤchtigen auf Gnade und Ungnade, opferte sich ihm unumschraͤnkt zu allem Moͤglichen auf, allen sei- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0095" n="95"/><lb/> Stuͤckchen damit auf, vor der Kammer der Koͤchin, daß sie hoͤren, aufstehen und ihm aufwarten mußte, welches sie denn auch that, mit aller Fertigkeit, aber sich von seinen vermeinten Reizen sobald zu andern Arbeiten entfernte als sie konnte. Sie bat Gott immer mehr im Herzen, sie doch aus dem Hause von der Gefahr zu erloͤsen, oder davor zu bewahren und sie in Stille zu staͤrken, daß sie alle Pflichten ehrlich erfuͤlle, ohne den Hausfrieden zu stoͤren.</p> <p>Fruͤhe von Kindheit an hatte sie gut Schweigen, Thun und Leiden gelernt, sich an der heiligen Schrift und so einfaͤltig kernhaften Schriften, vom Leben mit Gott oder Christo in stillem Geist, sehr fruͤhe erbaut und zu halten am besten gefunden, wie Thomas von Kempis und seines gleichen waren.</p> <p>Drei Jahre vor ihrem Ausgang aus diesem Hause befand sie sich einst in einem erstaunlichen Gewitter, das allen schrecklich schien, als kaͤme der juͤngste Tag. Man schien sich vor Erdbeben, Donner und Blitzschlaͤgen fast nirgends sicher. Da war Theanthis so entschlossen, nahm ihr Wartekind auf den Arm, lief damit in den Garten des Hauses, dachte dabei: Wenn ichs gleich nicht werth bin, so mag mich doch Gott um des unschuldigen Kindes Willen erhalten, verschonen! Aber unter freiem Himmel, in ganzer Angesicht schrecklichen Gewitters von allen Seiten, uͤbergab sie sich dem Allmaͤchtigen auf Gnade und Ungnade, opferte sich ihm unumschraͤnkt zu allem Moͤglichen auf, allen sei-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [95/0095]
Stuͤckchen damit auf, vor der Kammer der Koͤchin, daß sie hoͤren, aufstehen und ihm aufwarten mußte, welches sie denn auch that, mit aller Fertigkeit, aber sich von seinen vermeinten Reizen sobald zu andern Arbeiten entfernte als sie konnte. Sie bat Gott immer mehr im Herzen, sie doch aus dem Hause von der Gefahr zu erloͤsen, oder davor zu bewahren und sie in Stille zu staͤrken, daß sie alle Pflichten ehrlich erfuͤlle, ohne den Hausfrieden zu stoͤren.
Fruͤhe von Kindheit an hatte sie gut Schweigen, Thun und Leiden gelernt, sich an der heiligen Schrift und so einfaͤltig kernhaften Schriften, vom Leben mit Gott oder Christo in stillem Geist, sehr fruͤhe erbaut und zu halten am besten gefunden, wie Thomas von Kempis und seines gleichen waren.
Drei Jahre vor ihrem Ausgang aus diesem Hause befand sie sich einst in einem erstaunlichen Gewitter, das allen schrecklich schien, als kaͤme der juͤngste Tag. Man schien sich vor Erdbeben, Donner und Blitzschlaͤgen fast nirgends sicher. Da war Theanthis so entschlossen, nahm ihr Wartekind auf den Arm, lief damit in den Garten des Hauses, dachte dabei: Wenn ichs gleich nicht werth bin, so mag mich doch Gott um des unschuldigen Kindes Willen erhalten, verschonen! Aber unter freiem Himmel, in ganzer Angesicht schrecklichen Gewitters von allen Seiten, uͤbergab sie sich dem Allmaͤchtigen auf Gnade und Ungnade, opferte sich ihm unumschraͤnkt zu allem Moͤglichen auf, allen sei-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |