Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.
Den Mann, von dem ich spreche, lernte ich vor mehreren Jahren*) kennen. Seine Einsichten in Geschichte und Geographie zogen mich an ihn, so sehr mich auch sein Aeußeres und die Verschiedenheit unsers Alters von ihm abschreckte. Er war damals zwischen seinem zwei und drei und vierzigsten Jahre, und sein Aeußeres war, wie gesagt, nichts weniger als empfehlend. Sein langer hagerer Körper wurde von zwei dünnen Beinen getragen, deren Füße sich in ein Paar Ballen endigten, die mehr als gewöhnlich, nach innen zu, hervorragten. Sein rundes, braungelbes Gesicht hatte durch den starken schwarzen Bart, die kurze Stirne, die schwarzen kleinen aber äußerst feuerigen Augen, und durch ein Paar, an der linken untern Kinnlade befindliche Warzen, ein ungemein finsteres Ansehn. Auch hatte sein Gespräch für einen jungen Menschen gewöhnlich nichts Anziehendes. Es war kalt und abgemessen. Je näher ich ihn aber kennen lernte, je mehr schätzte ich ihn, wegen seiner Rechtschaffenheit, sei- *) Zur Schonung der noch lebenden Familie erlaube man mir, Namen, Ort und Jahrzahl zu verschweigen; ob ich mich gleich erbiete, jedem, dem darum zu thun ist, die Geschichte umständlicher zu erzählen.
Den Mann, von dem ich spreche, lernte ich vor mehreren Jahren*) kennen. Seine Einsichten in Geschichte und Geographie zogen mich an ihn, so sehr mich auch sein Aeußeres und die Verschiedenheit unsers Alters von ihm abschreckte. Er war damals zwischen seinem zwei und drei und vierzigsten Jahre, und sein Aeußeres war, wie gesagt, nichts weniger als empfehlend. Sein langer hagerer Koͤrper wurde von zwei duͤnnen Beinen getragen, deren Fuͤße sich in ein Paar Ballen endigten, die mehr als gewoͤhnlich, nach innen zu, hervorragten. Sein rundes, braungelbes Gesicht hatte durch den starken schwarzen Bart, die kurze Stirne, die schwarzen kleinen aber aͤußerst feuerigen Augen, und durch ein Paar, an der linken untern Kinnlade befindliche Warzen, ein ungemein finsteres Ansehn. Auch hatte sein Gespraͤch fuͤr einen jungen Menschen gewoͤhnlich nichts Anziehendes. Es war kalt und abgemessen. Je naͤher ich ihn aber kennen lernte, je mehr schaͤtzte ich ihn, wegen seiner Rechtschaffenheit, sei- *) Zur Schonung der noch lebenden Familie erlaube man mir, Namen, Ort und Jahrzahl zu verschweigen; ob ich mich gleich erbiete, jedem, dem darum zu thun ist, die Geschichte umstaͤndlicher zu erzaͤhlen.
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und wo die That mit einer Seelenruhe ausgefuͤhrt wurde, die nur die Folge einer langen und reifen Ueberlegung seyn kann.
Den Mann, von dem ich spreche, lernte ich vor mehreren Jahren*) kennen. Seine Einsichten in Geschichte und Geographie zogen mich an ihn, so sehr mich auch sein Aeußeres und die Verschiedenheit unsers Alters von ihm abschreckte. Er war damals zwischen seinem zwei und drei und vierzigsten Jahre, und sein Aeußeres war, wie gesagt, nichts weniger als empfehlend. Sein langer hagerer Koͤrper wurde von zwei duͤnnen Beinen getragen, deren Fuͤße sich in ein Paar Ballen endigten, die mehr als gewoͤhnlich, nach innen zu, hervorragten. Sein rundes, braungelbes Gesicht hatte durch den starken schwarzen Bart, die kurze Stirne, die schwarzen kleinen aber aͤußerst feuerigen Augen, und durch ein Paar, an der linken untern Kinnlade befindliche Warzen, ein ungemein finsteres Ansehn. Auch hatte sein Gespraͤch fuͤr einen jungen Menschen gewoͤhnlich nichts Anziehendes. Es war kalt und abgemessen.
Je naͤher ich ihn aber kennen lernte, je mehr schaͤtzte ich ihn, wegen seiner Rechtschaffenheit, sei-
*) Zur Schonung der noch lebenden Familie erlaube man mir, Namen, Ort und Jahrzahl zu verschweigen; ob ich mich gleich erbiete, jedem, dem darum zu thun ist, die Geschichte umstaͤndlicher zu erzaͤhlen.
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