Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.Endlich kam er nach Stettin. Man sagte ihm, daß er von da bis nach F. eine Reise zu Fuße ganz spielend machen könnte. Aber wie sollte ein polnischer Jude in den elendesten Umständen, ohne einen Pfennig zum Zehren bei sich zu haben, und sogar ohne die Landessprache zu verstehn, eine Reise, wenn auch nur von wenigen Meilen, machen? Doch dieses mußte einmal geschehn. Er gieng also von Stettin aus, und indem er seine elende Lage überdachte, setzte er sich unter eine Linde und fing an bitterlich zu weinen. Endlich wurde ihm etwas leichter ums Herz; er faßte Muth und gieng weiter. Nachdem er ein paar Meilen gemacht hatte, kam er gegen Abend ganz ermüdet in ein Wirthshaus. Es war eben der Tag vor dem jüdischen Fasttage der im August fällt. Er schmachtete schon vor Hunger und Durst, und sollte noch dazu den ganzen morgenden Tag fasten. Was sollte er nun machen, da er keinen Pfennig zu zehren hatte? Nachdem er dieses überdacht hatte, fiel ihm ein, daß er noch einen eisernen Löffel, den er mit zu Schiffe genommen, in seinem Mantelsack haben müsse; er hohlte ihn, und bat die Wirthin, daß sie ihm dafür ein wenig Brod und Bier geben möchte. Diese weigerte sich anfangs, den Löffel anzunehmen, durch vieles Flehen aber wurde sie doch endlich bewogen, ein Glas sauer Bier dafür zu accordiren. B. J. mußte sich also damit befriedigen, trank sein Endlich kam er nach Stettin. Man sagte ihm, daß er von da bis nach F. eine Reise zu Fuße ganz spielend machen koͤnnte. Aber wie sollte ein polnischer Jude in den elendesten Umstaͤnden, ohne einen Pfennig zum Zehren bei sich zu haben, und sogar ohne die Landessprache zu verstehn, eine Reise, wenn auch nur von wenigen Meilen, machen? Doch dieses mußte einmal geschehn. Er gieng also von Stettin aus, und indem er seine elende Lage uͤberdachte, setzte er sich unter eine Linde und fing an bitterlich zu weinen. Endlich wurde ihm etwas leichter ums Herz; er faßte Muth und gieng weiter. Nachdem er ein paar Meilen gemacht hatte, kam er gegen Abend ganz ermuͤdet in ein Wirthshaus. Es war eben der Tag vor dem juͤdischen Fasttage der im August faͤllt. Er schmachtete schon vor Hunger und Durst, und sollte noch dazu den ganzen morgenden Tag fasten. Was sollte er nun machen, da er keinen Pfennig zu zehren hatte? Nachdem er dieses uͤberdacht hatte, fiel ihm ein, daß er noch einen eisernen Loͤffel, den er mit zu Schiffe genommen, in seinem Mantelsack haben muͤsse; er hohlte ihn, und bat die Wirthin, daß sie ihm dafuͤr ein wenig Brod und Bier geben moͤchte. Diese weigerte sich anfangs, den Loͤffel anzunehmen, durch vieles Flehen aber wurde sie doch endlich bewogen, ein Glas sauer Bier dafuͤr zu accordiren. B. J. mußte sich also damit befriedigen, trank sein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0050" n="48"/><lb/> <p>Endlich kam er nach Stettin. Man sagte ihm, daß er von da bis nach F. eine Reise zu Fuße ganz spielend machen koͤnnte. Aber wie sollte ein polnischer Jude in den elendesten Umstaͤnden, ohne einen Pfennig zum Zehren bei sich zu haben, und sogar ohne die Landessprache zu verstehn, eine Reise, wenn auch nur von wenigen Meilen, machen?</p> <p>Doch dieses mußte einmal geschehn. Er gieng also von Stettin aus, und indem er seine elende Lage uͤberdachte, setzte er sich unter eine Linde und fing an bitterlich zu weinen.</p> <p>Endlich wurde ihm etwas leichter ums Herz; er faßte Muth und gieng weiter. Nachdem er ein paar Meilen gemacht hatte, kam er gegen Abend ganz ermuͤdet in ein Wirthshaus. Es war eben der Tag vor dem juͤdischen Fasttage der im August faͤllt. Er schmachtete schon vor Hunger und Durst, und sollte noch dazu den ganzen morgenden Tag fasten. Was sollte er nun machen, da er keinen Pfennig zu zehren hatte?</p> <p>Nachdem er dieses uͤberdacht hatte, fiel ihm ein, daß er noch einen eisernen Loͤffel, den er mit zu Schiffe genommen, in seinem Mantelsack haben muͤsse; er hohlte ihn, und bat die Wirthin, daß sie ihm dafuͤr ein wenig Brod und Bier geben moͤchte. Diese weigerte sich anfangs, den Loͤffel anzunehmen, durch vieles Flehen aber wurde sie doch endlich bewogen, ein Glas sauer Bier dafuͤr zu accordiren. <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi> mußte sich also damit befriedigen, trank sein<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [48/0050]
Endlich kam er nach Stettin. Man sagte ihm, daß er von da bis nach F. eine Reise zu Fuße ganz spielend machen koͤnnte. Aber wie sollte ein polnischer Jude in den elendesten Umstaͤnden, ohne einen Pfennig zum Zehren bei sich zu haben, und sogar ohne die Landessprache zu verstehn, eine Reise, wenn auch nur von wenigen Meilen, machen?
Doch dieses mußte einmal geschehn. Er gieng also von Stettin aus, und indem er seine elende Lage uͤberdachte, setzte er sich unter eine Linde und fing an bitterlich zu weinen.
Endlich wurde ihm etwas leichter ums Herz; er faßte Muth und gieng weiter. Nachdem er ein paar Meilen gemacht hatte, kam er gegen Abend ganz ermuͤdet in ein Wirthshaus. Es war eben der Tag vor dem juͤdischen Fasttage der im August faͤllt. Er schmachtete schon vor Hunger und Durst, und sollte noch dazu den ganzen morgenden Tag fasten. Was sollte er nun machen, da er keinen Pfennig zu zehren hatte?
Nachdem er dieses uͤberdacht hatte, fiel ihm ein, daß er noch einen eisernen Loͤffel, den er mit zu Schiffe genommen, in seinem Mantelsack haben muͤsse; er hohlte ihn, und bat die Wirthin, daß sie ihm dafuͤr ein wenig Brod und Bier geben moͤchte. Diese weigerte sich anfangs, den Loͤffel anzunehmen, durch vieles Flehen aber wurde sie doch endlich bewogen, ein Glas sauer Bier dafuͤr zu accordiren. B. J. mußte sich also damit befriedigen, trank sein
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