Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite


(jüdische Gebetsinstrumente) aus dem Hause zu gehn; aber nicht nach der Synagoge, sondern nach ihrem Lieblingsretrait (dem Walle); dadurch entgiengen sie glücklich dem jüdischen Jnquisitionsgerichte.

Dieser schwärmerische Umgang mußte aber doch, so wie Alles in der Welt, sein Ende nehmen. Diese beiden Freunde wurden verheirathet, und ihre Ehen waren ziemlich fruchtbar. Sie wurden also gezwungen eine Familie zu ernähren. Das einzige Mittel für sie aber war eine Hofmeisterstelle, dadurch wurden sie nicht selten getrennt, und konnten nachher nur einige wenige Wochen im Jahre beisammen seyn. B. J. erste Hofmeisterstelle war eine Stunde weit von seinem Wohnorte bei einem armen Pächter J., eines elenden Dorfs P.; B. J. Gehalt war fünf Thaler polnisch. Die Armuth, Unwissenheit, und Rohheit der Lebensart, welche hier hauseten, waren unbeschreiblich. Der Pächter selbst war ein Mann von ungefähr funfzig Jahren, dessen ganzes Gesicht mit Haaren bewachsen war, und sich mit einem schmutzigen, dicken, pechschwarzen Barte endigte, und dessen Sprache eine Art Gemurmel, und nur den Bauern, mit denen er täglich umgieng, verständlich war. Er konnte nicht nur kein Hebräisch, sondern auch nicht einmal ein Wort Jüdisch, blos Russisch (die gewöhnliche Bauernsprache) konnte er sprechen. Man denke sich dazu Frau und Kinder von eben dem Schlage. Ferner die Wohnstube: eine Rauchhütte, kohlschwarz von


(juͤdische Gebetsinstrumente) aus dem Hause zu gehn; aber nicht nach der Synagoge, sondern nach ihrem Lieblingsretrait (dem Walle); dadurch entgiengen sie gluͤcklich dem juͤdischen Jnquisitionsgerichte.

Dieser schwaͤrmerische Umgang mußte aber doch, so wie Alles in der Welt, sein Ende nehmen. Diese beiden Freunde wurden verheirathet, und ihre Ehen waren ziemlich fruchtbar. Sie wurden also gezwungen eine Familie zu ernaͤhren. Das einzige Mittel fuͤr sie aber war eine Hofmeisterstelle, dadurch wurden sie nicht selten getrennt, und konnten nachher nur einige wenige Wochen im Jahre beisammen seyn. B. J. erste Hofmeisterstelle war eine Stunde weit von seinem Wohnorte bei einem armen Paͤchter J., eines elenden Dorfs P.; B. J. Gehalt war fuͤnf Thaler polnisch. Die Armuth, Unwissenheit, und Rohheit der Lebensart, welche hier hauseten, waren unbeschreiblich. Der Paͤchter selbst war ein Mann von ungefaͤhr funfzig Jahren, dessen ganzes Gesicht mit Haaren bewachsen war, und sich mit einem schmutzigen, dicken, pechschwarzen Barte endigte, und dessen Sprache eine Art Gemurmel, und nur den Bauern, mit denen er taͤglich umgieng, verstaͤndlich war. Er konnte nicht nur kein Hebraͤisch, sondern auch nicht einmal ein Wort Juͤdisch, blos Russisch (die gewoͤhnliche Bauernsprache) konnte er sprechen. Man denke sich dazu Frau und Kinder von eben dem Schlage. Ferner die Wohnstube: eine Rauchhuͤtte, kohlschwarz von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0053" n="53"/><lb/>
(ju&#x0364;dische Gebetsinstrumente) aus dem  Hause zu gehn; aber nicht nach der Synagoge, sondern  nach ihrem Lieblingsretrait (dem Walle); dadurch  entgiengen sie glu&#x0364;cklich dem ju&#x0364;dischen  Jnquisitionsgerichte.</p>
            <p>Dieser schwa&#x0364;rmerische Umgang mußte aber doch, so wie  Alles in der Welt, sein Ende nehmen. Diese beiden  Freunde wurden verheirathet, und ihre Ehen waren  ziemlich fruchtbar. Sie wurden also gezwungen eine  Familie zu erna&#x0364;hren. Das einzige Mittel fu&#x0364;r sie aber  war eine <hi rendition="#b">Hofmeisterstelle,</hi> dadurch wurden sie nicht selten getrennt, und  konnten nachher nur einige wenige Wochen im Jahre  beisammen seyn. <hi rendition="#b">B. J.</hi> erste  Hofmeisterstelle war eine Stunde weit von seinem  Wohnorte bei einem armen Pa&#x0364;chter <hi rendition="#b">J.,</hi> eines elenden Dorfs <hi rendition="#b">P.; B. J.</hi> Gehalt war fu&#x0364;nf Thaler polnisch.  Die Armuth, Unwissenheit, und Rohheit der Lebensart,  welche hier hauseten, waren unbeschreiblich. Der  Pa&#x0364;chter selbst war ein Mann von ungefa&#x0364;hr funfzig  Jahren, dessen ganzes Gesicht mit Haaren bewachsen  war, und sich mit einem schmutzigen, dicken,  pechschwarzen Barte endigte, und dessen Sprache eine  Art Gemurmel, und nur den Bauern, mit denen er  ta&#x0364;glich umgieng, versta&#x0364;ndlich war. Er konnte nicht  nur kein Hebra&#x0364;isch, sondern auch nicht einmal ein  Wort Ju&#x0364;disch, blos Russisch (die gewo&#x0364;hnliche  Bauernsprache) konnte er sprechen. Man denke sich  dazu Frau und Kinder von eben dem Schlage. Ferner  die Wohnstube: eine Rauchhu&#x0364;tte, kohlschwarz von<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0053] (juͤdische Gebetsinstrumente) aus dem Hause zu gehn; aber nicht nach der Synagoge, sondern nach ihrem Lieblingsretrait (dem Walle); dadurch entgiengen sie gluͤcklich dem juͤdischen Jnquisitionsgerichte. Dieser schwaͤrmerische Umgang mußte aber doch, so wie Alles in der Welt, sein Ende nehmen. Diese beiden Freunde wurden verheirathet, und ihre Ehen waren ziemlich fruchtbar. Sie wurden also gezwungen eine Familie zu ernaͤhren. Das einzige Mittel fuͤr sie aber war eine Hofmeisterstelle, dadurch wurden sie nicht selten getrennt, und konnten nachher nur einige wenige Wochen im Jahre beisammen seyn. B. J. erste Hofmeisterstelle war eine Stunde weit von seinem Wohnorte bei einem armen Paͤchter J., eines elenden Dorfs P.; B. J. Gehalt war fuͤnf Thaler polnisch. Die Armuth, Unwissenheit, und Rohheit der Lebensart, welche hier hauseten, waren unbeschreiblich. Der Paͤchter selbst war ein Mann von ungefaͤhr funfzig Jahren, dessen ganzes Gesicht mit Haaren bewachsen war, und sich mit einem schmutzigen, dicken, pechschwarzen Barte endigte, und dessen Sprache eine Art Gemurmel, und nur den Bauern, mit denen er taͤglich umgieng, verstaͤndlich war. Er konnte nicht nur kein Hebraͤisch, sondern auch nicht einmal ein Wort Juͤdisch, blos Russisch (die gewoͤhnliche Bauernsprache) konnte er sprechen. Man denke sich dazu Frau und Kinder von eben dem Schlage. Ferner die Wohnstube: eine Rauchhuͤtte, kohlschwarz von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/53
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/53>, abgerufen am 13.05.2024.