Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.
Aller dieser Verschiedenheiten ungeachtet, schloß sich B. J., der sich, um sein Leben zu fristen, in einem fremden Lande herumzuirren, gezwungen sahe, an jenen fest an. Auf ihrer Wanderschaft bemühte sich B. J., seinem Reisegefährten Begriffe der Religion und der wahren Moralität beizubringen. Dieser unterrichtete wieder jenen in der Kunst zu Betteln; lehrte ihn die darin üblichen Formeln, und empfahl ihm besonders das Fluchen, wenn er abgewiesen werden sollte. Aber bei aller Mühe, die dieser sich hierin gab, wollten doch seine Lehren bei B. J. nicht anschlagen. Die Bettelformeln hielt er für abgeschmackt. Er dachte, daß, wenn man einmal gezwungen sey, andre um Hülfe anzuflehn, man seine Empfindungen ganz simpel ausdrücken müsse; und was das Fluchen anbetrifft, so konnte er nicht begreifen, warum ein Mensch, der einem andern eine Bitte abschlägt, den Fluch über sich ziehn sollte? und dann glaubte er auch, daß man dadurch jenen desto mehr erbittern, und seinen Zweck desto weniger erreichen werde. Wenn er also mit seinem Kameraden betteln gieng, so stellte er sich immer, als bettelte und fluchte er mit jenem zugleich; in der That aber sprach er alsdann nicht ein einziges verständliches Wort.
Aller dieser Verschiedenheiten ungeachtet, schloß sich B. J., der sich, um sein Leben zu fristen, in einem fremden Lande herumzuirren, gezwungen sahe, an jenen fest an. Auf ihrer Wanderschaft bemuͤhte sich B. J., seinem Reisegefaͤhrten Begriffe der Religion und der wahren Moralitaͤt beizubringen. Dieser unterrichtete wieder jenen in der Kunst zu Betteln; lehrte ihn die darin uͤblichen Formeln, und empfahl ihm besonders das Fluchen, wenn er abgewiesen werden sollte. Aber bei aller Muͤhe, die dieser sich hierin gab, wollten doch seine Lehren bei B. J. nicht anschlagen. Die Bettelformeln hielt er fuͤr abgeschmackt. Er dachte, daß, wenn man einmal gezwungen sey, andre um Huͤlfe anzuflehn, man seine Empfindungen ganz simpel ausdruͤcken muͤsse; und was das Fluchen anbetrifft, so konnte er nicht begreifen, warum ein Mensch, der einem andern eine Bitte abschlaͤgt, den Fluch uͤber sich ziehn sollte? und dann glaubte er auch, daß man dadurch jenen desto mehr erbittern, und seinen Zweck desto weniger erreichen werde. Wenn er also mit seinem Kameraden betteln gieng, so stellte er sich immer, als bettelte und fluchte er mit jenem zugleich; in der That aber sprach er alsdann nicht ein einziges verstaͤndliches Wort. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0057" n="55"/><lb/> doch schwaͤchlicher Leibeskonstitution, jener hingegen war ein starker wohlbeleibter Kerl, der den besten Soldaten haͤtte abgeben koͤnnen.</p> <p>Aller dieser Verschiedenheiten ungeachtet, schloß sich <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi>, der sich, um sein Leben zu fristen, in einem fremden Lande herumzuirren, gezwungen sahe, an jenen fest an. Auf ihrer Wanderschaft bemuͤhte sich <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi>, seinem Reisegefaͤhrten Begriffe der Religion und der wahren Moralitaͤt beizubringen. Dieser unterrichtete wieder jenen <hi rendition="#b">in der Kunst zu Betteln;</hi> lehrte ihn die darin uͤblichen Formeln, und empfahl ihm besonders das Fluchen, wenn er abgewiesen werden sollte.</p> <p>Aber bei aller Muͤhe, die dieser sich hierin gab, wollten doch seine Lehren bei <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi> nicht anschlagen. Die Bettelformeln hielt er fuͤr abgeschmackt. Er dachte, daß, wenn man einmal gezwungen sey, andre um Huͤlfe anzuflehn, man seine Empfindungen ganz simpel ausdruͤcken muͤsse; und was das Fluchen anbetrifft, so konnte er nicht begreifen, warum ein Mensch, der einem andern eine Bitte abschlaͤgt, den Fluch uͤber sich ziehn sollte? und dann glaubte er auch, daß man dadurch jenen desto mehr erbittern, und seinen Zweck desto weniger erreichen werde.</p> <p>Wenn er also mit seinem Kameraden betteln gieng, so stellte er sich immer, als bettelte und fluchte er mit jenem zugleich; in der That aber sprach er alsdann nicht ein einziges verstaͤndliches Wort.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [55/0057]
doch schwaͤchlicher Leibeskonstitution, jener hingegen war ein starker wohlbeleibter Kerl, der den besten Soldaten haͤtte abgeben koͤnnen.
Aller dieser Verschiedenheiten ungeachtet, schloß sich B. J., der sich, um sein Leben zu fristen, in einem fremden Lande herumzuirren, gezwungen sahe, an jenen fest an. Auf ihrer Wanderschaft bemuͤhte sich B. J., seinem Reisegefaͤhrten Begriffe der Religion und der wahren Moralitaͤt beizubringen. Dieser unterrichtete wieder jenen in der Kunst zu Betteln; lehrte ihn die darin uͤblichen Formeln, und empfahl ihm besonders das Fluchen, wenn er abgewiesen werden sollte.
Aber bei aller Muͤhe, die dieser sich hierin gab, wollten doch seine Lehren bei B. J. nicht anschlagen. Die Bettelformeln hielt er fuͤr abgeschmackt. Er dachte, daß, wenn man einmal gezwungen sey, andre um Huͤlfe anzuflehn, man seine Empfindungen ganz simpel ausdruͤcken muͤsse; und was das Fluchen anbetrifft, so konnte er nicht begreifen, warum ein Mensch, der einem andern eine Bitte abschlaͤgt, den Fluch uͤber sich ziehn sollte? und dann glaubte er auch, daß man dadurch jenen desto mehr erbittern, und seinen Zweck desto weniger erreichen werde.
Wenn er also mit seinem Kameraden betteln gieng, so stellte er sich immer, als bettelte und fluchte er mit jenem zugleich; in der That aber sprach er alsdann nicht ein einziges verstaͤndliches Wort.
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