Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.
Damit wurde aber dem Uebel nicht abgeholfen. Die Tradition selbst ließ noch viel Unbestimmtes zurück. Die Ableitung der besondern Fälle aus den allgemeinen, und die nach den Zeitumständen erforderlichen neuen Gesetze, gaben zu vielen Streitigkeiten Gelegenheit; aber selbst durch diese Streitigkeiten, und die Art ihrer Entscheidung, wurde dieses Korps immer zahlreicher, und sein Einfluß auf die Nation desto stärker. Die jüdische Verfassung ist also ihrer Form nach aristokratisch, und daher allen Mißbräuchen einer solchen Verfassung ausgesetzt. Der ungelehrte Theil der Nation konnte, wegen der ihm aufliegenden Sorge für seine sowohl, als des ihm unentbehrlichen gelehrten Theils Unterhaltung, auf dergleichen Mißbräuche nicht aufmerksam gemacht werden. Hingegen entstanden von Zeit zu Zeit Männer aus diesem gesetzgebenden Korps selbst, die nicht nur diese Mißbräuche rügten, sondern sogar die Autorität desselben in Zweifel zogen. Von dieser Art war der Stifter der christlichen Religion, der sich gleich anfangs der Tyrannei dieser Aristokratie mit gutem Erfolge widersetzte, und das ganze Zeremonialgesetz auf seinen Ursprung, nehmlich auf ein reines Moralsy
Damit wurde aber dem Uebel nicht abgeholfen. Die Tradition selbst ließ noch viel Unbestimmtes zuruͤck. Die Ableitung der besondern Faͤlle aus den allgemeinen, und die nach den Zeitumstaͤnden erforderlichen neuen Gesetze, gaben zu vielen Streitigkeiten Gelegenheit; aber selbst durch diese Streitigkeiten, und die Art ihrer Entscheidung, wurde dieses Korps immer zahlreicher, und sein Einfluß auf die Nation desto staͤrker. Die juͤdische Verfassung ist also ihrer Form nach aristokratisch, und daher allen Mißbraͤuchen einer solchen Verfassung ausgesetzt. Der ungelehrte Theil der Nation konnte, wegen der ihm aufliegenden Sorge fuͤr seine sowohl, als des ihm unentbehrlichen gelehrten Theils Unterhaltung, auf dergleichen Mißbraͤuche nicht aufmerksam gemacht werden. Hingegen entstanden von Zeit zu Zeit Maͤnner aus diesem gesetzgebenden Korps selbst, die nicht nur diese Mißbraͤuche ruͤgten, sondern sogar die Autoritaͤt desselben in Zweifel zogen. Von dieser Art war der Stifter der christlichen Religion, der sich gleich anfangs der Tyrannei dieser Aristokratie mit gutem Erfolge widersetzte, und das ganze Zeremonialgesetz auf seinen Ursprung, nehmlich auf ein reines Moralsy <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0065" n="65"/><lb/> aus den bestimmten Gesetzen angegeben werden sollte. Diese Tradition konnte freilich nicht der ganzen Nation, sondern blos einem Korps derselben, gleichsam wie einer gesetzgebenden Kommission anvertrauet werden.</p> <p>Damit wurde aber dem Uebel nicht abgeholfen. Die Tradition selbst ließ noch viel Unbestimmtes zuruͤck. Die Ableitung der besondern Faͤlle aus den allgemeinen, und die nach den Zeitumstaͤnden erforderlichen neuen Gesetze, gaben zu vielen Streitigkeiten Gelegenheit; aber selbst durch diese Streitigkeiten, und die Art ihrer Entscheidung, wurde dieses Korps immer zahlreicher, und sein Einfluß auf die Nation desto staͤrker. Die juͤdische Verfassung ist also ihrer Form nach aristokratisch, und daher allen Mißbraͤuchen einer solchen Verfassung ausgesetzt. Der ungelehrte Theil der Nation konnte, wegen der ihm aufliegenden Sorge fuͤr seine sowohl, als des ihm unentbehrlichen gelehrten Theils Unterhaltung, auf dergleichen Mißbraͤuche nicht aufmerksam gemacht werden. Hingegen entstanden von Zeit zu Zeit Maͤnner aus diesem gesetzgebenden Korps selbst, die nicht nur <hi rendition="#b">diese Mißbraͤuche ruͤgten,</hi> sondern sogar <hi rendition="#b">die Autoritaͤt desselben in Zweifel zogen.</hi> Von dieser Art war <hi rendition="#b">der Stifter der christlichen Religion,</hi> der sich gleich anfangs der Tyrannei dieser Aristokratie mit gutem Erfolge widersetzte, und das ganze Zeremonialgesetz auf seinen Ursprung, nehmlich auf ein <hi rendition="#b">reines Moralsy<lb/></hi></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [65/0065]
aus den bestimmten Gesetzen angegeben werden sollte. Diese Tradition konnte freilich nicht der ganzen Nation, sondern blos einem Korps derselben, gleichsam wie einer gesetzgebenden Kommission anvertrauet werden.
Damit wurde aber dem Uebel nicht abgeholfen. Die Tradition selbst ließ noch viel Unbestimmtes zuruͤck. Die Ableitung der besondern Faͤlle aus den allgemeinen, und die nach den Zeitumstaͤnden erforderlichen neuen Gesetze, gaben zu vielen Streitigkeiten Gelegenheit; aber selbst durch diese Streitigkeiten, und die Art ihrer Entscheidung, wurde dieses Korps immer zahlreicher, und sein Einfluß auf die Nation desto staͤrker. Die juͤdische Verfassung ist also ihrer Form nach aristokratisch, und daher allen Mißbraͤuchen einer solchen Verfassung ausgesetzt. Der ungelehrte Theil der Nation konnte, wegen der ihm aufliegenden Sorge fuͤr seine sowohl, als des ihm unentbehrlichen gelehrten Theils Unterhaltung, auf dergleichen Mißbraͤuche nicht aufmerksam gemacht werden. Hingegen entstanden von Zeit zu Zeit Maͤnner aus diesem gesetzgebenden Korps selbst, die nicht nur diese Mißbraͤuche ruͤgten, sondern sogar die Autoritaͤt desselben in Zweifel zogen. Von dieser Art war der Stifter der christlichen Religion, der sich gleich anfangs der Tyrannei dieser Aristokratie mit gutem Erfolge widersetzte, und das ganze Zeremonialgesetz auf seinen Ursprung, nehmlich auf ein reines Moralsy
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien
(2015-06-09T11:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat
(2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-06-09T11:00:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |