Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.
Es ist auch nicht zu leugnen, daß, so gegründet auch ein solcher Gottesdienst an sich seyn mag, er auch eben so sehr dem Mißbrauche unterworfen sey. Die auf die Heiterkeit des Gemüths erfolgende innere Thätigkeit, kann nur nach dem Grade der erlangten Erkenntniß Statt finden. Die Selbstzernichtung vor Gott ist nur alsdann gegründet, wenn das Erkenntnißvermögen so sehr mit seinem Gegenstande (der Größe des Gegenstandes wegen) beschäftigt ist, daß der Mensch dadurch gleichsam außer sich blos im Gegenstande existirt. Jst hingegen das Erkenntnißvermögen in Ansehung seines Gegenstandes eingeschränkt, so daß es keines beständigen Fortschrittes fähig ist, so muß die erwähnte Thätigkeit, durch Konzentrirung auf diesen einzigen Gegenstand, vielmehr gehemmt als befördert werden. Einige einfältige Männer aus dieser Sekte antworteten zwar, wenn man sie, da sie den ganzen Tag über mit der Pfeife im Munde müßig herumgiengen, frug, was sie doch zur Zeit dächten? "wir denken Gott!" Diese Antwort würde befriedigend gewesen seyn, wenn sie beständig, durch eine hinlängliche Naturerkenntniß, ihre Erkenntniß von den göttlichen Vollkommenheiten zu erweitern gesucht hätten. Da dies aber mit ihnen der Fall nicht war, sondern ihre Naturerkenntniß sehr einge-
Es ist auch nicht zu leugnen, daß, so gegruͤndet auch ein solcher Gottesdienst an sich seyn mag, er auch eben so sehr dem Mißbrauche unterworfen sey. Die auf die Heiterkeit des Gemuͤths erfolgende innere Thaͤtigkeit, kann nur nach dem Grade der erlangten Erkenntniß Statt finden. Die Selbstzernichtung vor Gott ist nur alsdann gegruͤndet, wenn das Erkenntnißvermoͤgen so sehr mit seinem Gegenstande (der Groͤße des Gegenstandes wegen) beschaͤftigt ist, daß der Mensch dadurch gleichsam außer sich blos im Gegenstande existirt. Jst hingegen das Erkenntnißvermoͤgen in Ansehung seines Gegenstandes eingeschraͤnkt, so daß es keines bestaͤndigen Fortschrittes faͤhig ist, so muß die erwaͤhnte Thaͤtigkeit, durch Konzentrirung auf diesen einzigen Gegenstand, vielmehr gehemmt als befoͤrdert werden. Einige einfaͤltige Maͤnner aus dieser Sekte antworteten zwar, wenn man sie, da sie den ganzen Tag uͤber mit der Pfeife im Munde muͤßig herumgiengen, frug, was sie doch zur Zeit daͤchten? »wir denken Gott!« Diese Antwort wuͤrde befriedigend gewesen seyn, wenn sie bestaͤndig, durch eine hinlaͤngliche Naturerkenntniß, ihre Erkenntniß von den goͤttlichen Vollkommenheiten zu erweitern gesucht haͤtten. Da dies aber mit ihnen der Fall nicht war, sondern ihre Naturerkenntniß sehr einge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0072" n="72"/><lb/> beiteten, daß sie gemeiniglich bei Endigung des Betens ganz ohnmaͤchtig niederfielen.</p> <p>Es ist auch nicht zu leugnen, daß, so gegruͤndet auch ein solcher Gottesdienst an sich seyn mag, er auch eben so sehr dem Mißbrauche unterworfen sey. Die auf die Heiterkeit des Gemuͤths erfolgende innere Thaͤtigkeit, kann nur <hi rendition="#b">nach dem Grade der erlangten Erkenntniß</hi> Statt finden. Die <hi rendition="#b">Selbstzernichtung vor Gott</hi> ist nur alsdann gegruͤndet, wenn das Erkenntnißvermoͤgen so sehr mit seinem Gegenstande (der Groͤße des Gegenstandes wegen) beschaͤftigt ist, daß der Mensch dadurch gleichsam <hi rendition="#b">außer sich blos im Gegenstande existirt.</hi> Jst hingegen das Erkenntnißvermoͤgen in Ansehung seines Gegenstandes eingeschraͤnkt, so daß es keines <hi rendition="#b">bestaͤndigen Fortschrittes</hi> faͤhig ist, so muß die erwaͤhnte Thaͤtigkeit, durch Konzentrirung auf diesen einzigen Gegenstand, vielmehr gehemmt als befoͤrdert werden.</p> <p>Einige einfaͤltige Maͤnner aus dieser Sekte antworteten zwar, wenn man sie, da sie den ganzen Tag uͤber mit der Pfeife im Munde muͤßig herumgiengen, frug, was sie doch zur Zeit daͤchten? <hi rendition="#b">»wir denken Gott!«</hi> Diese Antwort wuͤrde befriedigend gewesen seyn, wenn sie bestaͤndig, durch eine hinlaͤngliche Naturerkenntniß, ihre Erkenntniß von den goͤttlichen Vollkommenheiten zu erweitern gesucht haͤtten. Da dies aber mit ihnen der Fall nicht war, sondern ihre Naturerkenntniß sehr einge-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [72/0072]
beiteten, daß sie gemeiniglich bei Endigung des Betens ganz ohnmaͤchtig niederfielen.
Es ist auch nicht zu leugnen, daß, so gegruͤndet auch ein solcher Gottesdienst an sich seyn mag, er auch eben so sehr dem Mißbrauche unterworfen sey. Die auf die Heiterkeit des Gemuͤths erfolgende innere Thaͤtigkeit, kann nur nach dem Grade der erlangten Erkenntniß Statt finden. Die Selbstzernichtung vor Gott ist nur alsdann gegruͤndet, wenn das Erkenntnißvermoͤgen so sehr mit seinem Gegenstande (der Groͤße des Gegenstandes wegen) beschaͤftigt ist, daß der Mensch dadurch gleichsam außer sich blos im Gegenstande existirt. Jst hingegen das Erkenntnißvermoͤgen in Ansehung seines Gegenstandes eingeschraͤnkt, so daß es keines bestaͤndigen Fortschrittes faͤhig ist, so muß die erwaͤhnte Thaͤtigkeit, durch Konzentrirung auf diesen einzigen Gegenstand, vielmehr gehemmt als befoͤrdert werden.
Einige einfaͤltige Maͤnner aus dieser Sekte antworteten zwar, wenn man sie, da sie den ganzen Tag uͤber mit der Pfeife im Munde muͤßig herumgiengen, frug, was sie doch zur Zeit daͤchten? »wir denken Gott!« Diese Antwort wuͤrde befriedigend gewesen seyn, wenn sie bestaͤndig, durch eine hinlaͤngliche Naturerkenntniß, ihre Erkenntniß von den goͤttlichen Vollkommenheiten zu erweitern gesucht haͤtten. Da dies aber mit ihnen der Fall nicht war, sondern ihre Naturerkenntniß sehr einge-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |