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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.

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Täuschen und Betrügen sind also an sich betrachtet voneinander verschieden, indem im Betrügen das Falsche in der Materie oder innern Form, beim Täuschen hingegen bloß in der äußern Form des Gegenstandes angetroffen wird. Jn Ansehung ihrer Würkung aber sind sie nicht nur von einander verschieden, sondern sogar einander entgegen gesetzt. Beim Betrügen wird der äußere Schein eines Gegenstandes mit Weglassung der innern Kraft wovon die Würkung oder der Nutzen abhängt, beobachtet, beim Täuschen wird im Gegentheil bloß auf die Würkung gesehen, und von den Eigenschaften des Gegenstandes nur so viel beibehalten, als zu dieser Absicht nöthig ist. Wenn man eine falsche Müntze für eine ächte ausgiebt so betrügt man, indem jene nicht eben den Nutzen als diese gewähren kann. Eine dramatische Vorstellung hat die Erregung gewisser Empfindungen und Leidenschaften zum Zweck. Wäre also vor unsern Augen, die Begebenheit so wie sie vorgestellt wird, würklich vorgefallen, so würde dadurch dieser Zweck vollkommen erreicht werden. Da aber dieses nicht geschiehet, so ist es für uns hinreichend, wenn die Vorstellung der Begebenheit selbst so nahe kommt, als zur Erreichung dieses Zwecks nöthig ist.

Hieraus läßt sich auch die vorgelegte Frage: wie kann man sich selbst täuschen wollen? leicht auflösen. Man kann sich keineswegs täuschen wollen, in so fern täuschen so viel als betrügen


Taͤuschen und Betruͤgen sind also an sich betrachtet voneinander verschieden, indem im Betruͤgen das Falsche in der Materie oder innern Form, beim Taͤuschen hingegen bloß in der aͤußern Form des Gegenstandes angetroffen wird. Jn Ansehung ihrer Wuͤrkung aber sind sie nicht nur von einander verschieden, sondern sogar einander entgegen gesetzt. Beim Betruͤgen wird der aͤußere Schein eines Gegenstandes mit Weglassung der innern Kraft wovon die Wuͤrkung oder der Nutzen abhaͤngt, beobachtet, beim Taͤuschen wird im Gegentheil bloß auf die Wuͤrkung gesehen, und von den Eigenschaften des Gegenstandes nur so viel beibehalten, als zu dieser Absicht noͤthig ist. Wenn man eine falsche Muͤntze fuͤr eine aͤchte ausgiebt so betruͤgt man, indem jene nicht eben den Nutzen als diese gewaͤhren kann. Eine dramatische Vorstellung hat die Erregung gewisser Empfindungen und Leidenschaften zum Zweck. Waͤre also vor unsern Augen, die Begebenheit so wie sie vorgestellt wird, wuͤrklich vorgefallen, so wuͤrde dadurch dieser Zweck vollkommen erreicht werden. Da aber dieses nicht geschiehet, so ist es fuͤr uns hinreichend, wenn die Vorstellung der Begebenheit selbst so nahe kommt, als zur Erreichung dieses Zwecks noͤthig ist.

Hieraus laͤßt sich auch die vorgelegte Frage: wie kann man sich selbst taͤuschen wollen? leicht aufloͤsen. Man kann sich keineswegs taͤuschen wollen, in so fern taͤuschen so viel als betruͤgen

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[48/0048] Taͤuschen und Betruͤgen sind also an sich betrachtet voneinander verschieden, indem im Betruͤgen das Falsche in der Materie oder innern Form, beim Taͤuschen hingegen bloß in der aͤußern Form des Gegenstandes angetroffen wird. Jn Ansehung ihrer Wuͤrkung aber sind sie nicht nur von einander verschieden, sondern sogar einander entgegen gesetzt. Beim Betruͤgen wird der aͤußere Schein eines Gegenstandes mit Weglassung der innern Kraft wovon die Wuͤrkung oder der Nutzen abhaͤngt, beobachtet, beim Taͤuschen wird im Gegentheil bloß auf die Wuͤrkung gesehen, und von den Eigenschaften des Gegenstandes nur so viel beibehalten, als zu dieser Absicht noͤthig ist. Wenn man eine falsche Muͤntze fuͤr eine aͤchte ausgiebt so betruͤgt man, indem jene nicht eben den Nutzen als diese gewaͤhren kann. Eine dramatische Vorstellung hat die Erregung gewisser Empfindungen und Leidenschaften zum Zweck. Waͤre also vor unsern Augen, die Begebenheit so wie sie vorgestellt wird, wuͤrklich vorgefallen, so wuͤrde dadurch dieser Zweck vollkommen erreicht werden. Da aber dieses nicht geschiehet, so ist es fuͤr uns hinreichend, wenn die Vorstellung der Begebenheit selbst so nahe kommt, als zur Erreichung dieses Zwecks noͤthig ist. Hieraus laͤßt sich auch die vorgelegte Frage: wie kann man sich selbst taͤuschen wollen? leicht aufloͤsen. Man kann sich keineswegs taͤuschen wollen, in so fern taͤuschen so viel als betruͤgen

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/48>, abgerufen am 24.04.2024.