Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite


auf eine natürliche Art, nach den bekannten Gesetzen der Psychologie erklären sollte, indem sie die aus der heiligen Schrift bekannten Fakta dieser Art für übernatürliche Würkungen hielten. Die Heterodoxen hingegen leugnen diese Fakta selbst, indem sie sie blos für erdichtete Fabeln halten, und auf diese Art aller Erklärung überhoben zu seyn glauben. Beider Verfahren ist aber unrechtmäßig. Die auffallende Aehnlichkeit dergleichen Visionen mit den Träumen, und ihre Möglichkeit an sich, die durch neuere Erfahrungen bestätigt wird, zeigen, daß man von der einen Seite keinen Grund hat, dergleichen Fakta zu leugnen, so wie man auch von der andern Seite sie als übernatürliche Erscheinungen anzunehmen keinen Grund hat, sondern sie als Fakta nach den Regeln des historischen Glaubens untersucht, und als Naturerscheinungen nach den Gesetzen der Psychologie erklärt werden müssen, wodurch man sowohl dem Vorwurfe der Schwärmerei als des leichtsinnigen Unglaubens ausweichen kann.

Die Visionen sind dreierlei Art. Sie sind entweder 1) simple, oder 2) allegorische, oder 3) symbolische Visionen. Jn der erstern werden die sowohl der Zeit als dem Raume nach nicht gegenwärtigen Naturbegebenheiten als gegenwärtig, ohne die mindeste Veränderung, vorgestellt. Visionen dieser Art sind in der heiligen Schrift häufig anzutreffen, wo die Propheten den zukünftigen Tod


auf eine natuͤrliche Art, nach den bekannten Gesetzen der Psychologie erklaͤren sollte, indem sie die aus der heiligen Schrift bekannten Fakta dieser Art fuͤr uͤbernatuͤrliche Wuͤrkungen hielten. Die Heterodoxen hingegen leugnen diese Fakta selbst, indem sie sie blos fuͤr erdichtete Fabeln halten, und auf diese Art aller Erklaͤrung uͤberhoben zu seyn glauben. Beider Verfahren ist aber unrechtmaͤßig. Die auffallende Aehnlichkeit dergleichen Visionen mit den Traͤumen, und ihre Moͤglichkeit an sich, die durch neuere Erfahrungen bestaͤtigt wird, zeigen, daß man von der einen Seite keinen Grund hat, dergleichen Fakta zu leugnen, so wie man auch von der andern Seite sie als uͤbernatuͤrliche Erscheinungen anzunehmen keinen Grund hat, sondern sie als Fakta nach den Regeln des historischen Glaubens untersucht, und als Naturerscheinungen nach den Gesetzen der Psychologie erklaͤrt werden muͤssen, wodurch man sowohl dem Vorwurfe der Schwaͤrmerei als des leichtsinnigen Unglaubens ausweichen kann.

Die Visionen sind dreierlei Art. Sie sind entweder 1) simple, oder 2) allegorische, oder 3) symbolische Visionen. Jn der erstern werden die sowohl der Zeit als dem Raume nach nicht gegenwaͤrtigen Naturbegebenheiten als gegenwaͤrtig, ohne die mindeste Veraͤnderung, vorgestellt. Visionen dieser Art sind in der heiligen Schrift haͤufig anzutreffen, wo die Propheten den zukuͤnftigen Tod

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0083" n="81"/><lb/>
auf eine natu&#x0364;rliche Art, nach den bekannten                         Gesetzen der Psychologie erkla&#x0364;ren sollte, indem sie die aus der heiligen                         Schrift bekannten Fakta dieser Art fu&#x0364;r u&#x0364;bernatu&#x0364;rliche Wu&#x0364;rkungen hielten. Die                         Heterodoxen hingegen leugnen diese Fakta selbst, indem sie sie blos fu&#x0364;r                         erdichtete Fabeln halten, und auf diese Art aller Erkla&#x0364;rung u&#x0364;berhoben zu                         seyn glauben. Beider Verfahren ist aber unrechtma&#x0364;ßig. Die auffallende                         Aehnlichkeit dergleichen Visionen mit den Tra&#x0364;umen, und ihre Mo&#x0364;glichkeit an                         sich, die durch neuere Erfahrungen besta&#x0364;tigt wird, zeigen, daß man von der                         einen Seite keinen Grund hat, dergleichen Fakta zu <hi rendition="#b">leugnen,</hi> so wie man auch von der andern Seite sie als <hi rendition="#b">u&#x0364;bernatu&#x0364;rliche Erscheinungen</hi> anzunehmen keinen Grund                         hat, sondern sie als <hi rendition="#b">Fakta</hi> nach den Regeln des                         historischen Glaubens untersucht, und als <hi rendition="#b">Naturerscheinungen</hi> nach den Gesetzen der Psychologie erkla&#x0364;rt                         werden mu&#x0364;ssen, wodurch man sowohl dem Vorwurfe der <hi rendition="#b">Schwa&#x0364;rmerei</hi> als des <hi rendition="#b">leichtsinnigen                             Unglaubens</hi> ausweichen kann.</p>
            <p>Die Visionen sind dreierlei Art. Sie sind entweder 1) <hi rendition="#b">simple,</hi> oder 2) <hi rendition="#b">allegorische,</hi> oder 3) <hi rendition="#b">symbolische</hi> Visionen. Jn der erstern werden die                         sowohl der Zeit als dem Raume nach nicht gegenwa&#x0364;rtigen Naturbegebenheiten                         als gegenwa&#x0364;rtig, ohne die mindeste Vera&#x0364;nderung, vorgestellt. Visionen dieser                         Art sind in der heiligen Schrift ha&#x0364;ufig anzutreffen, wo die Propheten den                         zuku&#x0364;nftigen Tod<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0083] auf eine natuͤrliche Art, nach den bekannten Gesetzen der Psychologie erklaͤren sollte, indem sie die aus der heiligen Schrift bekannten Fakta dieser Art fuͤr uͤbernatuͤrliche Wuͤrkungen hielten. Die Heterodoxen hingegen leugnen diese Fakta selbst, indem sie sie blos fuͤr erdichtete Fabeln halten, und auf diese Art aller Erklaͤrung uͤberhoben zu seyn glauben. Beider Verfahren ist aber unrechtmaͤßig. Die auffallende Aehnlichkeit dergleichen Visionen mit den Traͤumen, und ihre Moͤglichkeit an sich, die durch neuere Erfahrungen bestaͤtigt wird, zeigen, daß man von der einen Seite keinen Grund hat, dergleichen Fakta zu leugnen, so wie man auch von der andern Seite sie als uͤbernatuͤrliche Erscheinungen anzunehmen keinen Grund hat, sondern sie als Fakta nach den Regeln des historischen Glaubens untersucht, und als Naturerscheinungen nach den Gesetzen der Psychologie erklaͤrt werden muͤssen, wodurch man sowohl dem Vorwurfe der Schwaͤrmerei als des leichtsinnigen Unglaubens ausweichen kann. Die Visionen sind dreierlei Art. Sie sind entweder 1) simple, oder 2) allegorische, oder 3) symbolische Visionen. Jn der erstern werden die sowohl der Zeit als dem Raume nach nicht gegenwaͤrtigen Naturbegebenheiten als gegenwaͤrtig, ohne die mindeste Veraͤnderung, vorgestellt. Visionen dieser Art sind in der heiligen Schrift haͤufig anzutreffen, wo die Propheten den zukuͤnftigen Tod

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/83
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/83>, abgerufen am 28.04.2024.