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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.

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Das Büchelchen, welches S. 30. erwähnt wird, heißt im Herrenhuterstyl das Loosbüchlein. Man verändert es alle Jahre.

Dieser Umstand erinnert mich an eine Geschichte, welche hier zu Basel vor 5 bis 6 Jahren vorgefallen. Eine junge, redliche, sehr religiöse Hausmutter war so unglücklich verheirathet worden, daß sie nach vielen Kränkungen, welche sie von ihrem Manne, einem groben, ungesitteten Menschen, hatte erleiden müssen, an einem Nachmittage auf ein Lusthaus, das sie ausserhalb der Stadt besaßen, ganz einsam ging, etwas Wein und Brodt mitnahm, davon sie ohngefähr ein Drittheil verzehrte, dann wahrscheinlicherweise ein zu ihrer Gemüthsstimmung passendes Lied, aus einem Buche sang, welches sie offen auf dem Tische liegen ließ, mit einem Zeichen an der folgenden Stelle, und nach allen diesen Verrichtungen sich ersäufte.

Hier ist die Strophe, welche sie bezeichnet hatte:

Die Noth, o Herr, hat kein Gesetz, Die mich jetzt hart umringet; Drum das für keine Frechheit schätz, Wozu die Angst mich zwinget. Wer blind, wer krank ist, sehnet sich Nach Licht und Heilung ängstiglich; Jch Todter such das Leben!

u.s.w.



Das Buͤchelchen, welches S. 30. erwaͤhnt wird, heißt im Herrenhuterstyl das Loosbuͤchlein. Man veraͤndert es alle Jahre.

Dieser Umstand erinnert mich an eine Geschichte, welche hier zu Basel vor 5 bis 6 Jahren vorgefallen. Eine junge, redliche, sehr religioͤse Hausmutter war so ungluͤcklich verheirathet worden, daß sie nach vielen Kraͤnkungen, welche sie von ihrem Manne, einem groben, ungesitteten Menschen, hatte erleiden muͤssen, an einem Nachmittage auf ein Lusthaus, das sie ausserhalb der Stadt besaßen, ganz einsam ging, etwas Wein und Brodt mitnahm, davon sie ohngefaͤhr ein Drittheil verzehrte, dann wahrscheinlicherweise ein zu ihrer Gemuͤthsstimmung passendes Lied, aus einem Buche sang, welches sie offen auf dem Tische liegen ließ, mit einem Zeichen an der folgenden Stelle, und nach allen diesen Verrichtungen sich ersaͤufte.

Hier ist die Strophe, welche sie bezeichnet hatte:

Die Noth, o Herr, hat kein Gesetz, Die mich jetzt hart umringet; Drum das fuͤr keine Frechheit schaͤtz, Wozu die Angst mich zwinget. Wer blind, wer krank ist, sehnet sich Nach Licht und Heilung aͤngstiglich; Jch Todter such das Leben!

u.s.w.


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[86/0086] Das Buͤchelchen, welches S. 30. erwaͤhnt wird, heißt im Herrenhuterstyl das Loosbuͤchlein. Man veraͤndert es alle Jahre. Dieser Umstand erinnert mich an eine Geschichte, welche hier zu Basel vor 5 bis 6 Jahren vorgefallen. Eine junge, redliche, sehr religioͤse Hausmutter war so ungluͤcklich verheirathet worden, daß sie nach vielen Kraͤnkungen, welche sie von ihrem Manne, einem groben, ungesitteten Menschen, hatte erleiden muͤssen, an einem Nachmittage auf ein Lusthaus, das sie ausserhalb der Stadt besaßen, ganz einsam ging, etwas Wein und Brodt mitnahm, davon sie ohngefaͤhr ein Drittheil verzehrte, dann wahrscheinlicherweise ein zu ihrer Gemuͤthsstimmung passendes Lied, aus einem Buche sang, welches sie offen auf dem Tische liegen ließ, mit einem Zeichen an der folgenden Stelle, und nach allen diesen Verrichtungen sich ersaͤufte. Hier ist die Strophe, welche sie bezeichnet hatte: Die Noth, o Herr, hat kein Gesetz, Die mich jetzt hart umringet; Drum das fuͤr keine Frechheit schaͤtz, Wozu die Angst mich zwinget. Wer blind, wer krank ist, sehnet sich Nach Licht und Heilung aͤngstiglich; Jch Todter such das Leben! u.s.w.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/86>, abgerufen am 03.05.2024.